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- TitleNr. 20, Notizbuch mit Fadenheftung und schwarzem Leineneinband, mit eigenhändigem Titel: Willensfreiheit | 1899/1900., Umfang: 152 S., davon beschrieben: 104, 1 eingeklebter Zettel, Textbeginn auf Bl. 1r, hs. (dt. Schrift), schwarze Tinte, Maße: 16,8 x 10,8 cm, Universitätsbibliothek der Tohoku Universität Sendai (Japan): II, A 2–2 WW 1, 20
- ParticipantsAdolf Wagner ; Adolphe Quételet ; Albert Wagner ; Alexander von Oettingen ; Aristoteles ; Arthur Schopenhauer ; Aurelius Augustinus ; Baruch de Spinoza ; Cicero ; Clemens Alexandrinus ; Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher ; Friedrich Schiller ; Friedrich Theodor Vischer ; Georg Friedrich Knapp ; Gottfried Wilhelm Leibniz ; Gotthold Ephraim Lessing ; Hermann Lotze ; Immanuel Kant ; Johann Friedrich Herbart ; Johann Gottlieb Fichte ; Johannes Buridan ; Johannes Calvin ; Karl Baedeker ; Moritz Drobisch ; Nicolas Malebranche ; Platon ; Sokrates ; Xavier de Maistre
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek der Tohoku Universität Sendai (Japan)
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Nr. 20, Notizbuch mit Fadenheftung und schwarzem Leineneinband, mit eigenhändigem Titel: Willensfreiheit | 1899/1900., Umfang: 152 S., davon beschrieben: 104, 1 eingeklebter Zettel, Textbeginn auf Bl. 1r, hs. (dt. Schrift), schwarze Tinte, Maße: 16,8 x 10,8 cm, Universitätsbibliothek der Tohoku Universität Sendai (Japan): II, A 2–2 WW 1, 20
1899/1900. |[b]
Einleitung[c].
Das Problem von Jedem erlebt.
Freie Selbstbestimmung stürmt in die Welt und findet sich überall eingeengt: Wo bleibt die goldne Freiheit?
Der Rückblick zeigt, daß wir mehr geschoben wurden, als selber schoben: Und doch erkennen wir in unserm Leben reuig und freudig unsre That.
Das sind Gefühle[d], die eine theoretische Lösung verlangen. Nicht bloß thatsächliche Feststellungen über seelische Vorgänge; sondern der Schwerpunkt liegt in weiteren Fragen. Ob wir können – daß[e] wir sollen.
Damit stehen wir im Zusammenhange der Gesellschaft und des religiösen Lebens. Die letzten Wurzeln des Wirklichen sind zu berühren. Psychologie – Ethik – Recht und Gesellschaft – Religionsphilosophie und Metaphysik.
Centrales Problem.
Verwicklung und Verwirrung.
Keine der einfachen Grundfragen.
Zwei Interessen verschlungen.
Nicht bloß begreifen, sondern auch Bedürfnisse befriedigen: Nicht bloß Theorie, sondern auch Postulat. Praktisch und theoretisch.
Problemverschlingung, und zwar das verwickeltste. |[f] Daher erst spät: nicht bei den Kosmologen. Erst Sokrates – Platon: Freiwilligkeit des Recht- und Unrechtthuns. Aristoteles. Stoa. Augustin. Kant.[g]
Geschichte des Problems noch nicht geschrieben. Nicht gesondert zu behandeln. Schwierigkeit: Theorie mit Postulaten versetzt. Vorgefasste Meinungen, Sophisterei. Interesse: Heftigkeit. Insgewissenschieben[h]. Aes Triplex[2]!
Und den Zauber des Worts vergessen! Großes getan und gesündigt. Freiheit ruft die Vernunft[3] – etc.[i]!
2) Dasselbe Unheil in der Theorie. Nicht durch Worte täuschen lassen! Teilung der Probleme. Entwirrung, und Verstehen der Verschlingung.
Sonderung des theoretischen und des praktischen Moments. Verantwortlichkeit: cf. Aristoteles[j]. Freiheit und Verantwortlichkeit erscheinen als Wechselbegriffe.
Psychologisch allein wohl längst gelöst. Diese Verknüpfung historisch – aber auch persönlich begründet. Daher wohl sachlich begründet. Zum Schluss selbstverständlich: zunächst getheilt. Zunächst rein theoretisch.
Psychologisch – aber der Mensch sitzt nicht auf dem Isolirschemel.
Gesellschaft und Weltleben: Gerade vermöge des Willens. |[k]
Deshalb schon hier letzte Fragen der Weltansicht.
Vorsicht. Vieldeutigkeit von frei und Willen. Frei: Negativ. Von etwas. Vom fremden, äußeren, abnormen. Fehlerfrei, fieberfrei, eisfrei, uebelfrei.
Frei, was sich selbst bestimmt, von anderm unabhängig ist. Ungehinderte Function: Selbstbestimmung. Freier Fall, freier Flug.
