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- TitleEduard von Hartmann an Vaihinger, Bad Driburg, 3.9.1876, 3 S., hs., Briefkopf: in Blütenkranz eingeprägter Schriftzug Bad Driburg, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 2 g, Nr. 1
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 2 g, Nr. 1
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Eduard von Hartmann an Vaihinger, Bad Driburg, 3.9.1876, 3 S., hs., Briefkopf: in Blütenkranz eingeprägter Schriftzug Bad Driburg, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 2 g, Nr. 1
den 3. September 1876.
Verehrtester Herr Doctor!
Ich bedaure, Sie bei[a] meiner auf morgen angesetzten Rückkehr nicht mehr in Berlin vorzufinden. Die mündliche Besprechung würde die schriftliche Auseinandersetzung in manchen Punkten ergänzt haben. Ich habe jetzt fertig: eine Einleitung (1 starker Druckbogen), allgemeine Charakteristik von Langes u. Ihrem Standpunkt enthaltend, und A. „die Philosophie als Wissenschaft“ (2 Druckbogen). Erstere habe ich an die „Wiener Abendpost“ gesandt. Es soll folgen B „die Philosophie als Dichtung“, was vielleicht auch noch verwendbar wird für ein Journal. Absch[nitt] A wüßte ich nicht weiter zu verwenden, da ich auf meine Offerte im Frühjahr von Bratuscheck keine Antwort erhalten habe. Die Einleitung wird eingeschaltet in den Artikel in No 28–32 der Gegenwart; A u. B. bilden eine Abhandlung, welche vor Frauenstädt, Bahnsen, Volkelt und Rehmke stehen soll. Das ganze Buch von über 20 Bogen wird im Winter gedruckt u. soll im Frühjahr erscheinen. Ich werde Ihnen seinerzeit von dem Sie betreffenden | Theil[1] Correkturabzüge schicken, vielleicht schon im November[2]. Sie haben dann Muße, bis zum Erscheinen eventuell eine Entgegnung[3] zu verfassen, wenn Ihnen dazu der Sinn steht. Aus der Ausführlichkeit, mit der ich auf Ihre Gedanken eingehe, werden Sie entnehmen, wie sehr es mir darum zu thun ist, Ihr Talent aus der Sackgasse, in die es sich verrannt hat, auf die Rennbahn zurückzuführen.
Ihre brieflichen Auslassungen würden mehr als hinreichen, die letzte Trübung aus unsern persönlichen Beziehungen, wenn eine solche überhaupt noch bestände, zu entfernen. Aber dieß kann nichts daran ändern, daß Sie mich öffentlich herausgefordert, und daß, wenn ich das Duell annehme, ich es auch auf die von Ihnen gewählten Waffen annehmen muß[b]. So werden Sie Sich denn auch eine „Abwehr“ gefallen lassen müssen, die darum noch keine „Vergeltung“ ist.
Ich kann nur wünschen, daß Sie zu Lange’s Gesch[ichte] d[es] Mat[erialismus] als Pendant eine Gesch[ichte] d[es] Pessimismus schreiben. Wer nicht selbst auf den Pessimismus schwört, wird beim Publikum | als[c] Geschichtsschreiber des Pess[imismus] offenbar bessere Chancen haben, als ein Parteigänger. Darin sehe ich also kein Hinderniß. Ueber Ihre Stellung zur Sache verweise ich auf meine Abhandlung. Ich will nur voranschicken, daß ich „Metamoral“[4] nicht acceptire[5]; ich habe schon seit einiger Zeit in Manuscript-Entwürfen das Wort „Axiologie“ stehen, daß ich jetzt öffentlich in Vorschlag bringen werde.
Meine Frau[6], die Ihre Empfehlungen erwidert, ist überaus böse auf Sie, daß Sie mich mit Dühring zusammengestellt haben, und war nahe daran, Ihnen ihre Entrüstung darüber schriftlich kund zu tun. Prof. Ernst Kapp, der mich hier besuchte, findet diese weibliche Empfindung ebenso in der Ordnung wie meine Seelenruhe. Wir sind alle gesund, aber mein Gehirn ist nicht im gleichen Maaße aufgefrischt wie mein übriger Körper, und werde ich wohl für ein Jahr lang Arbeit und Correspondenz beschränken müssen.
Mit den besten Glückwünschen für Ihre beabsichtigte Habilitation in Straßburg verbleibe ich hochachtungsvoll Ihr ergebener
E. v. Hartmann.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Sie betreffenden | Theil ] vgl. Eduard von Hartmann: Neukantianismus, Schopenhauerianismus und Hegelianismus in ihrer Stellung zu den philosophischen Aufgaben der Gegenwart (1877), S. 1–7, 22–29 u. 45–118.3↑eine Entgegnung ] eine solche erschien nicht, vgl. Vaihinger an Heinrich Landesmann vom 19.2.1878.4↑„Metamoral“ ] vgl. Vaihinger: Hartmann, Dühring und Lange (1876), S. 230: Wäre „Metamoral“ nicht eine barbarische Wortbildung, […] so würde ich die Metamoral der Metaphysik gegenüberstellen, und beide als nur postulirte, imaginäre Disciplinen kennzeichnen, indem die den beiden zu Grunde liegenden Fragen (nach dem Werth und nach dem Wesen der Welt) unbeantwortbar sind […].5↑nicht acceptire ] vgl. in Eduard von Hartmanns Schrift S. 106, Anm.: Ich gebe dem Terminus „Axiologie“ (oder Lehre von dem Werth der Welt) den Vorzug vor dem von Vaihinger vorgeschlagenen „Metamoral“, weil letzterer auf der irrthümlichen Voraussetzung beruht, dass die Frage nach dem Pessimismus sich genauso zur Moral verhalte wie die Metaphysik zur Physik (230). Die Axiologie beschäftigt sich aber nur mit der Bemessung von Lust und Unlust, die als psychologische Facta der Welt der subjectiven Erscheinung angehören, und keineswegs wie die Metaphysik hinter jene in die Welt der Dinge an sich oder gar in das Wesen derselben zurückweist.6↑Meine Frau ] Agnes Taubert, vgl. Vaihinger an Eduard von Hartmann vom 25.8.1876. Keine Korrespondenz mit Vaihinger nachgewiesen.▲