Bibliographic Metadata
- TitleHermann Bahr an Vaihinger, Wien, 12.3.1912, 4 S., hs. (von anderer Hd., mit eU), Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 2 e, Nr. 1
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 2 e, Nr. 1
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Hermann Bahr an Vaihinger, Wien, 12.3.1912, 4 S., hs. (von anderer Hd., mit eU), Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 2 e, Nr. 1
Wien XIII/7 12.3.12.
Sehr verehrter Herr Professor!
Ich bin seit Mitte Januar von Wien weg gewesen, um in verschiedenen deutschen Städten Vorlesungen zu halten, und gestern Abends erst heimgekehrt, so dass mir Ihr so ausserordentlich liebenswürdiges, mir so wertvolles Schreiben vom 15. Februar[1] nun erst zukam und ich Ihnen nun erst meinen herzlichen Dank dafür sagen kann. Ich schulde Ihrem Werk[2] unendlich viel: Dinge, die seit | Jahren in mir vorbereitet waren, die ich aber selbst richtig zu verbinden und in eine Formel zu bringen unfähig war, fand ich da mit wunderbarer Klarheit dargestellt und von allen Seiten bestätigt. Ich war früher eingezwängt zwischen einer Erkenntnistheorie, die mir alles versagte, was ich innerlich doch zum Handeln verlangte, und eben diesem Verlangen, das sich doch vor jener Erkenntnistheorie nicht rechtfertigen liess. Jetzt aber haben diese beiden kleinen Worte „Als | Ob“ mich gerettet und aufatmend kann ich jetzt erst mein praktisches Verhalten theoretisch begründen. Ich glaube, dass Ihr Werk ein wahrer Segen für das ganze deutsche Volk ist, es wird unser Denken reinigen.
Auch für die beigefügten Drucksachen[3], die ich nun gleich lesen will, sage ich Ihnen meinen schönsten Dank. Wichtig wäre für mich zu erfahren, wie sich wohl die religiösen Begabungen in Deutschland, Jatho[4], Bonus[5], Driesmans[6][a], Johannes Müller[7] | u. s. w. zu Ihrem Werk verhalten. Die ganze neue religiöse Bewegung in Deutschland hängt ja vor der Hand in der Luft, aber Sie haben ihr den festen Punkt gegeben, von dem aus sie die Welt bewegen[8] kann. Wenn Sie mir gelegentlich eine Nachricht[9] über die Wirkung Ihres Werkes in diesen Kreisen zukommen liessen, würden Sie mich zu neuem Dank verpflichten.
Es betrübt mich sehr, von Ihrem Augenleiden[10] zu hören und ich wünsche Ihnen von Herzen baldige völlige Genesung.
In aufrichtiger Verehrung Ihr sehr ergebener
Hermann Bahr[b]
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Ihrem Werk ] Vaihinger: Die Philosophie des Als Ob (1911). Vgl. Bahrs Rezension in: Neue Freie Presse, Beilage zu Nr. 17030 vom 21.1.1912, S. 31–32 (online via https://anno.onb.ac.at/ (16.9.2024)).3↑beigefügten Drucksachen ] vgl. Vaihinger an Bahr vom 15.2.1912: Gestatten Sie, daß ich Ihnen einige Drucksachen mitsende, die sich auf mein Buch beziehen. Die von dem Verleger gemachte Zusammenstellung bisher erschienener Urteile über mein Buch ist noch vor Erscheinen Ihrer Besprechung gedruckt worden: in einer baldigen neuen Auflage dieser Zusammenstellung wird natürlich noch Ihr Feuilleton, das aber im Grunde ein philosophischer Essay ist, im Auszug mitgeteilt werden (zitiert nach Yannik Behme: Die Korrespondenz Hans Vaihingers an Bahr. In: Martin Anton Müller, Claus Pias, Gottfried Schnödl (Hg.): Hermann Bahr: Österreichischer Kritiker europäischer Avantgarden. Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A, Bd. 118. Bern u. a.: Peter Lang 2014, S. 154). Außerdem war beigelegt Vaihinger: Nietzsche als Philosoph. 3., verm., billige Aufl. Berlin: Reuther & Reichard 1905.4↑Jatho ] Carl Wilhelm Jatho (1851–1913), evangelischer Theologe, 1874 Religionslehrer in Aachen, 1876 Pfarrer der deutschen Gemeinde in Bukarest, 1885 in Boppard, seit 1891 in Köln, wegen pantheistischer Irrlehren am 24.6.1911 aus dem Amt entfernt (NDB).5↑Bonus ] Arthur Bonus (1864–1941), evangelischer Theologe und Schriftsteller (https://d-nb.info/gnd/116242396 (16.9.2024)).6↑Driesmans ] vermutlich gemeint: Heinrich Driesmans (1863–1927), Schriftsteller und Rassenideologe (https://d-nb.info/gnd/116223111 (16.9.2024)).7↑Johannes Müller ] Johannes Müller (1864–1949), evangelischer Theologe, Vortragender über Glaubens- und Lebensfragen; wirkte in Leipzig, Erlangen, Schliersee/Oberbayern, Mainberg/Franken, 1916 Gründer des Kultur- und Erholungszentrums Schloss Elmau (https://d-nb.info/gnd/118585061 (16.9.2024)). Vgl. Hermann Bahr: Johannes Müller. In ders.: Inventur. Berlin: S. Fischer 1912, S. 81–87.8↑Punkt gegeben, von dem aus sie die Welt bewegen ] Anspielung auf den beflügelten Ausspruch des Archimedes▲