Frei sodann die Eigenschaft, zu freier Thätigkeit fähig zu sein: Zustand der Freiheit. Kraft ist frei, ein Thier ist frei. Freiheit des Verkehrs. Gefangenschaft.
Endlich solche Wesen frei, zu deren dauernden Eigenschaften es gehört, freie Function auszuüben. Das freie Pferd.
Immer Relativ: Die Freiheit von etwas, z. B. des Pferds vom domesticirenden Menschen; sonst unfrei.
Freiheit wovon?
Sollte der Wille eine Ausnahme machen? Das Prädikat kann ihm nicht pure[l] zugesprochen noch abgesprochen werden.
Gesonderte Probleme; insbesondere da auch „Wille“ vieldeutig.
Psychologischer Allgemeinbegriff: Vielleicht gemeinsames Merkmal aller Seelenzustände. Die Wollungen. Der Wille als einheitliches Vermögen nichts anderes? |[m]
Diese Fragen beiseite geschoben, bis sie nötig werden.
Empirisch die Phasen der Willensthätigkeit zu durchlaufen.
1) Begierde, als einfache Wollung. Ihre Verbindung mit der Erregung der motorischen Nerven, wenn auch nur im leisen Antrieb. Der sensumotorische Proceß. Verhältnis zur Reflexbewegung.
2) Aber das Bewußtsein als Hemmungscentrum. Das Beharren der Begierde. Ihr Zusammensein und gegenseitiges Hemmen. Die Wahl: zwischen den Motiven. Die Ueberlegung. Was und wie? Zwecke und Mittel. Werthe. Entscheidung. Wunsch oder Absicht. Entschluß und Vorsatz.
3) Willensimpuls und Handlung. D. h. Wollen, Wählen und Handeln.
1) Freiheit des Handelns[n].
Handlung eine durch den Willen hervorgerufene und ihm zweckmäßig entsprechende Leibesbewegung.
Gleichgültig durch welche Art des Willens hervorgerufen, ob durch sensumotorischen Vorgang oder durch eine Wahl hindurch, – gleichgültig ob direct auf das Ziel oder auf Mittel und Vorbereitung gerichtet. Das Wesentliche: Übergang in Leibesbewegung. |[o]
Unnötig uns mit den Theorien auseinanderzusetzen, die dies populäre Ursachenverhältniß untersuchen. Causalität oder Coordination.
Es genügt, daß sie trennbar sind. Zweckmäßige Bewegungen ohne Willensimpuls, – Reflexbewegung. Impuls ohne zweckmäßige Bewegung. Beidemal keine Freiheit des Handelns. Diese besteht darin, zu thun, was man will. Nicht vorhanden, wo man thut ohne zu wollen und wo man will ohne zu thun.
Freie oder willkürliche Handlung im Unterschiede einerseits von Reflexbewegungen, andrerseits von erfolglosen Willensimpulsen.
Freiheit des Handelns eine thatsächliche, nach beiden Seiten begrenzte Fähigkeit. Nur in Schranken gilt es, daß der Mensch thun kann, was er will.
Nicht alles, was er thut, ist gewollt, – nicht alles was er will, vermag er zu thun. Nicht scharf bestimmte Grenzen. Dem freien Willen entzogen die Reflexbewegungen. Aber in verschiednem Maße. Abwehrbewegungen, Schreien, Zuckungen, – bei Operationen.
Andre überwindbar: Schluss der Augenlider, Athmen.
Störung der Reflexe durch Bewußtsein; Versuche lieber an Jungen als an alten Thieren. |[p]
Schwanke Grenzen[q] zwischen dem, was ich will und dem, was das Thier will, worin ich wohne. Xavier de Maistre[r][4]. Feine Uebergänge zwischen Unwillkürlichem und Willkürlichem.
Die eingelernten Reflexe. Exerciren; Schreiben. Bewußtes Gesammtwollen: Einstellung. Also trotz reflectorischen Charakters „freie“ Handlungen.
Das Spiel des Virtuosen. Der Jongleur und der Kunstschütze. Der Stenograph.
Die Unterbrechbarkeit des Mechanismus. Allgemeinere Thatsache, daß unser Wille einen Mechanismus benutzt, den er nicht zu kennen braucht.
Ergreifen und Essen des Apfels.
Gilt für die gelernten und die natürlichen Reflexe. Wir brauchen nicht beim Psychologen zu lernen, welche Nerven und Muskeln erregt werden müssen, damit wir gehen etc.[s]
Die Freiheit des Handelns arbeitet mit diesem Mechanismus und hat deshalb an ihm seine Grenze, normaler und abnormer Weise.
Grenzen menschlicher Kraft. Den Mond greifen: Aber der Rückenmärker[5], der die Tasse greifen will!!
Die Allgemeinen und die individuellen Grenzen. Weite Veränderlichkeit. |[t]
Erweiterung der Wirkung auf die Außenwelt durch künstliche Mittel. Das Telegramm.
