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- TitleWindelband an Hugo Münsterberg, Heidelberg, 22.11.1908, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke, Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Boston Public Library, Hugo Münsterberg Collection, MS Acc 1501-2500: Series 7, Box 51, Folder 750
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Windelband an Hugo Münsterberg, Heidelberg, 22.11.1908, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke[1], Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Boston Public Library, Hugo Münsterberg Collection, MS Acc 1501-2500: Series 7, Box 51, Folder 750
Heidelberg, 22 Nov[ember] 08
Vertraulich!
Hochgeehrter Herr Kollege
Halten Sie mich nicht für undankbar, wenn ich auf Ihren so liebenswürdigen Brief[2] vom 15. Oct[ober] noch nicht geantwortet und Ihnen nicht einmal für das schöne Geschenk Ihres neuen Buches über America[3] gedankt habe! Was ich davon habe ansehen können, hat mir wieder leuchtend bewiesen, welche eine hervorragende Rolle Sie in der gegenseitigen Vermittlung americanischer und deutscher Geistesbewegung zu spielen berufen sind. Aber leider habe ich noch nicht oft zu dem Buche greifen können; denn ich habe viel hin und her reisen müssen und stehe im Anfang eines sehr anstrengenden Semesters. Eine der Reisen ging nach Berlin, wohin mich sehr unerwartet Elster[4] für die „Vereinigung für staatsbürgerliche Fortbildung“ zu einem Vortrag[5] einlud, den ich dann über Comte hielt. Es fiel leider mit einem andern Anlass zur Berliner Reise zusammen, einer schweren Erkrankung meiner dort lebenden und lehrenden Tochter[6]. Das nahm dann eigentlich fast alle Zeit für mich in Anspruch, sodass ich nicht daran denken konnte, Kollegen zu besuchen. Elster empfing mich mit ausgesuchter Lebenswürdigkeit, ohne natürlich mit einem Wort von der Professur[7] zu reden. Wie es jetzt damit steht, wissen Sie vielleicht besser als ich, da ich begreiflicherweise selber keine Schritte tun und mich nicht einmal erkundigen kann. Nur so viel weiss ich, dass vor acht Tagen noch die Sache in der Fakultät nicht spruchreif war, dass aber inzwischen alle Register gezogen werden, um mich auszuschalten. Der Versuch, die Sache auf die Paedagogik zu spielen, der sich in der Zeitung komischerweise schon mit der Nachricht von einer Nomination von Rein[8] und – Ziegler[9] breit machte, scheint misslungen; dagegen arbeiten wohl die andern Kandidaturen mit aller Macht. Andrerseits flüstert man natürlich hier, dass mit der Besetzung Heidelberg und – was mich sehr erfreut – auch Freiburg gefährdet seien! Mein Interesse an der Angelegenheit ist vor allem das sachliche. Auch soweit ich selbst in Betracht komme, weiss ich wohl, dass ich persönlich an Behagen, Gesundheit und voraussichtlicher Lebensdauer Opfer zu bringen hätte. Aber – und das darf ich Ihnen sagen, der Sie aus dem Interesse für unsre Sache so warm und offenbar so erfolgreich tätig gewesen sind – ich glaube, dass, wenn die Frage wirklich an mich heranträte, ich schliesslich dem Gebote der Pflicht gehorchen müsste. Es wäre in meinem Lebensalter ein sehr schwerer Entschluss: aber ich glaube eben deshalb noch immer, dass es ein „Wohlwollen“ geben wird, das ihn mir ersparen will. Freilich, beriefe man Rickert, so läge die analoge Befürchtung vor der zerreibenden Unruhe der Grossstadt vielleicht ebenso nahe, und das die Freude, mit der ich es begrüssen würde, einigermaassen beeinträchtigen. Jedenfalls wünsche ich mir, die Frage möchte bald ihre Entscheidung finden, – möglichst noch in diesem Jahre, das mir so viel Interessantes und so viel Wertvolles gebracht hat. Wenn dazu – fast wider und jedenfalls über Erwarten – der Erfolg des Kongresses gehört, so weiss ich, was ich auch daran Ihrer von Anfang bis zu Ende so bereitwilligen und sachkundigen so feinsinnigen und taktvollen Hilfe verdanke: lassen Sie mich alles noch einmal in den Ausdruck herzlichsten und aufrichtigsten Dankes zusammenfassen!
