Bibliographic Metadata
- TitleArthur Drews an Vaihinger, Karlsruhe, 23.1.1931, 3 S., Ts. mit eU, vereinzelte hs. Korrekturen, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 6 l, Nr. 2
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 6 l, Nr. 2
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Arthur Drews an Vaihinger, Karlsruhe, 23.1.1931, 3 S., Ts. mit eU, vereinzelte hs. Korrekturen, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 6 l, Nr. 2
Karlsruhe 23 Januar 1931
Gebhardstrasse 21.
Sehr geehrter Herr Kollege!
Empfangen Sie meinen Dank für die freundliche[a] Übersendung[1] Ihres Aufsatzes[2] „Ist die Philosophie des Als-Ob religionsfeindlich?“ Ich habe denselben mit Interesse gelesen. Eigentümlich berührt hat mich jedoch der „Nachtrag“. Sie behaupten hier, dass ich zur Stütze meiner Behauptungen über die Ungeschichtlichkeit Jesu mich auf Ihre Fiktionenlehre berufen habe. Das muss ich zurückweisen. Ich habe an der bezüglichen Stelle[3] nur behauptet, dass, wenn Jesus nur eine Fiktion, eine bewusste Erdichtung im Sinne der Philosophie des Als-Ob wäre, der christliche Glaube in der Luft schwebe, da er sich ganz und gar auf die Annahme eines geschichtlichen Jesus gründe. Damit ist keinerlei Stellung zu Ihrer Lehre eingenommen, weder für noch gegen dieselbe,[b] sondern nur gesagt, dass der christliche Glaube durchaus den geschichtlichen Jesus fordere. Bin ich doch auch mit Ihnen vollkommen darin einig und habe dies wieder und immer wieder in meinen bezüglichen Schriften hervorgehoben, dass die Frage, ob Jesus eine geschichtliche Persönlichkeit sei, nur vom geschichtlichen[c] Standpunkt aus, nach rein historischer Methode beantwortet werden könne, und dies gerade aus dem Grunde, weil die Theologen ihre religiösen Kategorien von „Offenbarung“ und „Glaube“ nur zu gerne in die ganze Frage hineinmischen möchten. Dass nun Sie, obwohl kein Theologe, die Existenz Jesus „für eine hinlängliche gesicherte historische Erkenntnis“ halten, nimmt mich allerdings wunder. Sie berufen sich dabei auf Eduard Meyer[4]. Aber ich wüsste nicht, welchen durchschlagenden Grund dieser „grosse Historiker“ für seine Annahme anzuführen hätte. Er verteidigt ja nur einfach die Überlieferung, und zwar auf Grund der „Abzugsmethode“, nach welcher zwar manches Mythische in Jesu Geschichte enthalten sein, das Übrige jedoch wirkliche Geschichte | oder das Mögliche zugleich auch schon wirklich sein soll (!),[d] eine Methode, die ich genügend im zweiten Teil der Christusmythe[5] charakterisiert zu haben glaube, und er[e] tut dies noch dazu in so reaktionärer Weise, dass seine Ausführungen selbst von hervorragenden Theologen abgelehnt sind, und man besonders in Holland, wo man einen viel freieren Standpunkt einnimmt als in Deutschland, sich mit Recht über Meyers Verfahren lustig macht. Sie meinen, die Existenz[f] eines Jesus von Nazareth sei „viel wahrscheinlicher“ als die Nichtexistenz desselben. Dabei scheinen Sie mir aber doch die Schwierigkeiten zu verkennen, die sich vom Gesichtspunkte des Historikers aus mit der Annahme seiner Existenz verknüpfen, wie zum Beispiel das Auftreten und die Lehre eines Paulus (S. P. L. Couchoud: Le mystere de Jésus (1924)[)]. Die Nichtexistenz soll nach Ihnen die Entstehung der neutestamentlichen Schriften und der ältesten Patristischen Litteratur unerklärbar machen. Ich fürchte, dass Sie hier sich doch zu sehr auf die herkömmliche Ansicht der deutschen Theologen, zumal aus der Schule Harnacks verlassen, während wiederum besonders von holländischer und englischer Seite aus, neuerdings auch von den Franzosen die völlige Unhaltbarkeit der bisherigen Annahme über die Entstehung der neutestamentlichen[g] Schriften aufgezeigt[h] ist und, wie ich in meinem Buche „Die Entstehung des Christentums aus dem Gnostizismus“[6] gezeigt zu haben glaube, gerade[i] die Entstehung der neutestamentlichen[j] Schriften unter der Voraussetzung eines geschichtlichen Jesus unbegreiflich ist. In der Patristischen Litteratur glaube ich mich ziemlich gut auszukennen, ich habe aber in ihr[k], trotz allen Suchens, bisher noch keine einzige Behauptung angetroffen, die zu Gunsten eines geschichtlichen Jesus in die Wagschale[l] fiele. Die Väter setzen nämlich, wie bisher