Doch dies bei der Wahl zu behandeln. Jetzt der verschiedene Grad, in welchem die Menschen ihren Leib in ihrer Gewalt haben.
Gymnastik. Deutung einzelner Zustände. Steigerung der Leistungsfähigkeit. Abhängigkeit von dem Nervenzustande, namentlich bei den künstlichen Reflexen, Schießen, Klavierspielen etc.[u]
Keine absolute Bestimmung. Entschiedne Beeinträchtigung der Freiheit, wo nervöse Erkrankung den Gebrauch der Glieder aufhebt. Absolute Negation im Starrkrampf.
Wer nicht gehen, greifen, sprechen kann, der thut nicht mehr was er will. Die Maschine gehorcht nicht.
Feine Übergänge vom Normalen zum Abnormen. (Vom Gehirn zu schweigen!)
Die andern Glieder. Lähmung etc.[v] Dysphasie. Die Rede stockt, die Hand zittert. Geschieht das[w] nicht neben, gegen den Willen? Beschämende Unfreiheit.
Vischers Auch Einer[6].
Schlimmer ist der Eingriff andrer Menschen. Absolute Fesselung, fast wie im Starrkrampf.
Gefangenschaft: partielle Aufhebung der Freiheit zu handeln. |[x]
Physischer Zwang. Sein Fortfall macht das elementarste Merkmal im bürgerlichen und socialen Freiheitsbegriff aus. Ungehinderte Bewegung des Individuums, so daß es, soweit ihm der Leib es gestattet, thun kann, was es will.
Freiheit als Grundrecht und Gut; selbstverständlich, ganz geschätzt am meisten beim Verlust.
Aber es vermischt sich in der Unfreiheit stets der physische Zwang mit dem psychischen.
Unterordnung des Willens unter fremden Willen: aber das ist schon eine Beeinträchtigung der Freiheit der Wahl.
Der Gefangene, der Sklave. Aus Furcht verzichtet er auf den Rest der Freiheit des Handelns, der ihm geblieben ist.
Beeinträchtigung der Freiheit z. B. durch Drohung, kann ohne jeden Eingriff in die Freiheit des Handelns bestehen; sie hat stärkere Mittel.
Daher rechtlich sehr schwer zu bestimmende Grenzen: ist die Freiheit des Handelns oder die der Wahl beeinträchtigt?
So lassen Staat und Gesellschaft normal volle Freiheit des Handelns, weil sie mit dem psychischen Zwang auskommen. Nur wo der versagt, greift man zum physischen. Also normal haben wir alle die Freiheit des Handelns.
Der Staat legt seine Hand auf die der Wahl. Je reifer, umso mehr übt er psychischen statt physischen Zwang[y] aus. |[z]
Aber der letzte Hintergrund des psychischen Zwanges ist doch unser Wissen von den Grenzen unserer Kraft, d. h. unsere Freiheit zu handeln.
Freiheit der Wahl[aa].
Wahl = Hemmung der Begierden.
Aber sie hemmen sich nur, sofern sie nicht gleichzeitig ausgeführt werden können, d. h. mit Rücksicht auf das Handeln.
Wünsche sind innerlich vereinbar; Impulse nicht. Wir entgehen der Wahl, wenn wir das eine thun können, ohne das andre zu lassen.
Und wenn das successive möglich ist, so hat die Wahl die Zeitfolge zu entscheiden.
Hunger und Neugier bei einem Knaben. Das Schwanken: Gefühl der Freiheit. Ich kann beides tun, wenn ich will. Bezieht sich auf die Freiheit des Handelns.
Gefühl der Unfreiheit. Ich möchte beides, kann es aber nicht: Er muß wählen.
Jede Wahl setzt also Freiheit des Handelns und zugleich Beschränkung dieser Freiheit voraus. Wo das Gewählte nicht durchführbar ist, ist nicht Freiheit der Wahl, sondern des Handelns beeinträchtigt.
Was geschieht nun bei der Wahl? Das stärkere Motiv siegt, sei es überhaupt, sei es zuerst. |[ab] Axiomatische Selbstverständlichkeit.
Das geht soweit, daß wir nur daraus, d. h. aus der Wahlentscheidung bestimmen können, ob ein Motiv stärker ist als ein anderes.
Was heißt denn Stärke der Motive?
Ein relatives Verhältniß. Intensität psychischer Größen nicht meßbar. Sie sind nur vergleichbar, aber nicht numerisch. Und diese Vergleichung ist eben die Wahl oder was wir wählen würden[ac].
A priori[ad] nur voraussagbar, wo es sich um verschieden reale Größen handelt. Der Hungrige wählt die größere, kräftigere, besser schmeckende Speise. Ob aber Hunger oder Neugier größer, zeigt sich erst beim Wählen.
Von der Stärke unserer Wertungen wissen wir erst durch die Wahl.
