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- TitlePaul Siebeck an Windelband, Tübingen, 7.2.1912, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke, Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
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- Physical LocationStaatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
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Paul Siebeck an Windelband, Tübingen, 7.2.1912, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke[1], Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
7. Februar 1912.
Dr. P. S.-n. A.[2] Herrn Geheimen Rat Professor Dr. W. Windelband Heidelberg Landfriedstr. 14.
Hochverehrter Herr Geheimrat, nun stehen wir seit bald 30 Jahren in geschäftlichem Verkehr und ich erinnere mich nicht, dass es zu irgend einer Differenz oder gar zur Stellung der Kabinettsfrage[3] je zwischen uns gekommen wäre. Sollte es dem – ich kann kaum anders sagen – fatalen Unternehmungsgeist des Herrn Dr. Ruge vorbehalten sein, auch noch zwischen uns Zwietracht zu säen? Ich will es nicht hoffen.
Als ich das letztemal von meinem Wohnhaus aus an Sie schrieb, hatte ich das Material nicht zur Hand. Heute kann ich Ihnen sagen, dass Herr Dr. Ruge unterm 27. Jan[uar] mir schrieb:
„Ich möchte auch vertraulich[a] erwähnen, dass in einer kürzlichen Rücksprache mit Herrn Geheimrat Windelband gerade dieses Bedenken erwogen wurde. Sie haben meines Erachtens vollkommen recht u. s. w.“
Nicht wahr, so wie die Dinge sich zugespitzt haben, darf ich die Vertraulichkeit brechen, um Ihnen zu zeigen, dass ich berechtigt war, anzunehmen, Sie seien mit der Uebersetzung der fremdsprachigen Arbeiten auch einverstanden. Das Gegenteil geht aus der vertraulichen Mitteilung Dr. Ruge’s zum Mindesten nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit hervor, und wenn ich, von meiner Sorge um die Absatzfähigkeit des Bandes umgetrieben, aus Herrn Dr. Ruge’s Worten zu viel zu Gunsten meines Bedenkens heraushörte, so ist dies gewiss verzeihlich. Auf diese Mitteilung Herrn Dr. Ruge’s hin habe ich ihn gebeten, die Uebersetzung der Manuscripte in Auftrag zu geben: dies geschah am 29. Jan[uar]. Ich glaube feststellen zu dürfen, dass ich nicht des Glaubens sein konnte, es tatsächlich auch nicht war, dass Sie bei dieser Sache ausgeschaltet worden seien. So viel zu meiner Rechtfertigung.
Was nun Herrn Professor Rickert anbelangt[4], so ist es mir nicht erinnerlich, gehört zu haben, dass er an der Enzyklopädie mitarbeiten wollte. Er hat sich mir gegenüber keineswegs in die Sache gemischt. Er hat die Anzeige auf dem Schlussheft des II. Bandes des Logos gelesen und hat mir in einem ganz kurzen Postscriptum zu einem längeren Briefe geschrieben, er habe Bedenken wegen der fremdsprachigen Abhandlungen. ich glaube, wir können darüber um so mehr zur Tagesordnung übergehen, als ich schon vor[b] Eintreffen des Rickert’schen Briefes nachweislich in einer Konferenz mit meinen Prokuristen[5] meine[c] Bedenken gegen die fremdsprachigen Bestandteile des Bandes ausgesprochen habe. Endlich noch: nach den Mitteilungen, die Herr Professor Rickert mir über den Stand seiner Arbeiten kürzlich gemacht hat, ist nicht anzunehmen, dass ein Werk von Ihm vor[d] dem I. Band der Enzyklopädie erscheint.
