Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 23.3.1904, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_46
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Windelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 23.3.1904, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_46
Heidelberg, 23.3.04
Lieber Freund und College,
Auf mehreren Wegen, durch den lebhaften Ferienverkehr der Philosophen, sind mir zu meiner Freude die günstigsten Nachrichten über Ihr Befinden[1] zugegangen und haben den erfreulichen Eindruck bestätigt, den ich neulich[2] bei meinem Besuche hatte: so wünsche ich denn den heilkräftigsten Fortgang und die volle Wiederherstellung Ihrer Gesundheit zum Semester!
Dieselben Besuche haben mir frohe Aussichten für zukünftige hiesige Lehrgemeinsamkeit erweckt, und über diese möchte ich z. T. Ihre Ansicht hören. Zuerst sprach mir vor etwa acht Tagen Herr[a] Dr. Alfr[ed] Schmid[3], auf den ja neulich auch unsre Unterredung kam, von der Absicht, sich ev[entuell] hier zu habilitieren; und zwar schien er schon auf eine baldige Ausführung des Gedankens eingerichtet zu sein. Er erwähnt jedoch | selber, von sich aus[b], dass er natürlich zurücktreten würde, wenn einer der älteren darauf Anspruch mache. Nun wusste ich damals weder von Lask noch von Baensch mit einiger Bestimmtheit, wann sie etwa, falls überhaupt, aus dem Privatgelehrtentum in die Lehrtätigkeit überzugehen Lust hätten. Da aber Schmid wenigstens mit Baensch in persönlichen Beziehungen steht, so kamen wir dahin überein, dass er sich mit diesem zunächst auseinandersetzen sollte: er versprach, sich brieflich von Freiburg aus an ihn zu wenden, und das Ergebnis dieser Correspondenz sollte mir mitgeteilt werden. Nun wurde ich gestern durch einen Besuch von Lask überrascht, der, während er vor vierzehn Tagen noch keinerlei Absichten geäussert, sondern nur von seinen weitschichtigen Arbeitsplänen gesprochen hatte, jetzt, ohne von Schmidʼs Absichten etwas | zu wissen, mich fragte, ob mir seine Habilitation hier genehm sein würde. Das bejahte ich natürlich auf das Energischste, sah mich jedoch für berechtigt an, ihm von Schmid und dessen Absicht der Verständigung mit Baensch Kenntnis zu geben: er will nun in einigen Tagen mit Baensch in Berlin persönlich Rücksprache nehmen und mir dann schreiben.
Dies ist der Stand der Sache, den ich Ihnen bekannt wünsche. Mir ist die Aussicht auf solche Mitarbeit sehr erfreulich; nur würden drei, vielleicht schon zwei sich doch etwas im Wege sein, – namentlich solange Elsenhans hier noch dociert. Wie lange das gehen wird, weiss ich nicht: es ist ja möglich, dass er bald in das Pfarramt zurückkehrt[4]; seine hiesigen Aussichten sind – dies bitte unter uns! – auf alle Fälle gering. Zunächst muss ich nun abwarten, was die jungen Herrn miteinander ausmachen. Jedenfalls aber möchte ich, dass Schmid (dessen Adresse ich nicht habe) darüber | nicht in Zweifel wäre, dass, wenn Lask nach seiner Besprechung mit Baensch die Absicht äussert, sich hier zu habilitieren, ich Schmid bitten müsste, solange zu warten: denn auch Sie werden der Ansicht sein, dass ich es nicht verantworten könnte, Lask in der akademischen Anciennität hinter Schmid kommen zu lassen. Daneben ist zu erwägen, was auch Lask mit Baensch[5] besprechen will, ob nicht einer der Herrn in die Strassburger philosophische Wüste ziehen will; und falls Tübingen wirklich mit einer zweiten Mediocrität besetzt[6] werden sollte, käme schliesslich auch das in Betracht. Es wäre doch ein schöner Gedanke, wenn wir die südwestdeutsche Ecke wenigstens einigermassen gegen die trüben Fluten aufrecht erhalten könnten.
Mit herzlichem Gruss von Haus zu Haus der Ihrige
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
3↑Alfred Schmid ] Friedrich Alfred Schmid [Noerr], vgl. Windelband an Heinrich Rickert vom 14.1.1904.4↑in das Pfarramt zurückkehrt ] Theodor Elsenhans, seit 1902 PD in Heidelberg, zuvor Stadtpfarrer in Riedlingen, ging 1908 als o. Prof. an die Technische Hochschule Dresden (Rektor 1916/17; BEdPh).5↑Lask … Schmid … Baensch ] Emil Lask habilitierte im WS 1904/05 in Heidelberg bei Windelband mit einer Schrift über Rechtsphilosophie (vgl. Lask: Rechtsphilosophie. In: Die Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Kuno Fischer Bd. 2. Heidelberg: C. Winter 1905). Der Habilitationsvortrag über das Thema Hegel und sein Verhältnis zur Weltanschauung der Aufklärung fand am 11.1.1905 statt (www.leo-bw.de). Zu Friedrich Alfred Schmid siehe oben. Otto Baensch (1878–1936), Spinoza-Forscher u. Schüler Windelbands in Straßburg, habilitierte sich 1906 in Straßburg vermutlich bei Clemens Baeumker oder Theobald Ziegler (eine separate Schrift ist nicht ermittelt), blieb dort bis 1918 PD, seit 1919 Privatgelehrter in München, im März 1936 Vertretungsauftrag für Philosophie in Breslau, im selben Jahr verstorben (vgl. Christian Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1. Berlin: Akademie-Vlg. 2002, S. 670).6↑Tübingen wirklich mit einer zweiten Mediocrität besetzt ] vgl. Windelband an Paul Siebeck vom 27.3.1904▲