Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Eduard Schwartz, Baden-Baden, 20.8.1908, 4 S., hs. (lat. Schrift), vereinzelt Textverluste durch Lochung, Bayerische Staatsbibliothek München; Autographensammlung, Schwartziana II A
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Windelband an Eduard Schwartz, Baden-Baden, 20.8.1908, 4 S., hs. (lat. Schrift), vereinzelt Textverluste durch Lochung, Bayerische Staatsbibliothek München; Autographensammlung, Schwartziana II A
Baden-Baden 20/8 08
Hochgeehrter Freund[1] und Kollege,
Wo Sie auch in Ihren lieben Vogesen sein mögen, dieser Brief wird Ihnen nachgehen und Sie erreichen: er kommt spät, aber hoffentlich nicht zu spät, um Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich über Ihren Brief[2] vom 20. Juni –, ja, es sind wahrhaftig zwei Monate! – gefreut habe und wie dankbar ich Ihnen dafür war und bin. Es ist mir ein Trost, dass Sie an meiner Gesinnung und an deren Betätigung nicht irre geworden sind durch den Misserfolg, den ich erlitt. Ja, ich kann Ihnen sagen, wenn Sie das Scheitern dieser Hoffnung[3] als eine bittre Zurücksetzung empfunden haben, so ist auch mir dieser Ausgang der Sache als ein persönlicher Misserfolg nahe gegangen, dessen Stachel ich nicht so leicht und nicht so bald verwinden werde! Aber gegen die Voreingenommenheit der vier in der Kommission versammelten „Fachleute“ hat auch Gothein’s beredtes Eintre|ten für Sie ebensowenig genützt, wie meine von Anfang an überall geltend gemachte Ueberzeugung. Nun – habeant sibi![4] ich fürchte, die Vergeltung ist näher als man gemeint hat! Das neue Beamtengesetz[5], an dem ich mitzuwirken[6] die zeitraubende Ehre hatte, wird, wie ich höre, zu seinen segensreichen Folgen haben, dass O. Hense[7] sich pensionieren lässt. Und ich kennte die Freiburger schlecht, wenn sie sich die Gelegenheit entgehen liessen, einen Fehler, den Heidelberg offensichtlich gemacht hat, für sich auszunutzen! Dazu kommt, dass dort ganz gründlich aufgeräumt und neugebaut werden muss, wozu Sie der einzige Mann sind, – geradeso wie Sie bei uns der einzige gewesen wären, um die von Dieterich in der Tat glänzend gestaltete Lage zu erhalten und auszubauen! ich nehme also an, dass m[an] Sie dorthin holen wird, und ich sage Ihnen im voraus, dass ich neidlos und schmerzlos zuse|hen werde, wenn Sie dort die Tätigkeit entfalten, die bei Ihnen sicher ist, und durch die auch dieser fast einzig noch schwache Punkt in der Entwicklung Freiburgs stark und wirksam werden wird! Meine besten Wünsche haben Sie dazu!
Dass ich so lange nicht geschrieben, lag an diesem schrecklichen Sommer: viel Vorlesungen und viel Fakultätssachen, Abschluss meiner Ausgabe der Kritik der Urteilskraft für die Berliner Kantausgabe[8] – schauderhaft, ich passe zum Edieren wie .....[a] –, dazu viel Kammerverhandlungen[9], bei denen ich mich, schon wegen ihrer Bedeutung für die Universitäten nicht drücken konnte, – endlich die Vorbereitungen für diesen abscheulichen internationalen Philosophiekongress[10], der Anfang September tagen soll. Dazu auch manche Sorge; meine Frau hat mit rheumatischer Kniegelenkentzündung zu tun und muss noch viel liegen, sodass sie mich nicht einmal hierher begleiten durfte, wo ich jetzt ein paar Tage vorläufige Er|[ho]lung für die anstrengenden Kongresstage selbst gesucht habe. Aber übermorgen muss ich zurück, da trotz der eifrigen Arbeit der Kommissionen Vieles doch auf meine eigne Entscheidung gestellt ist. Wenn das glücklich überstanden ist – wir machen’s freilich prinzipiell nicht so pomphaft wie der Berliner Historikerkongress[11] gewesen zu sein scheint –, so will ich mit meiner Frau nach Baden im Aargau gehen. Jetzt ist bei ihr noch unsre älteste Tochter[12], die leider von ihren Ferien nicht viel andres als Krankenpflege gehabt hat und die dann zu ihren Berufspflichten nach Berlin zurückgeht, – in denen sie sich übrigens recht wohl fühlt.
