Bibliographic Metadata
- TitleAlfred Adler an Vaihinger, Wien, 5.6.1912, 2 S., Ts. mit eU, vereinzelte hs. Korrekturen mit Bleistift, Briefkopf Dr. med. ALFRED ADLER | Ordination für Nervenkrankheiten | 2–3 Uhr. | Telephon 17062. | WIEN I. Dominikanerbastei 10., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 1 c, Nr. 2
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 1 c, Nr. 2
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Alfred Adler an Vaihinger, Wien, 5.6.1912, 2 S., Ts. mit eU, vereinzelte hs. Korrekturen mit Bleistift, Briefkopf Dr. med. ALFRED ADLER | Ordination für Nervenkrankheiten | 2–3 Uhr. | Telephon 17062. | WIEN I. Dominikanerbastei 10., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 1 c, Nr. 2
Sehr geehrter Herr Professor!
Ihr freundlichen Zeilen[1] haben mich sehr erfreut, und ich empfand es besonders peinlich, Ihrer grossen Liebenswürdigkeit gegenüber mein Versprechen noch nicht einlösen zu können. Mein Verleger, Bergmann in Wiesbaden, kommt seit Fertigstellung des Buches[2], also seit 2 Monaten, nicht vom Fleck. Ich erwarte also das Buch nach wie vor in einigen Tagen. Gleichzeitig werde ich dann die auf Ihr imposantes Werk[3] bezüglichen Stellen[4] für den Prospekt anmerken. Ferner habe ich vor, eine Besprechung in einer pädagogischen Zeitschrift[5] und, wie Sie mit Recht beanspruchen müssen, in einem psychiatrischen Organ erscheinen zu lassen. Beide bekommen Sie für den Prospekt[6].
Früher als mein Buch wird Furtmüllers „Psychoanalyse und Ethik“[7] an Sie gelangen, das Buch eines meiner Anhänger, der sich auch auf Sie bezieht, wenngleich er einige Grade kühler urteilt, was aber bei noch näherer Bekanntschaft weichen wird. Die schöne Arbeit Professor Jerusalems[8] war uns nicht entgangen. Im Namen unseres Vereines danke ich Ihnen | für deren Uebersendung. Ich hoffe, dass wir Ihnen unsere Arbeiten[9] auch weiterhin übersenden dürfen, als demjenigen Philosophen, der unser Verständnis für das ALS-OB[a] des gesunden und kranken Seelenlebens zu grösserer Klarheit gebracht hat.
Indem ich auch für die Arbeit das Gymnasium betreffend[10] herzlichst danke, – Ich[b] habe sie bereits an unsere Fachpädagogen weiter gegeben, – möchte ich mir den Hinweis gestatten, dass auch[c] diese Arbeit recht wohl für ein Werk der letzten Tage[11] genommen werden muss, ebenso wie Ihr letztes Werk.
Mit vielem Dank Ihr ergebener
Adler.
Wien, am 5/VI 1912.[d]
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑des Buches ] Alfred Adler: Über der nervösen Charakter. Grundzüge einer vergleichenden Individualpsychologie und Psychotherapie. Wiesbaden: J. F. Bergmann 1912.4↑bezüglichen Stellen ] vgl. die Erwähnungen Vaihingers in Adler: Über den nervösen Charakter (1912), 1. Kapitel: Ursprung und Entwickelung des Gefühls der Minderwertigkeit und dessen Folgen; 2. Kapitel: Die psychische Kompensation und ihre Vorbereitung; 3. Kapitel: Die verstärkte Fiktion als leitende Idee in der Neurose.6↑Prospekt ] des Verlags Reuther & Reichard für Vaihingers Philosophie des Als Ob, abgedruckt u. a. in: Vaihinger: Nietzsche als Philosoph. 4., vom Verf. neu durchgesehene Aufl., Feldausgabe, erstes bis zehntes Tausend. Berlin Reuther & Reichard 1916, nach S. 80, mit Zitat nach angeblich: Zeitschrift für Psychoanalyse, 1912, S. 171. „In einer grandiosen Synthese erfasst dieser geniale Forscher das Wesen des Denkens als ein Mittel zur Bewältigung des Lebens. Diese tiefe Konzeption war nötig, uns ganz mit den Kunstgriffen unseres Denkens vertraut zu machen, und ist eine Einsicht, die unsere Weltanschauung entsprechend umgestalten wird.“ Dr. med. Alfred Adler–Wien. Dieses Zitat ist nicht nachgewiesen, vgl. dagegen Adler: Zur Rolle des Unbewußten in der Neurose. In: Zentralblatt für Psychoanalyse 3 (1913), Heft 4–5, S. 169–174, hier S. 171: In einer grandiosen Synthese erfaßt dieser geniale Forscher das Wesen des Denkens als ein Mittel zur Bewältigung des Lebens, das mit dem Kunstgriff der Fiktion, einer theoretisch wertlosen, aber praktisch notwendigen Idee seinen Zweck zu erreichen sucht. War diese tiefe Konzeption und Klarstellung des Wesens der Fiktion erst nötig, uns ganz mit den Kunstgriffen unseres Denkens vertraut zu machen – eine Einsicht, die unsere Weltanschauung entsprechend umgestalten wird – so liegt in der Tatsache ihrer „Entdeckung“ bereits angedeutet, daß auch die leitende Fiktion des Seelenlebens dem Unbewußten angehört und daß ihr Auftauchen ins Bewußtsein für den Endzweck teils überflüssig, teils aber hinderlich sein kann.7↑Furtmüllers „Psychoanalyse und Ethik“ ] vgl. Carl Furtmüller: Psychoanalyse und Ethik. Eine vorläufige Untersuchung. München: Ernst Reinhardt 1912 (Schriften des Vereins für freie psychoanalytische Forschung Nr. 1). Zu Vaihinger dort S. 17.8↑Arbeit Professor Jerusalems ] von Wilhelm Jerusalem waren 1912 erschienen: Die Aufgaben des Lehrers an höheren Schulen. Erfahrungen und Wünsche. 2., neu verfaßte Auflage von „Die Aufgaben des Mittelschullehrers“. Wien: Braumüller; Lehrbuch der Psychologie. 5. Aufl. Wien: Braumüller.9↑unsere Arbeiten ] gemeint ist die Reihe: Schriften des Vereins für freie psychoanalytische Forschung bzw. Schriften des Vereins für Individualpsychologie.10↑Arbeit das Gymnasium betreffend ] gemeint ist vermutlich Vaihinger: Naturforschung und Schule. Eine Zurückweisung der Angriffe Preyers auf das Gymnasium vom Standpunkte der Entwicklungslehre. Ein Vortrag in der dritten allgemeinen Sitzung der 61. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Köln am 22. September 1888 gehalten. Köln/Leipzig: Albert Ahn 1889.11↑Werk der letzten Tage ] redensartlich, mit starkem biblischem Nebensinn, vgl. Offenbarung Johannis 20, 12.▲