Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Karl Dilthey, Heidelberg, 30.12.1904, 4 S., hs. (dt. Schrift), Niedersächsische Staats- und UB Göttingen, Dilth. 141
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- Physical LocationNiedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
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Windelband an Karl Dilthey, Heidelberg, 30.12.1904, 4 S., hs. (dt. Schrift), Niedersächsische Staats- und UB Göttingen, Dilth. 141
Heidelberg, 30.12.04
Liebster Freund,
Eben erhalte ich Deine lieben Zeilen, während ich im Begriffe bin, Dir selbst zu schreiben. Wir haben ja beide schwere Wochen der Sorge hinter uns und wissen nicht, ob wir sie nicht auch noch vor uns haben. Mit der innigen Teilnahme, die nicht nur dem grossen Gelehrten, sondern auch Deinem und Deines Bruders Schwager galt, habe ich nach den hiesigen Berichten Usener’s Krankheit verfolgt; Deine Nichte ist ja nun, wie ich zuletzt von Dieterich hörte, wieder hier und Dein Schwager[1] ist schon aufgestanden, ich wünsche und hoffe für seine dauernde, vollständige Genesung das Beste! dass er in seinem Alter[2] eine so schwere Sache bisher doch im Ganzen so kräftig ertragen hat, lässt für die weitere Entwicklung das Beste hoffen.
Aber auch Dir, liebster Carlo, wünsche ich zum | neuen Jahre, vor allem gute Gesundheit! Dora sagte leider, dass Du nicht ganz zufrieden damit sein durftest und am Auge gelitten habest. Das tut uns herzlich leid und wir wünschen Dir Alles Gute!
Unser Dorchen ist damals[3] Knall und Fall aus G[öttingen] abgereist, als mein Schwiegersohn[4] zum zweiten Male operirt war und Meta am Verzweifeln war. Es war eine Zellengewebsentzündung am Halse, und das zweite mal ging es auf Leben und Tod. Dann kam eine Woche hoffnungsvolle Heilung und Beruhigung, und dann trat plötzlich Gesichtsrose ein, unter diesen Umständen äusserst gefährlich. Wieder zehn Tage Angst. Der Gequälte hat auch das überstanden, und in der Woche vor Weihnachten sah es dann so gut aus, | dass auf Meta’s Drängen Dore sich gegen ihre und unsre Erwartung zwei Tage vor dem Fest noch entschloss, mit Sigfrid zusammen zu uns zu reisen. So haben wir hier mit ihr und den beiden Söhnen noch leidlich frohe Weihnachten gefeiert. Aber inzwischen ist nun schon wieder ein Rückfall eingetreten, der ja bei der Rose selten ausbleiben soll, – zum Glück nicht allzu schwer, so dass auch bei uns wieder Hoffnung eingezogen ist. Aber es geht wie bei Euch: ein fortwährendes Auf und Ab von Hoffnung und Sorge; und gerade das macht mürbe und müde.
So lass uns denn miteinander hoffen, dass das neue Jahr uns beiden Beruhigung und guten Fortgang in der Familie bringen möge! Von akademischen Dingen ist hier so wenig Meldenswertes | zu verzeichnen, wie, scheint’s bei Euch. Kuno Fischer liegt in mattem, teilnahmslosem Zustande da, bald etwas besser, bald etwas schlimmer; es ist sehr traurig mitanzusehen.
Meine Frau trägt mir herzlichste Grüsse und Wünsche für Dich auf! ich bitte Dich, Deinem Fräulein[5] auch meine ergebensten Empfehlungen und Neujahrsgrüsse auszurichten, mir aber Deine freundschaftliche Gesinnung zu erhalten als Deinem getreuen
W Windelband
Kommentar der Herausgeber
1↑Deine Nichte … Dein Schwager ] die Rede ist von Marie Dieterich, Ehefrau von Albrecht Dieterich (NDB), geb. Usener sowie von Hermann Usener († 21.10.1905), vgl. Windelband an Karl Dilthey vom 10.3.1903.▲