unsere Theologen, die Annahme eines gesch[ichtlichen] Jesus nur einfach[m] unbesehen voraus und, wo sie einen Beweis für sein Dasein zu geben versuchen, da ist es immer nur der[n] Schriftbeweis, der Hinweis auf die alttestamentlichen Weissagungen, die in Jesus ihre Erfüllung gefunden haben sollen, was wohl heute kein vernünftiger Mensch mehr als Beweis ansehen wird, da die Geschichte Jesu meines Erachtens gerade umgekehrt aus dem Weissagungsbeweis erwachsen ist. Den eingehenden Nachweis dieser Tatsache glaube ich unwiderleglich in meinem Buche „Das Markusevangelium als Zeugnis[o] gegen die Geschichtlichkeit Jesu“ (2 Aufl. 1928) geliefert | zu haben, indem ich gezeigt habe, dass im „ältesten“ Evangelium, demjenigen des Markus, alles, aber auch schlechthin alles dem AT[p] entlehnt und das ganze Leben Jesu mit Zuhilfenahme der Astralmythologie – erdichtet ist. Eine ernsthafte Widerlegung von theologischer Seite ist mir bisher nicht zu Gesichte gekommen, hingegen hat der Religionsgeschichtler Alfaric an der Strassburger Universität sich in seinem[q] Werke über das Markusevangelium[7] meine Ansicht völlig zu eigen gemacht. Wer heute die Geschichtlichkeit Jesu annimmt, muss diejenigen Stellen im Evangelium aufzeigen, die nicht dem AT ihre Entstehung verdanken. Solche Stellen aber gibt es nicht. Mit dem gänzlichen Fortfall eines Was scheint mir aber auch das Dass eines geschichtlichen Jesus hinfällig geworden. Vielleicht darf ich Sie auf das jüngst erschienene Werk des Professors an der Utrechter Universität „Leeft Jezus of heeft Hij alleen maar geleefd?“[8] (Arnheim 1930) hinweisen, in welchem alle Einwände zusammengestellt sind, die[r] in der letzten Zeit gegen die Jesusleugner erhoben sind; es stellt sich heraus, dass kein einziger sich irgendwie stichhaltig erweist. Es würde mich freuen, wenn Sie vor der Drucklegung Ihres Friedrichrodaer Vortrags[9] die bezügliche Litteratur und nicht bloss die Theologische, einer genaueren Durchsicht unterziehen würden, was ja im Interesse der Sache sehr zu wünschen wäre, denn die deutschen[s] Theologen sind ja in der ganzen Frage sämtlich befangen, und nicht zuletzt Jülicher und Niebergall[10]. In jedem Falle sehe ich dem Erscheinen Ihres Vortrags mit Spannung entgegen und hoffe daraus zu lernen, nachdem ich mich überzeugt habe, dass ich von theologischer Seite in der ganzen Frage grundsätzlich nichts mehr lernen kann.
Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebener
A. Drews
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Ihres Aufsatzes ] nicht ermittelt, nicht erschienen. Vermutlich ist ein Manuskript an Drews gegangen, das nicht identisch ist mit Vaihinger: Ist die Philosophie des Als-Ob religionsfeindlich? In: Gunnar Aspelin u. Elof Åkesson (Hg.): Studier tillägnade Efraim Liljequist den 24 september 1930. Andra bandet. Lund: Aktiebolaget Skånska Centraltryckeriet 1930, S. 193–222 (davon ist auch ein Sonderdruck erschienen), denn weder geht dieser Text ausdrücklich auf einen Friedrichrodaer Vortrag (s. u.) zurück, noch enthält er einen auf Drews bezüglichen Nachtrag.3↑bezüglichen Stelle ] vgl. Drews: Die Leugnung der Geschichtlichkeit Jesu in Vergangenheit und Gegenwart. Karlsruhe: Braun 1926, S. 216.4↑auf Eduard Meyer ] vermutlich gemeint: Eduard Meyer: Ursprung und Anfänge des Christentums. In 3 Bänden. Stuttgart: Cotta 1921–1923.5↑Christusmythe ] vgl. Drews: Die Zeugnisse für die Geschichtlichkeit Jesu. Eine Antwort an die Schriftgelehrten mit besonderer Berücksichtigung der theologischen Methode. Nebst einem Anhang: Ist „Der vorchristliche Jesus“ widerlegt? Eine Auseinandersetzung mit Weinel von W. B. Smith. 1.–3. Tsd. Jena: Diederichs 1911 (Die Christusmythe Teil 2).7↑Werke über das Markusevangelium ] vgl. Prosper Alfaric: La plus ancienne vie de Jésus: l’Evangile selon Marc. Traduction nouvelle avec introduction et notes. Paris: Rieder 1929.8↑„Leeft Jezus of heeft Hij alleen maar geleefd?“ ] vgl. Gustaaf Adolf van den Bergh van Eysinga: Leeft Jezus of heeft Hij alleen maar geleefd? Een studie over het dogma der historiciteit. Arnhem: Van Loghum Slaterus 1930.10↑Jülicher und Niebergall ] gemeint sind die evangelischen Theologen Adolf Jülicher (1857–1938) und Friedrich Niebergall (1866–1932), NDB.▲