Was ist nun zu tun? Fallen die Uebersetzungen tatsächlich schlecht aus, so sage ich auch: lieber keine als schlechte; sie würden dann eben nicht zum Druck gelangen. Das Gleiche gilt, wenn die Ablieferung der Uebersetzungsmanuscripte eine wesentliche Verzögerung im Erscheinen des Bandes herbeiführen würde. Sind aber die Uebersetzungen gut und gehen sie rechtzeitig ein, dann halte ich es – ich kann nichts anders – für die beste Lösung, wir bringen in der deutschen Ausgabe die Originale und[e] die Uebersetzungen[6]. Dann ist an unserm Programm im Effekt nichts geändert. Dann ist die Internationalität des Bandes nicht befleckt und wir haben dann den grossen Vorzug, aus der Aufnahme, die der Band qua Verkauf und qua Kritik findet, einen sichern Schluss darauf ziehen zu können, ob wir die künftigen Bände mit oder ohne Uebersetzung ausgeben sollen. Ich meine, das hat wirklich einen praktischen Wert. Der Nachteil, dass das Buch dadurch teurer wird, wird meines Erachtens aufgewogen dadurch, dass es mehr Leute lesen können und daher auch kaufen werden, bleibt somit der einzige Nachteil, dass die Umfangvermehrung auch eine Vermehrung des Zeitaufwandes für den Druck mit sich bringt. Wer hindert uns denn aber, den I. Band in zwei oder drei Lieferungen[7] auszugeben? Damit wäre dann wohl auch Ihre Sorge wegen des verspäteten Erscheinens Ihres Beitrags behoben.
Sie sehen, ein alter Verleger weiss schliesslich immer noch Rat. Zerhauen wir also den Knoten und lassen wir den Mut nicht sinken!
Lehnen Sie aber auch diesen Vorschlag ab – und ich bin der letzte, der Ihnen die Berechtigung dazu abspricht – so honoriere ich eben die Herrn, welche die Uebersetzung gemacht haben, und lasse die Uebersetzung nicht drucken. Aber dann müssen Sie mir auch gestatten, meine Hände in Unschuld zu waschen, wenn es mit dem Absatz des Bandes hapert, und schade wäre es doch, wenn unter dem Mangel der Uebersetzungen die Verbreitung des Bandes leiden würde.
Das 2. Heft des II. Bandes von Logos werden Sie inzwischen erhalten haben.
In alter aufrichtiger Verehrung bleibe ich Ihr treu ergebener
P. Siebeck.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Transkription von Klaus Christian Köhnke ] Kollation derzeit nicht möglich. Der Transkription liegt die Datei Manuskript: Windelband Briefe | herauszugeben von K. C. Köhnke | Ausdruck vom 1.3.2012 zugrunde, die den Herausgebern zur Verfügung steht. Ein Ausdruck dieser Datei befindet sich in öffentlichem Besitz (Universität Leipzig, Nachlass Klaus Christian Köhnke NL 330/3/1/2). Die Signatur des Originals ist mit Stichtag 14.5.2018 noch nicht bekannt. Laut telefonischer Auskunft von Roland Klein, Referat für Nachlässe und Autographen der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz vom 21.11. und 2.12.2016 ist die Erfassung des Nachlasses 488 (Verlagsarchiv Mohr-Siebeck) noch nicht abgeschlossen.3↑Kabinettsfrage ] Frage, von deren Entscheidung es abhängt, ob Minister im Amt bleiben oder nicht, hier in dem Sinne gemeint, daß Windelband für den Fall eines Zerwürfnisses seine Verträge mit Siebeck aufkündigen und seine Werke in einem anderen Verlag hätte erscheinen lassen können. Vgl. Windelband an Siebeck vom 6.2.1912.5↑meinen Prokuristen ] seit ca. 1910 Oskar Siebeck, der 1906 in den Verlag eingetreten war, vgl. Silke Knappenberger-Jans: Verlagspolitik und Wissenschaft. Der Verlag J. C.B. Mohr (Paul Siebeck) im frühen 20. Jahrhundert. Wiesbaden: Harrassowitz 2001, S. 25.▲