Zwei Menschen. Nur einer zu retten.
Selbsttäuschungen über unsere zukünftigen Entscheidungen.
Das einzige Kriterium für die Stärke eines Wollens ist die Erfahrung von der entscheidenden Bedeutung, die es in der Wahl zeigt. Der Satz also: die Wahl folgt dem stärkeren Wollen, gilt ex definitione[ae]. Er ist nicht synthetisch, sodaß erst festgestellt würde, welches Motiv sicher ist und dann beobachtet würde, wie es beim Wählen wirkt, sondern er ist analytisch. |[af]
Das stärkere Motiv wird das genannt, welches bei der Wahl siegt.
Demgemäß redet man von großer Intensitätsverschiedenheit der Motive, wenn die Wahl leicht ist, d. h. sich ohne Schwanken vollzieht.
Je gleicher die Motive, umso schwerer. Die Qual der Wahl; gemischtes Gefühl.[ag] Das Schwanken und Zögern bei annähernd gleichen.
Was wird wenn sie gleich sind? Prinzipielle Grundfrage: nach der Definition nicht abzusehen.
Das Bild der Waage[ah]. Kann sie ausschlagen auch ohne Motiv? Auch zwischen völlig gleichwertigen entscheiden? Liberum arbitrium indifferentiae[7].
Giebt es motivlose Wahl? Was sagt die Erfahrung?
Wo ist sich um wirkliche Werte auf beiden Seiten handelt, erfahren wir eben durch unsere Wahl, was uns werter ist. Da wissen wir stets, weshalb wir wählen. Rette ich A statt B, so weiß ich eben dabei, daß mir A doch lieber ist.
Aber es scheint ein Gebiet motivloser Entscheidungen da vorzuliegen, wo es sich um Gleichgiltiges handelt. Rechts oder links um ein Beet gehen. Reise: vor zwei Kneipen nach Baedeker[8]. Lotterielose kaufen.[ai] |[aj] Besinnung auf eine dreistellige Zahl unter den 900 Möglichkeiten.
Wie kommen wir dazu? Wir wissen’s nicht.
Die Willkür im eigensten Sinne. Sie betrifft das Gleichgiltige; insbesondere völlig gleichwertige Mittel für denselben Zweck.
Aber ist das wirklich ein Wählen?
An den Knöpfen zählen, – ausknobeln. Es ist Verzicht auf das Wählen: Andre entscheiden lassen. Wir überlassen uns irgendeinem Mechanismus.
Wir zwingen uns aus dem Wollen des Zwecks zur Wahl des Mittels – d. h. wir lassen den Mechanismus spielen; es ist uns gleichgiltig, wohin er führt.
Diese Sorte Wahlfreiheit haben wir: ob sie sehr wertvoll ist, bleibe dahingestellt. Das mythische Thier in der Gesch[ichte] des Problems Buridan’s[ak] Esel[9]: er frißt alle beide Bündel[10].[al]
Wo[am] wir also Wahl wirklich in uns beobachten, ist sie durch das bewußte Motiv bestimmt. Deshalb ist es an sich gleich, ob man jenes Lib[erum] arb[itrium] indiff[erentiae][an] noch Wahl nennt.
Daß es keine ist, sieht man daraus, daß man, wenn der Mechanismus gespielt hat, häufig doch hinterher etwas Anderes wählt, und dann weiß man wieder weshalb.[ao]
Theoretisch bedeutsam ist das L[iberum] a[rbitrium] i[ndifferentiae][ap] nur, weil |[aq] es die Thatsächlichkeit einer motivlosen Willensentscheidung festzustellen scheint.[ar]
Gebe[as] es auch die Thatsachen nur für ganz gleichgiltige Sachen, so wird es doch uns an ganz andrer Stelle als Analogieannahme begegnen. –
Zunächst die Wahl weiter zu betrachten. Die Gefühle der Freiheit und der Unfreiheit auf das Handeln bezogen.
Immer aber, wenn die Wahl nötig ist, schließlich das Gefühl, daß ich nicht so wollen kann wie ich eigentlich wollen möchte.
Dieses Gefühl steigert sich durch weitere Verwicklung. Selten einfache Wahl zwischen zwei Motiven, die zugleich auftreten.
Schon beim höher entwickelten Thier. Der Jagdhund, der das Wild nicht frißt. Er „weiß“, daß es sonst Prügel gibt. Genau gesprochen: an das Fressen hat sich die Vorstellung der Prügel und ihrer Schmerzen associiert. Diese Gefühle werden nicht bloß vorgestellt, – sie rekurrieren als Gefühle; sonst würden sie keine aktive. Das werden sie: Denn es tritt Wahl ein, Hemmung der Fresslust, Sieg der Furcht.
Ebenso beim Knaben, wenn etwa die Neugier am Verbot des Vaters, der Hunger des Kranken an der Warnung des Arztes ihre Hemmung findet.
