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- TitleWindelband an Paul Natorp, Straßburg, 22.2.1889, 2 S., hs. (dt. Schrift), UB Marburg, Autographenslg. Hs 831:1164
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Windelband an Paul Natorp, Straßburg, 22.2.1889, 2 S., hs. (dt. Schrift), UB Marburg, Autographenslg. Hs 831:1164
Strassburg iE, 22.2.89.
Sehr geehrter Herr College,
Gestatten Sie mir gütigst, eine Frage an Sie zu richten, für welche ich Ihre volle Diskretion in Anspruch nehme und sicher darauf rechne.
Von Dorpat aus hat man mir die Ehre erwiesen, anzufragen[1], ob ich nicht einen Philosophen wisse, der bereit sei, dort Teichmüller’s Professur[2] zu übernehmen, welche an Gehalt 2400 und an Collegiengeldern ca. 1500–2000 Rubel eintrage.
Da nun für unsre freiwerdenden Professuren[3] in erster Linie auch Sie in Betracht kommen, so will ich nicht versäumen, vor meiner Antwort bei Ihnen anzufragen. Zwar verberge ich mir nicht, daß der Umstand, der vorhergehenden Berufung Falckenberg’s[4] Sie nicht geneigter machen kann, auf eine solche Anfrage einzugehen. Ebenso ist, da Sie wie ich höre verheiratet sind, | zu bedenken, ob man einem Deutschen zumuten soll, in jetziger Lage mit Familie nach Dorpat überzusiedeln. Da ich indessen Ihre gegenwärtige Stellung nicht kenne, so möchte ich doch bei Ihnen anfragen, ob ich eventuell den Herrn dort schreiben darf, Sie seien nicht abgeneigt, in Verhandlungen einzutreten. Ein bestimmtes Versprechen habe ich natürlich nicht zu erbitten. Sondern meine Frage ist mehr negativ: – ob Sie a limine[5] dagegen sind? In letzterem Falle würde ich Sie nicht erst nennen.
Für möglichst eingehende Antwort wäre ich in Bezug auf meinen Brief dahin dankbar. Den Band von Kuno Fischer[6] darf ich wohl erwarten?
Mit besten Gruß Ihr
Windelband[a]
Kommentar zum Textbefund
a↑Windelband ] folgen Bleistiftnotizen auf Bl. 2v, vermutlich von Natorps Hand (Gehaltsberechnungen): 4000 2,25 9000 | 2400 2,25 5400 | 4500 9900 | 2000 2.25Kommentar der Herausgeber
1↑anzufragen ] vgl. die parallele Anfrage über Ivo Bruns durch Jan Niecislaw Baudouin de Courtenay an Wilhelm Wundt aus Dorpat vom 17.2.1889 (Auszug): Seit dem Tode Teichmüller’s ist unser einziger Lehrstuhl für Philosophie und Pädagogik vacant und wir sind gezwungen ihn zu besetzen. Der von uns zu erwählende ist einziger Repräsentant beider Fächer, müßte also ziemlich vielseitig sein. Die Hauptdisciplinen aber, in welchen er officiell am meisten thätig sein muß, sind 1) vorzugsweise die Logik und 2) die Geschichte der Philosophie. Officiell nicht so wichtig, aber ihrem Wesen nach unentbehrlich ist die Psychologie. […] Einige unserer Collegen, in erster Reihe classische Philologen, schlagen als den einzigen Candidaten den Herrn Ivo Bruns in Kiel vor und behaupten, es sei sonst kein passender Candidat zu finden. Mir aber und noch einigen anderen scheint Bruns zu einseitig philologisch zu sein […]. In Anbetracht dessen habe ich mich entschlossen, Sie, als einen der hervorragendsten Vertreter der Philosophie in Deutschland, mit der zudringlichen Bitte zu belästigen, mir baldmöglichst auf folgende Fragen zu antworten: 1) Halten Sie Bruns für einen der oben erwähnten Anforderungen vollkommen entsprechenden Candidaten? 2) Könnte man nicht für den einzigen philosophischen Lehrstuhl einen wirklichen Philosophen finden, welcher deutsch vortragen könnte und bereit wäre, einem etwaigen Rufe nach Dorpat Folge zu leisten? Er würde als Ordinarius 2400 Rubel jährlich erhalten. Von Collegiengeldern kann der Philosoph in Dorpat, wenn ich nicht irre, ungefähr 1500–2000 Rubel haben. Nach den russischen Gesetzen muß ein Professor einer der christlichen Confessionen angehören (NA Wundt/III/1001-1100/1096/453–456; https://histbest.ub.uni-leipzig.de/content/estate_wundt.xed). Eine ähnliche Anfrage erging auch an Kuno Fischer, der Hugo Münsterberg ins Auge faßte, vgl. Münsterberg an Wundt vom 22.5.1889.2↑Teichmüller’s Professur ] Gustav Teichmüller, seit 1871 Professor für Philosophie an der Universität Dorpat, war am 22.5.1888 verstorben (BEdPh).3↑freiwerdenden Professuren ] vgl. z. B. die Anfrage von Alois Riehl aus Freiburg an Wilhelm Wundt vom 7.10.1889, ob Windelband in Halle vorgeschlagen sei, wo er selbst in Frage käme (NA Wundt/III/1301-1400/1386/389-392; https://histbest.ub.uni-leipzig.de/content/estate_wundt.xed).4↑Berufung Falckenberg’s ] Richard Falckenberg (1851–1920), 1889 nach Erlangen berufen (BEdPh). – Natorp war mehrfach im Gespräch für philosophische Lehrstühle, wurde jedoch nie aus Marburg wegberufen. Natorps Nähe zur Sozialdemokratie und seine kollegiale und freundschaftliche Bindung an Hermann Cohen erwiesen sich als Karrierehindernis (vgl. Helmut Holzhey: Cohen und Natorp Bd. 1/2. Basel, Stuttgart: Schwabe 1986).6↑Band von Kuno Fischer ] gemeintes Werk nicht ermittelt, Bezug unklar. Weitere Korrespondenz Windelbands mit Natorp ist nicht nachgewiesen.▲