Wir stecken nun auch schon in dem Druck des Berichtes[10], ich lese gerade die Rede von Royce; wenn ich damit fertig bin, werde ich ihm darüber schreiben; dem Vortrag selber hatte ich leider nicht in alle Einzelheiten folgen können, so lebhaft ich den Eindruck des Ganzen auffasste. Wenn Sie ihm begegnen, haben Sie zunächst die Freundlichkeit, ihm meine besten Grüsse auszusprechen. Hoffentlich finden diese Zeilen Sie und Ihre verehrten Damen[11] in bester Gesundheit, – ich verbleibe mit aufrichtigen Grüssen von Haus zu Haus dankbar der Ihrige
W Windelband
Kommentar der Herausgeber
1↑Transkription von Klaus Christian Köhnke ] Kollation derzeit nicht möglich. Der Transkription liegt die Datei Manuskript: Windelband Briefe | herauszugeben von K. C. Köhnke | Ausdruck vom 1.3.2012 zugrunde, die den Herausgebern zur Verfügung steht. Ein Ausdruck dieser Datei befindet sich in öffentlichem Besitz (Universität Leipzig, Nachlass Klaus Christian Köhnke NL 330/3/1/2). Die Digitalisierung der Schreiben Windelbands an Münsterberg war mit Stichtag 14.5.2018 noch nicht abgeschlossen. Vgl. die Website des Münsterberg-Nachlasses (http://archon.bpl.org/index.php?p=collections/controlcard&id=52).3↑neuen Buches über America ] von Münsterberg war erschienen: Die Amerikaner. Bd. 1: Das politische und wirtschaftliche Leben. Bd. 2: Das geistige und soziale Leben. Berlin: S. Mittler u. Sohn 1904. Womöglich war Windelband bisher lediglich der 2. Bd. bekannt geworden, vgl. Windelband an Münsterberg vom 29.6.1904.4↑Elster ] Ludwig Elster (1856–1935), 1887 o. Prof. für Nationalökonomie in Breslau, 1897–1916 im Universitätsreferat des Preußischen Kultusministeriums. Seit 1.10.1907 (Abschied Friedrich Althoffs) Personalreferent (NDB; Hochschul-Nachrichten (Paul von Salvisberg), Nr. 1 von Oktober 1907, S. 8).7↑Professur ] Friedrich Paulsen, seit 1894 Prof. für Philosophie mit einem Schwerpunkt in Pädagogik an der Berliner Universität, war am 14.8.1908 gestorben (BEdPh). Zur Rolle Münsterbergs in den Verhandlungen um eine Nachfolge ist nichts Näheres ermittelt. Windelbands Heidelberger Kollege Ernst Troeltsch wurde 1909 nominiert, die Berufung scheiterte jedoch (BEdPh, Troeltsch wurde erst 1914 nach Berlin berufen).8↑Rein ] vermutlich Wilhelm Rein (geb. 1847), Prof. in Jena, Hg. der Zeitschrift für Philosophie und Pädagogik (Rudolf Eisler: Philosophen-Lexikon 1912, S. 587).10↑Druck des Berichtes ] vgl. Bericht über den III. Internationalen Kongress für Philosophie zu Heidelberg 1. bis 5. September 1908. Hg. v. Th. Elsenhans. Heidelberg: C. Winter 1909. Darin S. 62–90: Josiah Royce: The Problem of Truth in the light of recent discussion.11↑Ihre verehrten Damen ] Ehefrau Selma Münsterberg, geb. Oppler, mit den Töchtern Margareta (*1889) u. Ella (*1891) (Wer ist’s? 1912, S. 1104).▲