Beim Menschen sprechen wir vom „Wissen der Folgen“.
Psychologisch hat das sehr verschiedene Formen. Manchmal auch nur Assoziation wie beim dressierten Tier: so in den frühesten Stadien der Erziehung, |[at] beim Naturmenschen u. s. f.
Oefters dagegen ein wirkliches causales Wissen, ein Verständniß des Zusammenhanges. Und deshalb auch ein Voraussehen von Folgen, die noch nicht erlebt sind.[au]
Alle diese Folgen sind für die Wahl nur insofern von Bedeutung als sie für den Wählenden Werte darstellen, d. h. Gefühle erwecken. Erwartungsgefühle – Vorstellungsgefühle: Erinnerungsgefühle und Fantasiegefühle. Diese nun freilich bei verschiedenen Menschen von sehr verschiedener Mächtigkeit. Insbesondere abhängig von der Sicherheit der Voraussicht. Möglichkeitsgefühle. Wo nicht, nicht. Man kann von den Folgen predigen, soviel man will, es ist umsonst, wenn man nicht an Gefühle appellirt. Die Wahl einer Handlung wird durch das Bewußtsein ihrer Folgen nur insofern bestimmt als diese mit Wertgefühlen verbunden sind. Der Leichtsinn und die Bedachtsamkeit. NB. Folgen, die vorgestellt und gewertet werden.[av]
Wenn sie aber da sind, – gleichviel wie stark – bestimmen sie die Wahl mit.
(Man kann die Handlung nur wollen, wenn man auch die bekannten Folgen will, – Man kann sie nicht wollen, wenn man diese nicht will.)[aw]
So kann allein zwischen dem Wollen selbst und dem Nichtwollen seiner Folgen ein zur Wahl zwingender Konflikt auftreten.
Das Wollen kann so stark sein, daß es gleichgültig gegen die Folgen bleibt. Das Nichtwollen der Folgen kann so stark sein, daß man auf das Wollen verzichtet. Es kommt wieder auf die Stärke an; und man erkennt sie am Ausschlag.
Wie nun erst, wenn – wie meist – die Handlung mehrere Folgen hat, deren Werte im Widerspruch stehen? Und das ist die Regel in verwickelteren Verhältnissen des Lebens. |[ax]
Wo ein Tritt tausend Fäden regt.[11]
Jene Wertung erfolgt immer mit Bezug auf erinnerte Gefühle und Willensrichtungen. Diese setzt also die Wahl voraus. Das momentan eintretende Wollen tritt in Conkurrenz mit dauernd bestehenden Gefühlen und Willensrichtungen.[ay]
Dasselbe zeigt sich bei den verwickelten Vorgängen der Wahl der Mittel.
2) thelematisches Grundgesetz[12].[az] Wer den Zweck will, muß notwendig auch das Mittel wollen[13], sofern dies nicht eigne entgegengesetzte Wertgefühle erweckt. Die Vorstellung des teleologischen Grundverhältnisses setzt die Kenntniß oder die Meidung von Causalverhältnissen voraus.
Bei gleichgiltigen und gleichwertigen Mitteln wird das zweckmäßigste gewählt, d. h. das, welches am leichtesten, vollständigsten, und sichersten zum Ziele führt.
Für manches entscheidet die Leichtigkeit, für manchen die Sicherheit. Auch ob der Zweck ganz oder theilweise erfüllt wird.
Dagegen wird die Sache verwickelter, wenn das Mittel selbst unter einen Wertgesichtspunct tritt. Direct oder wegen seiner Nebenfolgen; soweit diese wieder Wertmarken haben.
Das unsittliche Mittel, verworfen trotz aller Zweckmäßigkeit. |[ba]
Auch das Vermögen des Appells entweder an das sittliche Fühlen oder an die Furcht vor den Nebenfolgen, menschlicher oder göttlicher Strafen.
Die Resonanz dieser Gefühle macht das Wählen aus. Unter- und Obertöne, die mitklingen, sobald ein besonderes Wollen auftritt.
All dies Sache der Ueberlegung. Sie ruft die Vorstellungen wach und die daran sich knüpfende Gefühl- und Willensthätigkeit.
Der Process, worin das momentane Motiv die constanten hervorruft.
Gefühl der Freiheit und Unfreiheit.
Je verwickelter, desto größer die Gebundenheit. Den[bb] Gefühlen gegenüber suchen wir das Wesen der Freiheit zuerst negativ durch die Frage: wovon?
Wann halten wir die Wahl für beeinträchtigt? Zunächst: sie ist stets zwischen gegebenen Möglichkeiten bestimmt. Weiter oder enger: kann sehr eng werden. Xeres oder Malvasier[14][bc]. Ruthe oder Stock. Die Hohnfreiheit. Aber! Wie oft!
Das geringere von zwei Übeln häufiger als das größere von zwei Gütern.