Wie steht’s bei Ihnen? Wie geht es ihrer verehrten Frau[13], die ich bestens zu grüssen bitte, und wie weit sind die Filii[14] herangewachsen?
Mit den herzlichsten und getreuesten Grüssen Ihr aufrichtig ergebner
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Freund ] vgl. Eduard Schwartz: Am Sarge Wilhelm Windelbands. In: Ders.: Vergangene Gegenwärtigkeiten. Berlin: de Gruyter 1938 (Gesammelte Schriften Bd. 1), S. 383–385. Zuerst in: Straßburger Post, Nr. 818 vom 28.10.1915, Mittagsausgabe 2. Blatt.3↑Scheitern dieser Hoffnung ] Eduard Schwartz als Nachfolger des verstorbenen Albrecht Dieterich nach Heidelberg zu berufen. Schwartz, Altphilologe und Kirchenhistoriker, 1897 o. Prof. in Straßburg, seit 1902 in Göttingen, wurde 1909 nach Freiburg berufen, 1914 wieder nach Straßburg, 1919 in München (NDB).5↑neue Beamtengesetz ] vgl. die Mitteilung im Juliheft 1908 der Hochschul-Nachrichten (Paul von Salvisberg), S. 320: In Baden wurde z. B. zu Gunsten der bei Inkrafttreten des Gesetzes angestellten Hochschulprofessoren zwischen Kommission und Regierung vereinbart, dass eine andere landesherrliche Festsetzung des Ruhegehalts auch in solchen Fällen eintreten kann, wo es sich um ältere, um die Entwicklung der badischen Hochschulen besonders verdiente Professoren oder um solche Professoren handelt, welche die kurze Dienstzeit oder der niedere Einkommensanschlag davon abhält, die durch ihr Alter oder ihre Gesundheit gebotene Pensionierung nachzusuchen.7↑O. Hense ] Otto Hense (1845–1931), Klassischer Philologe, 1872 in Halle habilitiert, seit 1876 o. Prof. in Freiburg (1893/94 Prorektor), 1909 emeritiert (Professorenkatalog Halle).8↑Berliner Kantausgabe ] vgl. Windelband: Einleitung. Sachliche Erläuterungen. Lesarten [zur Kritik der Urteilskraft]. In: Kant’s Werke Bd. 5. Kritik der praktischen Vernunft. Hg. v. Paul Natorp. Kritik der Urtheilskraft. Hg. v. W. Windelband. Berlin: Georg Reimer 1908 (Kant’s Gesammelte Schriften. Hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Abt. 1, Bd. 5), S. 512–527, 527–530, 530–543. Vgl. Windelband an Wilhelm Dilthey vom 16.7.1902.10↑internationalen Philosophiekongress ] vgl. Bericht über den III. Internationalen Kongress für Philosophie zu Heidelberg 1. bis 5. September 1908. Hg. v. Th. Elsenhans Heidelberg: C. Winter 1909.11↑Berliner Historikerkongress ] gemeint ist der Internationale Historikerkongreß in Berlin, der vom 6.–12.8.1908 getagt hatte. Vgl. Rüdiger vom Bruch: Die Stadt als Stätte der Begegnung. Gelehrte Geselligkeit im Berlin des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Ders.: Gelehrtenrepublik, Sozialwissenschaften und akademische Diskurse in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. B. Hofmeister u. H.-Ch. Liess. Stuttgart: Steiner 2006, S. 169.12↑älteste Tochter ] Dora Windelband, Oberlehrerin an der Mädchenschule in Spandau, vgl. Windelband an Karl Dilthey vom 30.12.1903.14↑Filii ] Gerhard Schwartz (Historiker, 1914 gefallen), Ivo Schwartz (1918 gefallen), Gustav Schwartz (Rechtsanwalt, *1894) (NDB; Glanz und Niedergang der deutschen Universität. 50 Jahre deutscher Wissenschaftsgeschichte in Briefen an und von Hans Lietzmann (1892–1942). Mit einer einführenden Darstellung herausgegeben von Kurt Aland. Berlin/New York: de Gruyter 1979, S. 1267).▲