Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Eduard Zeller, Halle, 13.7.1884, 4 S., hs., Universitätsbibliothek Tübingen, http://idb.ub.uni-tuebingen.de/opendigi/Md747-782
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Vaihinger an Eduard Zeller, Halle, 13.7.1884, 4 S., hs., Universitätsbibliothek Tübingen, http://idb.ub.uni-tuebingen.de/opendigi/Md747-782
Halle a/S den 13.VII.84.
Hohzuverehrender Herr Geheime Rath, verehrtester Herr Professor![a]
Genehmigen Sie den Ausdruck des ergebensten Dankes für Ihre beiden letzten gütigen Sendungen[1], die Abhandlung über Geulincx und Leibniz[2] und den dritten Band der „Vorträge und Abhandlungen“[3]. Indem die erstere ein vielfach behandeltes Problem definitiv löst, ist sie zugleich ein Zeugniß jener vorbildlichen Methode, durch welche Sie Ihr Werk über die griechische Philosophie[4] so geschaffen haben, daß | es nur mit der Erinnerung der Menschheit an die griechische Philosophie selbst untergehen kann.
Was aber das klassische Alterthum der Menschheit sei, dies schon so oft Erörterte haben Sie doch in so neuen Wendungen und mit solcher Energie in Nr. VI Ihres neuen Bandes der Vorträge gesagt, daß man demselben schon aus diesem Grunde die weiteste Verbreitung wünschen muß. Welcher Ursache die verschiedene Vorbereitung der Studirenden auf die Universität sei, welche Übelstände der pädagogische Dualismus der Zeit gerade auf den Universitäten mit sich bringt, das haben Sie in Nr. V angedeutet. Jeder academische Lehrer hat Gelegenheit genug, das zu constatiren; auch bei den Prüfungsarbeiten der Candidaten merkt | man das schmerzlich. Auch Realschulabiturienten machen unter Umständen gute Arbeiten, aber so schlecht, wie sie von Realschulabiturienten geliefert werden, erhält man sie doch[b] niemals von Gymnasialabiturienten.
Mit ganz besonderem Interesse habe ich mich, soweit es mir meine während dieses Semesters besonders durch die Examina sehr beschränkte Zeit erlaubt, in die Abhandlung über die Realität der Außenwelt hineingearbeitet. Die verschiedenen Seiten des schwierigen Problems sind nunmehr mit solcher Dialektik auseinandergesetzt, daß für jede fernere Behandlung des Gegenstands der formale Boden geschaffen ist, auf dem man sich zu bewegen hat – und ich glaube, daß auch material Ihre Beantwortung diejenige ist, | auf welche man doch definitiv wird hinauskommen müssen.
Für Ulrici scheint Stumpf berufen zu werden[5]; darauf lässt die Ernennung von Lipps zum E[xtra]O[rdinarius] in Bonn schließen, und vor Allem der Umstand, daß (wie üblich) der hiesige acad[emische] Senat von der Regirung wegen der kathol[ischen] Confession von Stumpf[c] interpellirt worden ist: der Senat hatte nichts einzuwenden.
Daß Müller, mein Conpromotionale[6], hieher kommt, freut mich herzlich.
Gestatten Sie, hochzuverehrender Herr GeheimeRath, den Ausdruck wiederholten Dankes für Ihre gütigen Sendungen nebst der Versicherung herzlicher Verehrung, mit der ich zeichne Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebenster
H. Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Ihre beiden letzten gütigen Sendungen ] vgl. Zeller an Vaihinger vom 6.6.1884, etwaige Begleitschreiben zu den Sendungen sind nicht überliefert.2↑Abhandlung über Geulincx und Leibniz ] vgl. Zeller: Über die erste Ausgabe von Geulincx’ Ethic und Leibniz’ Verhältniss zu Geulincx’ Occasionalismus. In: Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 2. Halbband. Juni bis December. Berlin: Königliche Akademie/Dümmler 1884, S. 673–695 (auch separat erschienen).3↑dritten Band der „Vorträge und Abhandlungen“ ] vgl. Zeller: Vorträge und Abhandlungen. Dritte Sammlung. Leipzig: Fues (Reisland) 1884. Vorwort: Berlin, 31. Mai 1884. Inhalt: I. Die Lehre des Aristoteles von der Ewigkeit der Welt (1878.1884); II. Ueber die griechischen Vorgänger Darwin's (1878); III. Eine heidnische Apokalypse (1882); IV. Ueber den wissenschaftlichen Unterricht bei den Griechen (1878); V. Ueber akademisches Lehren und Lernen (1879); VI. Ueber die Bedeutung der Sprache und des Sprachunterrichts für das geistige Leben (1884); VII. Ueber das Kantische Moralprincip und den Gegensatz formaler und materialer Moralprincipien (1879); VIII. Ueber Begriff und Begründung der sittlichen Gesetze (1882); IX. Ueber die Gründe unseres Glaubens an die Realität der Aussenwelt (1884). 2. und 3. Sammlung 1877/1884 in Vaihingers Privatbibliothek enthalten (vgl. das Verzeichnis: https://chssl.lib.hit-u.ac.jp/images/2020/02/Catalog_Hitotsubashi_Soda.pdf (9.8.2024)).4↑Werk über die griechische Philosophie ] vgl. Zeller: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung (zuerst 1844–1852).5↑Stumpf berufen zu werden ] vgl. Vaihinger an Zeller vom 27.6.1884 sowie noch am 17.12.1885 Rudolf Stammler aus Halle an Paul Natorp: Ob ich hier helfen könnte, Dich eventuell gleich hierher zu bringen, wage ich nicht zu hoffen; es käme darauf an […] ob ich mit Stumpf näher bekannt würde; ich fürchte eben nur, daß er an eigenen Kandidaten nicht Mangel leidet; Freund Vaihinger dürfte freilich schwerlich dabei sein (Holzhey: Cohen und Natorp Bd. 2, S. 162).6↑Müller, mein Conpromotionale ] vgl. Vaihinger an Zeller vom 27.6.1884. Karl Ferdinand Friedrich Müller und Vaihinger waren Studienkollegen (und Repetenten) am Tübinger Stift und wurden dort 1874 gemeinsam gradutiert, wie das Wort Conpromotionale aussagt.▲