Bibliographic Metadata
- TitleRichard Avenarius an Vaihinger, Zürich-Riesbach, 9.3.1880, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 1 m, Nr. 11
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 1 m, Nr. 11
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Richard Avenarius an Vaihinger, Zürich-Riesbach, 9.3.1880, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 1 m, Nr. 11
Verehrtester Herr College!
Herzlichen Dank für Brief[1] u. Sendung! Ein drolliges Zusammentreffen, daß Leclair[2] u. ich unabhängig von einander um die Recension[3] gebeten haben – die ich Ihnen natürlich nicht zurückschicke.
Nur auf beifolgendem Blatt bitte ich Sie, im Text die Stelle anzumerken, wo das am Rand Geschriebene einzufügen sein wird.
Zu meinem großen Bedauern höre ich, daß Sie Sich so angegriffen fühlen; aber da Sie selbst die Hoffnung aussprechen, bald wieder „bei vollem Wasserzufluß“ zu sein – eine Hoffnung, der ich mich herzlichst anschließe! – so denke ich, Sie werden es nicht unbescheiden von mir finden, wenn ich mich (trotzdem augenblicklich Ihr geschätztes Mühlrad ein wenig langsamer geht) dennoch an Sie mit einer Bitte wende. |
1781 Kant’s Kr[itik] d[er] r[einen] V[ernunft] – nächstes Jahr: 1881! Sie verstehen! Es liegt mir nun viel daran, im 1. Heft des nächsten (1881er) Jahrg[an]ges zu dem „Jubeljahre“ einen Artikel[4] zu bringen, der materiell wie formell ein kleines Meisterstückchen sein soll u. der schon wegen der ausgezeichneten Gelegenheit, zu der er erschiene u. vermöge auch der ausgezeichneten Stelle, die ihm anzuweisen wäre, eine gewisse besondere Beachtung in u. außer Deutschland finden sollte. Diesen von mir, wie ich nicht leugne, als ganz specifisch wichtig angesehenen Artikel übernehmen zu wollen, ist der Inhalt meiner Bitte, die vor Allem an Sie richten zu dürfen ich mich glücklich schätze.
Was den Inhalt des Artikels selbst betrifft, so meine ich, daß nach einer kurzen Skizzirung dessen, was die Kr[itik] d[er] r[einen] V[ernunft] 1781 war u. welchen Einfluß sie von 1781–1881 gehabt hat, es am Platze sein möchte, unsere heutige Vorstellung zur K[ritik] d[er] r[einen] V[ernunft] in einem schlagenden aut-aut[5] scharf zu präcisiren.
Absichtlich mache ich Ihnen meinen Vorschlag schon heute, damit Sie die vollste Muße hätten (Osterferien! Sommersemester!! Große Ferien!!!), den | im wahren Sinne des Wortes leitenden Artikel aller Welt zu dankender Bewunderung u. Sich selbst zu behaglichster Geistesfreude zu disponiren u. auszuarbeiten. Eine Ablehnung meiner Bitte, verehrtester Herr College, dürften Sie also so wenig mit Zeitmangel zu motiviren versuchen, wie Sie bekanntlich solches Thun mit dem Vorwand mangelnder Sachkenntnis plausibel zu machen vermöchten – was Sie selbst gar nicht erst versuchen wollen werden.
Und so sehe ich denn mit aufrichtigem Vergnügen der freundlichen Erfüllung meiner Bitte entgegen. Jedenfalls bitte ich um Discretion für die Bitte, sei es – was ich herzlich wünsche – daß Sie ihre Erfüllung zusagen, sei es, daß Sie, was ich nicht hoffe – dieselbe ablehnen.
In Bezug auf das, was Sie mir über Ihr Verhältniß zu Kant schreiben, so enthält das gewiß eine sehr richtige innere Beobachtung – nur möchte ich fast die Behauptung wagen, daß dasselbe Einem | mit jedem der großen Philosophen passirt, zu dem wir uns anfänglich (Stadium I) hingezogen fühlen: man findet sich enttäuscht (Stad[ium] II), bis man endlich einsieht, die Verhältnisse boten keine anderen Entwicklungsbedingungen, der Mann selbst hat seine Größe (Stad[ium] III).
Leclair’s Brief folgt beiliegend; das Blatt Ihrer Rezension bitte zu retourniren.[a]
Mit dem aufrichtigen Wunsche, daß Ihr Befinden recht bald wieder die alte Frische zurückgewonnen habe, verbleibe ich bestens grüßend Ihr ergebenster
R. Avenarius
Zürich-Riesbach, d. 9.III.80.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Leclair ] vgl. Anton von Leclair an Vaihinger vom 16.2.1880. Dieses Schreiben hat Vaihinger an Avenarius mitgeteilt, s. u.3↑Recension ] vgl. Vaihinger: Leclair, Dr. Anton von: Der Realismus der modernen Naturwissenschaft im Lichte der von Berkeley und Kant angebahnten Erkenntniskritik. Kritische Streifzüge. Prag. Tempsky. 1879. 8. IX u. 282 SS. – 5 M. 60 Pf. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 4 (1880), S. 391–395.4↑einen Artikel ] obgleich Vaihinger zunächst zugesagt hatte, verfasste er keinen solchen Artikel. Stattdessen erschien: Friedrich Paulsen: Was uns Kant sein kann? Eine Betrachtung zum Jubeljahr der Kritik der reinen Vernunft. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 5 (1881), S. 1–96.▲