Diese Bindung liegt in der „Lage“, in den Grenzen der Freiheit des Handelns. |[bd] Niemals gibt es absolute, grenzenlose Willkür.
Alles Wählen liegt in gegebenen Grenzen. Selbst der Cäsarenwahn.
Diese Grenzen nicht allgemein zu bestimmen; sehr variabel selbst beim selben Menschen. In genere[be]: Berufswahl, – in specie[bf]: Entscheidung eines Feldherren; eines Geschäftsmanns etc.[bg]
Zweitens[bh]. Diese Möglichkeiten sind gegeben für den Willen nur als Vorstellungen.[bi] Wahlfreiheit begrenzt durch unser Wissen. Der vergiftete Wein: die elende Sophistik. Freiheit setzt Kenntniß der gesamten Lage und aller ihrer Momente voraus. Aber weiterhin auch der möglichen Folgen. Und der teleologischen Zusammenhänge.[bj] Unkenntnis entschuldigt und Dummheit entschuldigt.
Mildernde Umstände, daß einer nicht imstande war die Folgen seiner Handlungen zu übersehen. Kinder, Schwachsinnige, Irre. Sodann kommt es auf den Zustand des intacten Ueberlegens an. Krankheit, Nervosität, Abgespanntheit. Seekrankheit. Trunkenheit. Bestimmungen auf dem Todtenbette[bk]. Gehirnerkrankungen.[bl] Altersleichtsinn.[bm]
Aber allgemeinere Grenzen der Erkenntniß.[bn] Unvorhergesehene Folgen. Naturereignisse. Unvorhersehbar?
Die nächsten und die weiteren Folgen. Wie oft sind die weiteren ganz entgegengesetzt!
Die Wahrscheinlichkeiten und ihre Abwägung. Ganz unbestimmbare Uebergänge. Die Menschenkenntniß. |[bo]
Ja, hätte ich das gewußt, – hätte ich das geahnt, – aber auch oft: hätte ich das bedacht![bp]
Denn drittens[bq]: all dies mögliche Wissen ist durchaus nicht immer präsent. In erster Linie braucht es Zeit. Namentlich auch, damit es die[br] Aufmerksamkeit jedes Einzelnen treffen und die Wertung hervorrufen kann.
Daher ist der Zwang zur plötzlichen Entscheidung eine schwere Beeinträchtigung der Wahlfreiheit. Deshalb soll man sich bei wichtigen Dingen, sofern man es in der Hand hat, Zeit lassen. Der Treppenwitz[15][bs]. Das Beschlafen; das Hinziehen des Entschlusses. Andrerseits wirkt dabei die Anlage mit. Die Neigung zu schnellen, – die Schwere des Entschlusses.
Temperamentsverschiedenheiten. Leichtsinn und Bedächtigkeit. Jugend und Alter. Das gefährliche Verschleppen, – das Spiel mit dem Feuer; die Selbstverführung.
Freilich hängt die Ruhe der Überlegung auch vom Grade der momentanen Erregung ab. Von Stimmungen und körperlichen Dispositionen. Abulie[16], temperamentsmäßig[bt] und pathologisch.[bu]
Viertens[bv] hebt jede unerwartete und sehr starke Gefühlserregung die Wahlfreiheit auf. Der Affekt als Milderungsgrund. |[bw]
Plötzliche heftige Gefühle. Schon physisch Störungen: Vasomotorisch, sekretorisch, Stottern, etc.[bx]
Gedankenhemmung. Der Verstand steht still. Man kann an nichts Anderes denken. Daher Aufgabe der Erziehung: der Mensch soll Herr über seine Affekte werden. Er ist unfrei in der Wahl, wenn er durch das Gefühl des Moments allein bestimmt ist. Alle Beschränkungen[by] laufen also daraufhin aus, daß die entscheidende Wirkung der constanten Motive beeinträchtigt ist.
Daß äußere Verhältnisse entscheiden – Möglichkeiten der Lage – Einsicht darin – Zeit der Überlegung – störende Affekte mehr bestimmen als das dauernde Wesen des Menschen.
Aber auch hier unbestimmte Grenzen. Temperamentsunterschiede in Hinsicht der Schleunigkeit des Entschlusses. Temperamentvolle Disponirtheit zu Affekten. Jähzornigkeit[bz].
Die Leidenschaften – Definition: dauernd dominirende Willensrichtungen – als Nährboden für Affekte.[ca]
So sagen wir auch, der Mensch sei unfrei, wenn er unter der Herrschaft der Leidenschaft steht. |[cb]
Pathologische Zustände[cc]. Kleptomanie, Nymphomanie. Hypnotische Determination. Aber auch Trunksucht, Liebe, Eifersucht etc.[cd]
Wo hier die Grenze?
Was im gewissen Sinne, dem momentanen Reiz gegenüber, als constantes Wollen gilt, ist im ganzen Leben und Wesen des Menschen ein Äußerliches, Fremdes, das wieder ausgestoßen werden kann, aber auch andrerseits zur zweiten Natur werden kann.
