Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Georg Jellinek, Straßburg, 17.3.1901, 4 S., hs. (dt. Schrift), Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/32
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- Physical LocationBundesarchiv Koblenz
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Windelband an Georg Jellinek, Straßburg, 17.3.1901, 4 S., hs. (dt. Schrift), Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/32
Strassburg, 17.3.01
Liebster Freund,
Heute erst komme ich dazu, Deiner lieben Gattin und Dir mein und meiner Frau herzliches Beileid zu dem Verlust Deiner Frau Schwiegermutter[1] auszusprechen! wir haben innig daran Anteil genommen.
Hoffentlich bist Du sonst mit Deinem eignen Befinden und mit dem Ergehen Deiner Familie zufrieden und siehst fröhlicher auf das Semester zurück, als ich es leider betreffs der zweiten Hälfte thun kann. Das neue Jahrhundert hat uns wieder schwere Influenza[2] ins Haus gebracht; meine Frau und die Kinder haben dran gelitten; ich schüttelte sie vor vier Wochen kurz ab, bekam aber dafür mit Se|mesterschluß einen um so unbequemeren Rückfall, von dem ich soeben dem Bett zu entrinnen anfange. Wie es mit der Erholung werden wird, kann ich noch nicht übersehen; vielleicht gehe ich meiner „Unterthanen“[3] wegen in irgend ein Bad. Aus dem schönen Gedanken, Dich in Rom zu treffen, wird wohl kaum etwas werden: der stud. Kaufmann[4], der mir von Deinen Absichten erzählte, erweckte mir freilich große Sehnsucht danach. Allein, da meine Frau nächstens für verschiedne Wochen zu Stutz’ens[5] reist, da mein zweiter Schwiegersohn Goette[6] in vierzehn Tagen nach Berlin geht, um dort in den städtischen Schuldienst einzutreten, da gleich darauf mein Sohn Sigfrid, der Fahnenjunker bei den | Pionieren ist, zur Kriegsschule, vermuthlich nach Hannover abgeht, und da um dieselbe Zeit meine älteste Enkelin[7] für einige Zeit herkommt, so muß ich solange bis all das abgelaufen ist, doch hier einen gewissen Drehpunct der wandernden Familie bilden und werde wohl erst um Ostern[8] fortkommen. Bis dahin hoffe ich übrigens auch noch ein Manuskript abzuschließen[9], das leider durch die Influenza in Rückstand gekommen ist.
Dein letztes schönes Buch[10] ist mir für meine Ethik in diesem Winter[11] recht wertvoll gewesen, ich habe seinen Werth – unter uns gesagt – in erhöhtem Maße an dem Vergleich mit dem so wenig geglückten Buche von Rich[ard] Schmidt[12] schätzen lernen, das mir ein starkes ϑαυμάζειν[13] erregt | hat.
Inzwischen ist uns ja nun Erdmannsdörffer[14] entrissen worden; es hat mich sehr bewegt, da ich manche interessante und frohe Stunde mit ihm verplaudert habe, – ein gern gesehenes Gesicht weniger für die Badener Tage[15]!
Anbei ein paar Kleinigkeiten mit einem Exemplar meiner zweiten Auflage[16], – vielleicht interessirt Dich an dieser der doch der neu gearbeite Schluß.
Mit herzlichstem Gruße von Haus zu Haus Dein getreuer
W Windelband
Kommentar der Herausgeber
1↑Schwiegermutter ] die Lebensdaten von Wilhelmine Wertheim, geb. Walcher, sind nicht ermittelt (NDB).2↑wieder schwere Influenza ] vgl. Windelband an Karl Dilthey vom 10.8.1896 sowie den Bericht des Straßburger Internisten Bernhard Naunyn (1888–1904 an der dortigen medizinischen Fakultät): Im Winter 1889/90 kam auch nach langer Zeit die greuliche Influenza wieder nach Europa. Ich war vielleicht der erste Fall, der in Straßburg daran erkrankte, und sie ließ mich nicht los, in jedem der folgenden drei Winter hatte ich außer meinen üblichen Erkältungen einen Anfall richtiger Influenza zu überstehen (Bernhard Naunyn: Erinnerungen, Gedanken und Meinungen. München: J. F. Bergmann 1925, S. 480).4↑stud. Kaufmann ] in Frage kommt Hans Kaufmann aus Charlottenburg in Brandenburg, im WS 1899/00 und SS 1900 in Heidelberg, wo Jellinek seit 1892 lehrte, an der philosophischen Fakultät eingeschrieben (Personalverzeichnisse Universität Heidelberg). Etwaiger Wechsel nach Straßburg nicht ermittelt.7↑meine älteste Enkelin ] Irmgard Stutz (*6.6.1899), Tochter von Windelbands Tochter Elly und Ulrich Stutz in Freiburg (Wer ist’s? 1912, S. 1597).9↑ein Manuskript abzuschließen ] gemeintes nicht ermittelt. Von Windelband erschien 1901: Platon. In: Handwörterbuch der Staatswissenschaften Bd. 6. Hg. v. J. Conrad, L. Elster, W. Lexis, Edg. Loening. 2., gänzlich umgearbeitete Aufl. Jena: Gustav Fischer 1901, S. 91–97; Zu Platon’s Phaidon. In: Strassburger Festschrift zur 46. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner. Hg. v. der Philosophischen Fakultät der Kaiser-Wilhelms-Universität. Strassburg: Trübner 1901, S. 287–297; Zum Gedächtniss Elwin Bruno Christoffel’s. In: Mathematische Annalen 54 (1901), Heft 3 vom 26.2.1901, S. 341–344; Zur Wissenschaftsgeschichte der romanischen Völker. In: Grundriss der romanischen Philologie. Unter Mitwirkung v. … hg. v. Gustav Gröber. Bd. 2, 3. Abt. Straßburg: Karl J. Trübner 1901, S. 550–578.10↑letztes schönes Buch ] vgl. Georg Jellinek: Allgemeine Staatslehre. Berlin: Häring 1900 (Das Recht des modernen Staates Bd. 1).11↑Ethik in diesem Winter ] Windelbands Straßburger Vorlesung vom WS 1900/01: Ethik (Grundzüge der Moral-, Rechts- und Geschichtsphilosophie); Montag und Dienstag von 5–6 Uhr (Vorlesungsverzeichnis Straßburg).12↑von Richard Schmidt ] vermutlich Richard Schmidt: Die gemeinsamen Grundlagen des politischen Lebens. Leipzig: Hirschfeld 1901 (Hand- und Lehrbuch der Staatswissenschaften Abt. 3, Bd. 1).14↑Erdmannsdörffer ] Bernhard Erdmannsdörffer (1833–1901, gest. 1.3.1901), Historiker, seit 1874 Prof. in Heidelberg (NDB).16↑Exemplar meiner zweiten Auflage ] vgl. Windelband: Geschichte der Philosophie. 2., durchgesehene u. erweiterte Aufl. Tübingen/Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1900.▲