Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 8.5.1910, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_82
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Windelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 8.5.1910, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_82
Heidelberg, 8.5.10
Lieber Freund,
Formell ist ja nun erfreulicherweise die persönliche Seite des Streites[1] erledigt, indem beide, Mehlis und Ruge, die Erklärung[2] unterschrieben haben. Was den Schlusspassus anlangt, der lediglich meiner Initiative entsprungen ist, so bewegen mich dazu zwei Motive. Zunächst gab die Anfrage von Driesch, der ja als „Mitarbeiter“ auf der Liste[3] steht, dazu Anlass, die Möglichkeit rein geschäftlicher Mitteilungen zwischen Mehlis und Ruge für wünschenswert zu halten. Wenn beide derselben Redaction angehören – und das tun sie doch nun einmal, besonders nach aussen –, so muss das möglich sein. Das sah auch Mehlis völlig ein und war hier ganz damit einverstanden. Wenn nun Sie darin eine Gefahr finden, Ruge könnte das zur Handhabe machen, | um wieder mehr Ingerenz[4] auf die Redaction zu bekommen, so kann ich Sie darüber beruhigen. Er hat mir ausdrücklich gesagt, es liege ihm fern, etwas von dem zurückgewinnen zu wollen, was er, um sich Ihnen zu fügen, hingegeben hat. Allerdings will er auch nichts weiter abtreten: er bleibt bei der Abmachung und meint, das jetzige Verhältnis gelte für den ersten Jahrgang. Schon für das zweite Heft[a] auch formell aus der Redaction auszuscheiden[5], dazu will er sich nicht verstehen.
Um so mehr kommt mein zweites Motiv in Betracht. ich überlegte mir, dass ein loyal gehandhabter Geschäftsverkehr zwischen M[ehlis] und R[uge], gerade etwa in solchem | Fall wie die Driesch’sche Anfrage, geeignet wäre, Ihre Korrespondenz mit Ruge zu entlasten. Diese ist ja, der ganzen Sachlage nach, etwas Unnatürliches, Gestelztes, innerlich Unhaltbares[b]. Zudem involviert sie stets die Gefahr, dass R[uge] durch irgend eine ungeschickte Wendung Sie aufregt und unwillig macht. Wenn das aufgehoben oder wenigstens vermindert werden könnte, wäre es gut. Ein den Voraussetzungen korrekt entsprechender Verkehr zwischen M[ehlis] und R[uge] scheint mir viel weniger Konfliktsgefahren zu enthalten. Diese meine Ueberlegung ist durch Ihren Brief[6] in hohem Masse bestätigt worden. ich kann danach nur auf das Dringendste wünschen, dass die Reibungsfläche zwischen Ihnen und Ruge so sehr wie möglich beschränkt wird; und dazu schien mir | jene Wendung unter den bestehenden Verhältnissen, mit denen doch eben zu rechnen ist, den geeignetsten Weg anzudeuten.
Das Logosheft habe ich natürlich. Siebeck hat mir wohl eins der ersten Exemplare nach Bordighera geschickt. Rugeʼs unnötige Sorge[7] ist wohl daraus entstanden, dass ich in einer Unterhaltung gelegentlich gesagt habe, ich hätte einen Artikel – ich glaube, ich erwähnte Leop[old] Zieglerʼs[8] – noch nicht gelesen. – ich denke, wir lassen das alles auf sich beruhen. –
Ein Gegenstück zu Ihrem Bericht über den Vorlesungsbesuch[9] wird Sie erfreuen: Lask weiss sich bei einer zweistündigen Vorlesung über Grundzüge der Logik und Erkenntnistheorie vor Zuhörern garnicht zu retten: er hat schon zweimal in die grössten Auditorien umziehen müssen. Mir ist das eine grosse, grosse Freude: denn ich habe nur durch Einsetzung meiner ganzen Autorität es durchsetzen können, das er „vorzeitig“ und trotz des Mangels greifbar aufzuweisender „Leistungen“ den Titel[10] bekam.
Mit allen guten Semesterwünschen der Ihrige
W Windelband
Noch eins, in Eile! Die antivoluntaristische Stimmung meiner Akademie-Rede war doch wohl nach dem Schluss meiner Rectorats-Rede[11] nicht so ganz unerwartet! Oder doch?![c]
Kommentar zum Textbefund
b↑etwas Unnatürliches, Gestelztes, innerlich Unhaltbares ] kann auch heißen: etwas Unnatürlicher, Gestelzter, innerlich UnhaltbarerKommentar der Herausgeber
1↑des Streites ] um Arnold Ruge als Redakteur der Zeitschrift Logos, vgl. die zugehörigen Schreiben seit März 1910.5↑aus der Redaction auszuscheiden ] die offiziell mitgeteilte Lösung für den Streitfall Ruge/Logosredaktion lautete in Logos 1 (1910/11), Heft 3, S. 418 (Schluß von Bd. 1): Redaktionelle Notiz. Herr Privatdozent Dr. Ruge tritt mit Beginn des neues Bandes aus der internationalen Kommission aus und damit von den redaktionellen Geschäften zurück. Die internationale Kommission bedauert, daß Herr Dr. Ruge durch vielfache Arbeiten so in Anspruch genommen ist, daß er der Redaktion des deutschen Logos seine Kräfte nicht weiter zur Verfügung stellen kann. Sie spricht ihm für seine bisherige Tätigkeit den herzlichsten Dank aus. Die deutsche Logos-Redaktion: Richard Kroner. Georg Mehlis.7↑Rugeʼs unnötige Sorge ] Ruge wendete sich nochmals am 11.11.1910 an Siebeck, weil Windelband angeblich das 2. Logos-Heft nicht erhalten habe. Die Antwort des Verlags lautete am 15.11.1910 auf ein Versehen (zitiert nach: Nachlaß Köhnke, UB Leipzig NL 330/3/1/4: Klaus Christian Köhnke/Rüdiger Kramme: Abschlußbericht Logos, Teil 2 (Archiv-Katalog) 1916–33; Stichtag 16.11.1993).8↑Leopold Zieglerʼs ] im ersten Heft des Logos 1910 erschien von Ziegler: Ueber das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur.10↑den Titel ] Emil Lask, seit 1905 PD, wurde im Februar 1910 zum ao. Prof. ernannt, im April 1913 zum etatmäßigen Extraordinarius und Mitdirektor des Philosophischen Seminars neben Windelband. Er veröffentlichte erst 1911 wieder eine größere Arbeit (Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre). Lask schrieb an seine Schwester vom 15.10.1910: Seit etwa Herbst vorigen Jahres beginnt die Zeit, in der ich nach sehr langer Vorbereitungs- und Schweigenszeit wirklich anfange zu schaffen (Uwe Glatz: Emil Lask. Philosophie im Verhältnis zu Weltanschauung, Leben und Erkenntnis. Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, S. 15–16).11↑Akademie-Rede … Rectorats-Rede ] vgl. Windelband an Rickert vom 2.5.1910 sowie Windelbands Rede über Die Erneuerung des Hegelianismus in der Heidelberger Akademie und seine Rekoratsrede: Der Wille zur Wahrheit. Akademische Rede zur Erinnerung an den zweiten Gründer der Universität, Karl Friedrich Großherzog von Baden am 22. November 1909 bei dem Vortrag des Jahresberichts und der Verkündung der akademischen Preise gehalten. Heidelberg: Universitäts-Buchdruckerei v. J. Hörning 1909, S. 1–17.▲