Soll man da von Beeinträchtigung der Wahlfreiheit[ce] reden?
Es kann sich doch immer nur darum handeln, daß die Wahl unbehindert so ausgeführt wird, wie es nach Maßgabe aller vorhandenen Motive geschehen muß. Der Mensch wählt frei, wo er seiner Natur gemäß entscheidet.
Dieses sein Wesen ist freilich nicht absolut constant; aber es muß als relativ constant angenommen werden, wenn jene Frage beantwortet werden soll.
Dabei sagen wir: er ist die Ursache seiner freien Entscheidungen. Er würde anders wählen, wenn er ein andrer wäre. |[cf] Ja, wir schließen aus der Art wie er wählt, auf sein Wesen. Also unsre Beurteilung von Menschen beruht darauf.
Wenn zwei in gleicher Lage verschieden reagieren, so sind es eben zwei verschiedne Kerle.
Immer nehmen wir praktisch an, daß jede Willensentscheidung bestimmt sei durch die Zusammenwirkung der constanten mit den momentanen Motiven.
Der Mensch als gefälschte Waage[cg].
Er incliniert auf die eine Seite vermöge seines persönlichen Wesens.
Alles Wählen resultirt aus dem Wollen. Von hier aus verständigen über Determinismus und Indeterminismus.
Wenn unter Determination die Abhängigkeit des Willens von den momentanen Außenreizen, den Begierden, verstanden werden soll, so ist kein vernünftiger Mensch Determinist.[ch]
Dann sind wir alle praktisch und theoretisch Indeterministen. Dann ist Wahlfreiheit einfach die Thatsache, daß die[ci] momentanen Begierden durch erinnerte, constante Begierden gehemmt und umgestaltet werden.
Die Apperception im Willensleben. |[cj]
Aber diese Apperception besitzt, obwohl in bescheidenem Maße, auch das höhere Thier, insbesondere das dressirte.
Und wir besitzen sie nicht absolut, sondern in jenen Grenzen.
Versteht man dagegen unter Determinismus die Lehre, daß jede Wahl durch die Gesamtheit der Motive, der constanten und[ck] der momentanen bestimmt sei, so sind wir alle Deterministen, in diesem Sinne sind es alle großen Philosophen gewesen.
Und dann ist Indeterminismus eine Paradoxie, die erst bewiesen werden müßte. Die Unzulänglichkeit jener Versuche. Thatsache, wo wir wählen könnten, aber nicht wählen, weil wir kein Motiv haben. Annahme einer Wahl ohne Motive, – eines Handelns ohne Ursachen.
Ehe wir das theoretisch verfolgen: was hätten wir davon? Ein Geschehen, das in uns ohne Ursache sich vollzöge, geht uns gar nichts an. Wertvoll ist die Wahlfreiheit gerade als Bestimmung der Wahl durch uns selbst. Das Selbst als Ursache. Der Begriff der Selbstbestimmung. Innerer Determinismus. |[cl]
Wie die Freiheit des Handelns darin besteht, zu tun, was man selber will oder gewählt hat, so die Freiheit der Wahl darin, sich so zu entscheiden, wie es der Gesammtheit des eignen Wollens entspricht.
Die sittliche Freiheit.[cm]
Freiheit des Handelns – psychophysischer Begriff. Freiheit des[cn] Wählens – psychologischer Begriff. Ehe wir zum Wollen übergehen, eine andre Auszweigung.
Wahlfreiheit ist Causalität der Persönlichkeit hinsichtlich ihrer Motiventscheidungen.
Volle Entfaltung aller Motive.
Aber wir fanden schwanke Grenzen[co]. Die Leidenschaften. Sehr starke, alle andern Regungen appercipirende Willenstendenzen.
Sofern sie sich in ihrer wirklichen Stärke geltend machen, können sie eigentlich nicht als Beeinträchtigungen der Wahlfreiheit aufgefasst werden, – im rein psychologischen Sinne.
Die Wahl bis dann eben wie stets durch das stärkste Motiv bedingt. Wenn wir doch davon reden, so geschieht dies mit einem Nebensinn. Eine solche Stärke des Motivs scheint uns nicht mehr zum Wesen der Persönlichkeit zu gehören. Es ist etwas Äußeres, Fremdes, – ein fremder Tropfen im Blut.
Wie der Affekt für den Moment, so die |[cp] Leidenschaft für kürzere oder längere Zeit.
Die kürzere behandeln wir gern wie den Affekt. Sinnenliebe. Der Rausch wird schon verfliegen, wenn er auch ein paar Monate oder Jahre dauert. Ebenso Eifersucht.
Bei dauernden Richtungen – Eifersüchten, die ein ganzes Leben lang dauern kann, – bei Habsucht, Geiz, da reden wir schon, das sei zur „zweiten Natur“ geworden.
