Bibliographic Metadata
- TitleGeorg Gerland an Vaihinger, Straßburg, 4.11.1885, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 1 c, Nr. 2
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 1 c, Nr. 2
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Georg Gerland an Vaihinger, Straßburg, 4.11.1885, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 1 c, Nr. 2
Straßburg d. 4/11 85.
Sehr geehrter Herr College,
Frau Laas[1], welche ich dem Stand der Denkmalfrage[a][2] um Auskunft bat, sagte mir, daß die Sache allerdings im Gange sei und daß Dr. Kannengiesser[3] die Einsammelung der Beiträge übernommen habe. Er wird sich gewiß sehr über die Weidmannische Großmut[4] sowie über die sonstigen in Aussicht stehenden Beiträge freuen. Bis dat, qui cito.[5] Machen Sie, das Alles recht rasch an K[annengiesser] einkommt, wenn Sie irgend welchen Nachdruck auszuüben vermögen. Natorp hat mir seine Artikel[6] auch übersandt; ich teile Ihre Ansicht u. hätte ferner noch gewünscht, daß in No I nicht soviel vom lieben Ich mit untergelaufenen[b] wäre. Doch sind beide mit Liebe und Wärme geschrieben, auch der zweite, wie mir vorkommt. Manche Leute können eben aus der Subjektivität nicht | heraus; u. das war gerade mir so lieb an Laas, daß er objektiv zu sein vermochte. Auch ein Unterschied zwischen Positiv[ismus] u. Idealismus[7].
Windelband ist zum Nachfolger Studemunds[8] nur bis Ostern bestellt; ich hoffe, dann treten größere Aenderungen in der Prüfungskommission und Prüfungsart ein. Vorbereitende Schritte werden wenigstens geschehen, da ja bei uns alles neu wird. Morgen ist Einzug des Statthalters[9] u. großer Festzug bürgerlicher Vereine; übermorgen beliebt die Studentenschaft 4–6 spännig durch die Stadt zu kutschiren, den Statthalter gütigst zu begrüßen und Abends mit einem Commers anzusalamandern[10]. Natürlich machen wir so lange Ferien.
Auch ich hätte Sie gern noch während der Versammelung[11] gesehen; es war aber nicht möglich, der letzte Tag verlief mir | auch noch auf einem ziemlich lang dauernden Ausflug u. Ende der Woche waren Sie schon fort. Es freut mich, wenn es Ihnen gut gefallen hat; wir haben alle hier eine sehr angenehme Erinnerung jener Tage. Die Frequenz bei uns[12] könnte bedeutender sein, im allgemeinen macht es sich aber.
Haben Sie schon von dem furchtbaren Unglück, das unseren 2. Sanskritischen, Leumann[13] getroffen, hat, gehört?[c] Er ist akut tobsüchtig geworden mit Religionswahn-ideen[d] u. sofort von der Straße durch Polizisten in die Klinik gebracht. Jetzt ist er in Stephansfeld[14]. Wir sind alle ganz unglücklich über das entsetzliche Ereignis. Jolly[15], den ich gestern sprach, meint freilich, daß der Zustand nicht unheilbar[e] sei.
Reifferscheid[16] macht einen ganz guten Eindruck; wen[f] wir an Schölls Stelle[17] bekommen, steht noch dahin. Da nun sonst alles sich auf dem alten Flecke befindet u. nichts weiter zu berichten ist, | so will ich schließen, mit den herzlichsten Grüßen und verbleibe Ihr ergebenster
G. Gerland
Beste Grüße an Dümmler[18] u. wen Sie sonst von meinen Bekannten sehen.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Denkmalfrage ] vgl. aus der Einleitung zu: Ernst Laas’ Literarischer Nachlass. I. Idealistische und positivistische Ethik. II. Oekonomische Mängel unseres nationalen Bildungswesens. III. Gymnasium und Realschule. Hg. u. eingeleitet v. Benno Kerry. Wien: Verlag der „Deutschen Worte“ (E. Pernerstorfer) 1887, S. 5: Als am 25. Juli des vorigen Jahres zu Straßburg der an der dortigen Universität für Philosophie und Pädagogik wirksame Professor Dr. Ernst Laas im Alter von 48 Jahren starb, war das Gefühl, daß hiemit Forschung und Unterricht einen einschneidenden Verlust erlitten hätten, ein weiterhin verbreitetes. Von äußerlicheren Kundgebungen abgesehen, konnte schon Inhalt und Haltung der zahlreich erschienenen Nekrologe [Anm.: Vgl. insbesonders: die Grabrede von Prof. Dr. Holtzmann, später veröffentlicht in der „Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie“, 1886, Heft 1; Dr. Kannengießer, in der Straßburger Post vom 14. und 15. September 1885, später erweitert und mit einem Verzeichnis von Laas’ sämmtlichen Schriften erschienen in den [!] Biogr. Jahrbuch für Altertumskunde (Beiblatt zum „Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft“, hrsgg. v. I. Müller) 1885. S. 123–36; Prof. Dr. Natorp, in der Münchener Allgem. Zeitung