Bibliographic Metadata
- TitleAnton von Leclair an Vaihinger, Wien, 17.5.1916, 4 S., hs. (andere Hd., mit eU und eigenhändigen Bleistiftergänzungen), Briefkopf (Stempel) Dr. Ant. v. Leclair, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 6 m, Nr. 15
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 6 m, Nr. 15
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Anton von Leclair an Vaihinger, Wien, 17.5.1916, 4 S., hs. (andere Hd., mit eU und eigenhändigen Bleistiftergänzungen), Briefkopf (Stempel) Dr. Ant. v. Leclair, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 6 m, Nr. 15[a]
Wien, IX. Wasagasse 27.[b]
Wien 17. Mai 1916.
Hochverehrter Herr Geheimrat!
Zunächst danke[c] ich bestens für Ihre freundliche Karte vom 18. April[1]. – Ich schicke voraus, daß ich selbstverständlich eine Antwort auf folgende Zeilen Ihrerseits nicht erwarte und zufrieden bin, wenn Sie deren Inhalt zur Kenntnis nehmen. Prof. Bauch hat meine Abhandlung abgelehnt mit der Begründung, daß „ihr Thema von dem eigentlichen Programm der Kantstudien[d] allzu weit abliegt“.[2] Über diese Motivierung müßte ich erstaunt sein, wenn ich sie für ganz aufrichtig halten müßte; ich glaube, daß ein andres Motiv maßgebend war. Hielt Prof. Bauch die Arbeit für zu wenig bedeutend oder erschien sie ihm mit allzu groben Gebrechen | behaftet, so hätte ich ein dahin lautendes Urteil ganz gut vertragen. Im literarischen Kampfe habe ich zumal bei der Frage der Zulassung der Lehrbücher der Logik und Psychologie[3] mir so viel gefallen lassen müssen, daß ich[e] gegen Tadel ziemlich abgehärtet bin, und auf eine Enttäuschung mehr oder weniger kommt es mir am Abend eines Lebens, das mir so viele Enttäuschungen brachte, wirklich nicht an. Eine Ablehnung habe ich gefürchtet wegen gewisser praktischer Konsequenzen meines Radikalismus gegenüber dem Transzendenz-Wahn. Vielleicht war für den Redaktor diese Rücksicht maßgebend. – Daß die Arbeit im Rahmen der Kantstudien[f] keinen Platz finden soll, ist mir einfach unverständlich. Meine Betrachtungen stützen sich durchaus auf | Errungenschaften des Kantschen Denkens, das ich allerdings konsequent durchzuführen versuche. Der größere und mir wichtigere Abschnitt der Arbeit handelt vom fremden Bewußtsein. Soviel ich sehe, kennt Kant das erkenntnistheoretische Problem des Ich in seinem Verhältnis[g] zum Du und Er nicht, und auch in der mir bekannten späteren Literatur finde ich diese Lücke nicht ausgefüllt. Mein Streben war, eine Lösung dieses allerdings schwierigen Problems zu versuchen und bei strengster Selbstkritik hoffte ich, daß wenn schon nicht mein Resultat,[h] so doch mein Weg der Untersuchung, beziehungsweise der Nachweis der Schwierigkeiten jenes Problems unter allen Umständen einige Beachtung finden wird. Endlich gibt es noch eine Möglichkeit, die mir die Ablehnung | meiner Arbeit erklären könnte: ich war überrascht, daß Prof. Bauch[i] schon am 10. Mai seinen Entschluß fassen konnte. Bei alledem, was der arme Mann durchgemacht hat[4], mußte ich seine Entscheidung für einen viel späteren[j] Zeitpunkt erwarten. Es kommt mir kaum glaublich vor, daß der Mann Stimmung, Kraft und Zeit gefunden haben soll, die umfangreiche Arbeit eingehend zu lesen. Es ist vielleicht nicht ganz leicht, primo impetu[k] sich in meinen Gedankengang bezüglich des Du hineinzufinden[l]. Indessen die Würfel sind gefallen, das Manuskript ist auf dem Wege nach Wien[m] zurück, und nun warte ich den Frieden ab, ehe ich weitere Entschließungen fasse.
Mit den herzlichsten Grüßen und Wünschen für Ihr Wohl bittet seiner auch weiterhin freundlich zu gedenken Ihr Sie hochschätzender
Leclair[n]
Kommentar zum Textbefund
g↑in seinem Verhältnis ] Einfügung am unteren Seitenrand mit Bleistift durch von Leclairs Hd.; Einfügungszeichen mit BlaustiftKommentar der Herausgeber
2↑Prof. Bauch … abliegt“. ] etwaiges Schreiben Bauchs an von Leclair nicht ermittelt; von Leclair hatte eine Veröffentlichung in den Kantstudien-Ergänzungsheften angestrebt, vgl. von Leclair an Vaihinger vom 2.4.1916. Die Arbeit blieb vermutlich unveröffentlicht, vgl. den Kommentar zu von Leclair an Vaihinger vom 22.5.1916.▲