Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Karl Dilthey, Straßburg, 6.9.1902, 4 S., hs. (dt. Schrift), Niedersächsische Staats- u. UB Göttingen, Dilth. 141
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- Physical LocationNiedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
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Windelband an Karl Dilthey, Straßburg, 6.9.1902, 4 S., hs. (dt. Schrift), Niedersächsische Staats- u. UB Göttingen, Dilth. 141
Strassburg iE. 6. Sept[ember] 1902
Liebster Freund,
Das ist doch nun wieder ein ausgesuchtes Pech, so nahe bei einander und ahnungslos und nun wieder an einander vorbeigereist! Denn leider ist Deine Karte, für die ich Dir trotzdem herzlich danke, gerade an dem Tage abgegangen, wo wir, d. h. ich mit Frau, Dora und unserm Jüngsten[1], der nun auch schon sechzehnjährig und Oberprimaner ist, Chamonix nach drei herrlichen Wochen wieder verließen! wir sind dann über Genf nach Freiburg gereist und haben dort die Hochzeit meiner ältesten Nichte Kries[2] mitgemacht, und gestern Abend finde ich Deine nachgeschickte Karte hier vor! Hoffentlich hat der Landgerichtsrat[3] Dir gleich aus Chamonix mitgeteilt, daß der Vogel schon ausgeflogen war, sodaß Du nicht vergeblich gewartet hast! Aber doch zu ärgerlich! Konnte | nicht dieser Schär[4] – denn um den handelt es sich ganz offenbar, er hatte auch bei mir vorgesprochen, übrigens „Pharmakognost“, d. h. ehemaliger Apotheker in Zürich – der nicht acht Tage früher auf den Gedanken kommen, Dir in Finhaut[5] zu begegnen?! Wir sahen von dem Wirtshaus Tête noire und bei der Fahrt durch die Gorge du Trient[6] (wir kamen von Martigny nach Chamonix) Dein Finhaut so lustig auf der Berghalde hingestreut, und ich hoffe, da muß gute Luft sein, Dich zu erholen! Wie gern hätte ich sie mit Dir geteilt! und einmal wieder gründlich mit Dir geredet! Ich habe ja guten Freundesrat nie mehr nötig gehabt als jetzt. Du weißt, daß ich im Sommer Tübingen abgelehnt[7] habe und daß | nun die Sache mit Heidelberg losgeht. ich habe den Ruf schon und es wird nur meine und des Referenten Rückkehr[8] aus der Sommerfrische abgewartet, um über die Modalitäten in Verhandlung zu treten. Die nächste Woche wird also die Entscheidung bringen, und ich hätte mir wohl gewünscht, mit Dir über alles Für und Wider zu reden. Es ist eine letzte Entscheidung für den Lebensrest, und es kommt vielerlei in Betracht. Im Ganzen bin ich bisher dafür anzunehmen: denn es ist von den Professuren meiner Wissenschaft, die von Berlin unabhängig sind, weitaus die wichtigste und vornehmste, und die Sachlage ist, daß, wenn ich sie ausschlüge, ein völlig unberechenbares Würfelspiel über die Besetzung | losgehen würde. Aber Haken sind viele dran, und ich muß auf mein Glück hoffen, daß es mir gelingt, die Quadratur des Kreises zu finden, die in dem Problem Kuno Fischer[9] steckt.
Und andererseits hätte ich gar zu gern mit Dir über Schwartz geredet. ich sah ihn im Anfang August hier einen flüchtigen Abend und hatte immer noch den Eindruck, daß er noch wenig bei Euch[10] eingelebt ist.
Am allermeisten aber hätte ich gewünscht, von Dir selbst Näheres zu hören, – meinen Wünschen und[a] Hoffnungen nach möglichst Gutes. Sollte es Dir nicht möglich sein, diesmal den Rückweg über Strassburg zu nehmen? Du bist herzlich willkommen, wie mir selbst, so auch meiner Frau und[b] Tochter, die Dich bestens grüßen! Versuch’s einzurichten.
Du erfreust unbändig Deinen getreu grüßenden
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑ältesten Nichte Kries ] Tochter von Windelbands Schwager Johannes von Kries, Näheres nicht ermittelt (NDB).4↑Schär ] Eduard Schär (1842–1913), Pharmakologe, 1881–1892 am Polytechnikum Zürich, seit 1892 Prof. der Pharmazie in Straßburg (Historisches Lexikon der Schweiz).5↑Finhaut ] vgl. z. B.: Die Schweiz nebst den angrenzenden Teilen von Oberitalien, Savoyen und Tirol. Handbuch für Reisende von Karl Baedeker. 30. Aufl. Leipzig: Baedeker 1903, S. 321.6↑Gorge du Trient ] Schlucht, Sehenswürdigkeit bei Vernayaz (in der Nähe von Martigny) in der Schweiz10↑bei Euch ] Eduard Schwartz (1858–1940), klassischerPhilologe u. Kirchenhistoriker, 1897 o. Prof. in Straßburg, seit 1902 in Göttingen (NDB); vgl. Windelband an Karl Dilthey vom 15.11.1901.▲