vom 20. und 21. October 1885, Beilage.] Jeden, der es nicht ohnehin wußte, darüber belehren, daß hier Höheres als ein Mittelschicksal sich erfüllt habe. Und es wird nicht lange, so fanden sich Schüler und Verehrer des Dahingegangenen aus Deutschland, Oesterreich und der Schweiz, aus Belgien, England und Norwegen in der Herzensaufgabe, ihm ein würdiges Grabdenkmal zu errichten, das denn auch zu schöner Verwirklichung bereits gediehen ist.3↑Dr. Kannengiesser ] Paul Kannengiesser (geb. 1853), Studium in Leipzig und Straßburg, 1875 bei Ernst Laas promoviert. Seit 1877 am protestantischen Gymnasium Straßburg, Staatsexamen 1878 (vgl. Adolf Hinrichsen: Das literarische Deutschland. 2., vermehrte u. verbesserte Aufl. Berlin: Verlag des „Literarischen Deutschlands“ 1891, Sp. 656). Kannengiesser verfasste u. a. Nachrufe auf Laas (1885, vgl. KVK).4↑Weidmannische Großmut ] gemeint ist der Verlag Weidmann in Berlin (bzw. eine Spende dieser Firma), bei dem Laas’ Werke erschienen.6↑seine Artikel ] vgl. Paul Natorp: Ernst Laas (Nekrolog). In: Beilage zur Allgemeinen Zeitung (München), Nr. 291 u. Nr. 292 vom 20. u. 21.10.1885.8↑zum Nachfolger Studemunds ] als Mitglied der Wissenschaftlichen Prüfungskommission für das Lehramt in Straßburg. Wilhelm Studemund (1843–1889), Klassischer Philologe, 1872–1885 o. Prof. in Straßburg, danach in Breslau (ADB).9↑Einzug des Statthalters ] des Kaisers für Elsaß-Lothringen, Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, vgl.: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Im Auftrage des Prinzen Alexander zu Hohenlohe-Schillingsfürst hg. v. Friedrich Curtius. 2. Bd., 16.–20. Tsd. Stuttgart/Leipzig: Deutsche Verlags-Anstalt 1907, S. 370: Fürst Hohenlohe verließ Paris am 11. Oktober 1885 Abends und begab sich zunächst nach Baden, wo er die Leitung der Geschäfte des Statthalters übernahm und die Vorträge des Staatsministers von Hoffmann entgegennahm. Nach einem Aufenthalt in Aussee traf er am 5. November 1885 in Straßburg selbst ein. Am 6. November begrüßte ihn die Studentenschaft durch eine feierliche Auffahrt. Bei dem Kommers, welcher am Abend dieses Tages stattfand, erwiderte der Fürst auf die Festrede: […].10↑mit einem Commers anzusalamandern ] Studentensprache: im Rahmen einer feierlichen Zusammenkunft einander formell zutrinken.11↑während der Versammelung ] vom 18.–23.9.1885 hatte in Straßburg die 58. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte getagt, vgl. den Kongressbericht: https://www.biodiversitylibrary.org/item/182986#page/1/mode/1up (29.11.2022).12↑Frequenz bei uns ] vgl. Gerland an Vaihinger vom 3.8.1884; im SS 1885 waren in der philosophischen Fakultät der Universität Straßburg 149 Studenten eingeschrieben, in der mathematischen und naturwissenschaftlichen Fakultät 181, in der theologischen 77, in der rechts- und staatswissenschaftlichen 171, in der medizinischen 222; im WS 1885/1886 in der selben Reihenfolge: 148, 206, 85, 173, 210; vgl. die statistischen Anhänge zu den jeweiligen Personalverzeichnissen (erreichbar via https://gallica.bnf.fr (19.8.2024)).13↑Leumann ] Ernst Leumann (1859–1931), Indologe. Studium in Genf, Zürich und Straßburg. 1881 promoviert, 1882–1884 Assistent in Oxford. 1884 Gymnasiallehrer in Frauenfeld, ao. Prof. in Straßburg, 1897 o. Prof., 1919 Honorarprofessor in Freiburg (NDB).14↑Stephansfeld ] Vereinigte elsässische Bezirks-Irrenanstalten Stephansfeld-Hördt (Landkreis Strassburg, Bezirk Unterelsass), vgl. krankenhaus-Lexikon [!] für das Deutsche Reich. Nach amtlichen Quellen hg. v. A. Guttstadt. Berlin: Georg Reimer 1900, S. 900.15↑Jolly ] Friedrich Jolly (1844–1904), Psychiater, 1873 ao. Prof. in Straßburg, 1875 o. Prof. (NDB).16↑Reifferscheid ] August Reifferscheid (1835–1887) Klassischer Philologe. Studium in Bonn, 1860 in Bonn habilitiert. 1861–1863 und 1864–1866 Forschungaufenthalte in Italien. 1867 ao. Prof. in Bonn, 1868 in Breslau, 1885 in Straßburg (WBIS).17↑an Schölls Stelle ] Rudolf Schöll (1844–1893), Klassischer Philologe, seit 1875 o. Prof. in Straßburg, ab 1885 in München (NDB).18↑Dümmler ] Ernst Dümmler (1830–1902), Historiker, 1852 in Berlin promoviert, 1854 in Halle habilitiert, 1858 dort ao. Prof., 1866 o. Prof., 1876 Mitglied der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica (1888 deren Leiter in Berlin; NDB; https://www.catalogus-professorum-halensis.de/duemmlerernst.html (19.8.2024)).▲