Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Paul Siebeck, Heidelberg, 5.1.1906, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke, Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
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- Physical LocationStaatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
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Windelband an Paul Siebeck, Heidelberg, 5.1.1906, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke[1], Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
Heidelberg, 5.1.06.
Hochgeehrter Herr Doctor!
Prosit Neujahr!
Was sagen Sie nun[2] zu der „Philosophischen Wochenschrift“? Das erste Heft ist gewiss auch Ihnen vor Augen gekommen, – dieses ridiculus mus[3]! Die pièce de résistance[4] ein Gekohle über Kohler’s Rechtsphilosophie! Mir tut der gute Eucken leid, dass sich das so halb und halb an seine Rockschösse hängen darf. Welch ein harmloser Herr übrigens der Herausgeber[5] ist, sieht man an dessen – nun, sagen wir unvorsichtiger Belobung des Siebert’schen Buchs über nachhegelsche Philosophie. Er scheint keine Ahnung davon zu haben, dass dies Machwerk in der ersten Auflage als Plagiat aus dem Bädecker[6] der Philosophiegeschichte, dem bekannten Ueberweg-Heinze[7] dargetan worden ist, – keine Ahnung, dass soeben eine zweite „Arbeit“ des buchmachenden Pastors in den „Kantstudien“ als Verhunzung von Haym’s Dictaten vermöbelt worden[8] ist – und er hat natürlich keine Ahnung davon, dass binnen kurzem die „Vermehrung“ in der zweiten Auflage jenes ersten Buchs als Entlehnung aus der „Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts“[9] enthüllt werden wird[10]! Dies letztere bitte unter uns! Aber dieses Buch in seinem Programmhefte so gelobt zu haben, – das ist ein Unglück für den Herausgeber, das er schwer verwinden wird.
Wahrlich, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, so gilt von dieser Wochenschrift jenes Kernwort eines Tübinger Philosophieprofessors[11]: „es ist ein totgebornes Kind und wird sich im Sande verlaufen“! –
Wie ich in der Zeitung[12] lese, werden Sie Herrn Arnold Ruges[a] Schrift über das deutsche Studentenleben[13] in zwei Auflagen drucken: ich bin nun wirklich auf das Ding begierig! Wann wird es denn etwa erscheinen?
Bei mir fängt allmählich die Arbeit an der 4. Auflage[14] an; ich werde ziemlich viel am Stil ändern, namentlich durch Auflösung der oft viel zu langen und gedrängten Sätze. Allzu grosse Vermehrung wird das nicht bedeuten!
Mit ergebenstem Gruss wie immer Ihr
Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Transkription von Klaus Christian Köhnke ] Kollation derzeit nicht möglich. Der Transkription liegt die Datei Manuskript: Windelband Briefe | herauszugeben von K. C. Köhnke | Ausdruck vom 1.3.2012 zugrunde, die den Herausgebern zur Verfügung steht. Ein Ausdruck dieser Datei befindet sich in öffentlichem Besitz (Universität Leipzig, Nachlass Klaus Christian Köhnke NL 330/3/1/2). Die Signatur des Originals ist mit Stichtag 14.5.2018 noch nicht bekannt. Laut telefonischer Auskunft von Roland Klein, Referat für Nachlässe und Autographen der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz vom 21.11. und 2.12.2016 ist die Erfassung des Nachlasses 488 (Verlagsarchiv Mohr-Siebeck) noch nicht abgeschlossen.3↑ridiculus mus ] vgl. Horaz: De arte poetica 139: Parturient montes, nascetur ridiculus mus: Die Berge kreißen, geboren wird eine lächerliche Maus.4↑pièce de résistance ] frz. Kern, Herzstück, Hauptsache („Stück, das Widerstand leistet“, Küchensprache)5↑der Herausgeber ] die Rede ist von Hugo Renner, von dessen Neugründung Philosophische Wochenschrift und Literaturzeitung zum 6.1.1906 die erste Nr. erschien, Inhalt: Hugo Renner: Über Philosophie und ihre Popularität; Rudolf Eucken: Die Philosophie und das deutsche Publikum; Fritz Berolzheimer: J[osef] Kohler als Rechtsphilosoph; Bruno Bauch: Zum Begriff der Erfahrung; Selbstanzeigen; Besprechungen; Zeitschriftenschau. Die Zeitschrift, aus der heraus auch eine Gesellschaft für Philosophie gegründet und eine Encyclopädie der Philosophie ausgekoppelt wurde (davon erschienen lediglich zwei Bände) ging mit Ablauf des Jahres 1908 ein.7↑Ueberweg-Heinze ] gemeint ist der Grundriss der Geschichte der Philosophie von Friedrich Ueberweg, in 5.–9. Aufl. bearbeitet von Max Heinze.8↑Machwerk … worden ] vgl. die Rezension von Fritz Medicus über Otto Siebert: Was jeder Gebildete aus der Geschichte der Philosophie wissen muss. Ein kurzer Abriss der Geschichte der Philosophie im Anschluss an Rudolf Hayms philosophische Vorlesungen herausgegeben. Langensalza 1905. In: Kant-Studien 10 (1905), S. 558–560, mit Hinweis auf die Entlarvung der ersten Aufl. von Sieberts Geschichte der neueren deutschen Philosophie seit Hegel als Plagiat.9↑„Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts“ ] vgl. Die Philosophie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Festschrift für Kuno Fischer unter Mitwirkung v. O. Liebmann, W. Wundt, Th. Lipps, B. Bauch, E. Lask, H. Rickert, E. Troeltsch, K. Groos hg. v. W. Windelband. 2., verbesserte u. um das Kapitel Naturphilosophie erweiterte Aufl. Heidelberg: C. Winter 1907.10↑enthüllt werden wird ] vgl. die Rezension von Fritz Medicus über Otto Siebert: Geschichte der neueren deutschen Philosophie seit Hegel. Ein Handbuch zur Einführung in das philosophische Studium der neuesten Zeit. 2., vermehrte u. verbesserte Aufl. Göttingen 1906. In: Kant-Studien 11 (1906), S. 276–278.13↑Schrift über das deutsche Studentenleben ] vgl. Windelband an Siebeck vom 31.7.1905 sowie Arnold Ruge: Kritische Betrachtung und Darstellung des Deutschen Studentenlebens in seinen Grundzügen. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1906.14↑4. Auflage ] von: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1907. VIII, 588 S. (gegenüber VIII, 575 S. der 3. Aufl.).▲