Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Oskar Walzel, Halle, 11.7.1916, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf (Stempel) Univ.-Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., Deutsches Literaturarchiv Marbach, A:Walzel 92.3
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- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationDeutsches Literaturarchiv Marbach, A:Walzel 92.3
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Vaihinger an Oskar Walzel, Halle, 11.7.1916, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf (Stempel) Univ.-Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., Deutsches Literaturarchiv Marbach, A:Walzel 92.3
Halle a. S. Reichardtstr. 15.
11. Juli 1916
Herrn Geh. Hofrath Prof. Dr. Walzel, Dresden.
Verehrtester Herr Kollege!
Haben Sie verbindlichsten Dank für die liebenswürdige Übersendung Ihres Vortrages: „Die künstlerische Form des Dichtwerkes“[1], der einen so anschaulichen Einblick in die Probleme und in die Methoden Ihrer Formforschung gewährt. Die Analyse der verschiedenen Formelemente in ihrem Nebeneinander und in ihrem Ineinander ist eine höchst wertvolle Aufgabe, welche bisher ungebührlich in den Hintergrund getreten ist und es ist sicher ein grosses und wichtiges Ziel, das Sie der Literaturgeschichte stellen, nach dieser Seite hin die bisherigen rein historischen Forschungen durch ästhetische zu ergänzen. Es ist reizvoll, zu verfolgen, wie Sie an den Beispielen von „Rosmersholm“[2], und von „Emilia Galotti“[3] die architektonischen Bauformen aufzeigen, welche in der Anlage derartiger Dichtwerke zur Geltung kommen. Es ist eine wertvolle Bereicherung des Gesichtskreises, zu erkennen, dass der Dichter, wie der bildende Künstler, nach architektonisch-formalen Regeln verfährt, und es ist eine Bereicherung der Wissenschaft, diese Regeln, deren Befolgung den ästhetischen Reiz des Kunstwerkes ausmacht, dem Leser zum Bewusstsein zu bringen. Eine besondere Frage ist dabei, ob diese Regeln den betreffenden Dichtern stets voll und ganz zum Bewusstsein gekommen sind, aber auch der bildende Künstler verfährt wohl manchmal unbewusst. Aber meistens sind sich wohl Künstler und Dichter dieser Regeln bewusst. Sicher ist das der Fall bei den Dichtern, welche Sie behandeln, bei Ibsen und Lessing, bei Zola, bei der Ricarda Huch und bei Klara Viebig.
Die Übersicht Ihrer Beiträge zu diesen Forschungen am Schluss lässt den lebhaften Wunsch aufkommen, Sie möchten alle diese verschiedenen teilweise schwer zu erreichen Aufsätze bald in einem Sammelbande[4] veröffentlichen.
Mit collegialem Gruss Ihr ganz ergebener
Vaihinger
P. S. Ich erzählte Ihnen in Dresden[5] noch, dass auf meine Veranlassung hin vor einigen Jahren der Pastor Sulze in Dresden, welcher unterdessen gestorben ist, Nachforschungen in den Dresdener Archiven über die Anfänge des Fichteschen Atheismusstreits gemacht hat.[a] |
Diese Forschungen von Sulze finden Sie veröffentlicht im 11. Band der Kantstudien, 1906, Seite 233 bis S. 239: „Neue Mitteilungen über Fichtes Atheismusprozess“.
Besonders bemerkenswert ist dabei der Anteil, den der damalige Dresdener Oberhofprediger Reinhard an der Sache hatte. Reinhard hatte früher selbst Vorlesungen über Kant in Wittenberg gehalten, welche daselbst im Druck erschienen sind. Näheres darüber finden sie im 2. Band der Kantstudien 1897, Seite 378 bis Seite 380. In meinem kleinen Artikel: „Ein Kantbibliographisches Kuriosum“.
Reinhard nahm im Dresdener Geistesleben eine sehr bedeutende Stellung ein. Er hat wohl noch in den Jahren 1814 bis 1818 gelebt. Schopenhauer hat schwerlich zu ihm den Weg gefunden.
Bemerkenswert ist noch, dass die erste Anklage des Dresdener Oberkonsistoriums sich ausschliesslich gegen Forberg wendet, welcher in Fichtes Zeitschrift einen Artikel geschrieben hatte, in welchem er den Als Ob-Standpunkt vertrat. Forberg ist der wichtigste Vorgänger der Philosophie des Als Ob. Ich habe in meinem gleichnamigen Buche ihm und seiner „Religion des Als Ob“ einen grossen Abschnitt gewidmet. Seitdem ist man auf diesen Mann aufmerksam geworden. Es sind seitdem mehrere Schriften und Abhandlungen erschienen. Auch wird die Neuausgabe seiner Publikationen geplant[6].
V
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑„Die künstlerische Form des Dichtwerkes“ ] vom 24.11.1915, vgl. Walzel: Die künstlerische Form des Dichtwerks. In: Deutsche Abende im Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht. 3. Vortrag. Berlin: S. Mittler 1916.4↑in einem Sammelbande ] Walzel hat das Thema seines Vortrages u. a. aufgenommen in ders.: Das Wortkunstwerk. Mittel seiner Erforschung. Leipzig: Quelle & Meyer 1926.6↑Neuausgabe seiner Publikationen geplant ] nicht nachgewiesen. Eine gesammelte Ausgabe der Schriften Friedrich Carl Forbergs erschien erst 2021, hg. v. Guido Naschert (Paderborn: Brill).▲