Und dann darf eigentlich psychologisch die Wahlfreiheit nicht beeinträchtigt genannt werden: es kommt ja eben in der Wahl diese Natur des Menschen, wie er nun einmal ist oder geworden ist, zur Geltung und zu Tage.[cq]
Dann aber auch nicht bei entschieden pathologischen Verhältnissen: Kleptomanie. Der Mensch hat nun einmal die Sucht zu stehlen. Sie hat keine andern Motive, ist selbst ursprüngliches Motiv und so stark, daß sie alle andren überwiegt. Psychologisch ist also alles in Ordnung. Dennoch reden wir von Beeinträchtigung der Wahlfreiheit.
Weshalb? Wir bezeichnen eben solche dominirende Stärke des einzelnen Willens als abnorm. Als etwas das Mittelmaß des Menschlichen Ueblichen Uebersteigendes. Aber zugleich als etwas, das nicht sein sollte[cr]. Maßgebend ein Normbegriff.
In jedem solchen Zustande erscheint der Mensch als Persönlichkeit abhängig von dem Gegenstande seiner Leidenschaft. Beherrscht von dem Äußeren, Fremden. Dies[cs] hat zwar die Gestalt seines Wollens angenommen, |[ct] erscheint uns aber doch als ein von außen aufgedrungener, ungehöriger Bestandtheil seines Wesens.
Das Unheimliche der Leidenschaft. Das dämonische Besessensein.
Im Gegensatz dazu ergibt sich das Bedürfniß, davon frei zu sein.
Ein Ideal der Freiheit im normativen Sinne. Die sittliche Freiheit. Die zugleich eine Freiheit von der Welt ist. Das stoische Ideal der ἀπάϑεια[17].
Diese negative geht in die positive Bestimmung über.
Diese Befreiung nur möglich durch die Vernunft.
Also: frei sein heißt der Vernunft gehorchen. Die „wahre“ Freiheit – wie in der Politik. Spinoza – Leibniz[cu].
Eo magis est libertas quo magis agitur ex ratione, … scritus. – – – – libidine.[cv][18]
Aber die Vernunft kann nur herrschen, wenn sie ein System des Wertens, der Gefühle, der Wollungen ist. Als praktische Vernunft.
Sittliche Freiheit ist da vorhanden, wo die entscheidenden Apperceptionsmotive die vernünftigen, d. h. die moralischen Grundsätze sind.
Daher Selbstbestimmung der Vernunft. Kant’s Autonomie.
Dieser ethische Freiheitsbegriff geht somit |[cw] von dem Ideal oder der Norm der sittlichen[cx] Persönlichkeit aus. D. h. derjenigen, welche nur nach den Principien der Moral handelt.
Frei ist der Mensch, bei dem die sittlichen Motive die stärksten, überall entscheidenden sind und jede Wahl entscheiden. Unfrei der, welcher seinem auf äußere Reize bezogenen Triebe als dem stärkeren Motive folgt. Dieser Freiheitsbegriff ein ganz anderer als der der Wahlfreiheit.
Der erstere spricht ein Ideal, eine Norm aus, – der letztere eine psychologische Thatsache. Der eine bezogen auf das, was sein soll – der andere auf das, was ist. Daher nicht zu vermischen – wie es meist geschieht! Weil beide Begriffe so fein miteinander verästelt sind.[cy]
Es kann einer in einem Sinne frei sein, der es in dem andern nicht ist. Spinoza[cz].
Der Verbrecher, der bei kühler, oft erwogne Ueberlegung mit aller Kenntniß der Sachen seine Absicht z. B. des Mordes ausführt, ist frei im psychologischen Sinne, d. h. wahlfrei. Im ethischen Sinne werden wir ihn unfrei nennen; er steht unter der Herrschaft seiner Leidenschaft; des Hasses, der Habsucht etc.[da]
Andrerseits bildet die sittliche Freiheit eine Art von Beschränkung der Wahlfreiheit.
Wir bezeichnen sie freilich gewöhnlich nicht so.[db] |[dc] Wo Leidenschaften dominieren, da reden wir von Beschränkung.
Wo – psychologisch parallel – sittliche Gefühle dominieren, da nennen wir es wahre, d. h. sittliche Freiheit. Das Leidenschaftliche am sittlichen Enthusiasmus: s[iehe] oben![dd]
Wir betrachten eben die Vernunft als das wahre Wesen des Menschen, d. h. wir setzen ethisch den normativen Gattungsbegriff an die Stelle des psychologisch bestimmten Einzelwesens[de] und sehen diese Art der Selbstbestimmung als die richtige an.
Demnach enthält sie eine Beschränkung der Begierde und Wahlfreiheit.
Das Sittliche ist gebunden an die Norm. Ein Gefühl der Unfreiheit, umso mehr, je weniger sie noch gewohnt ist. Lessing![df]
Und diese Unfreiheit giebt den Nachtheil des Sittlichen im Kampf um’s Dasein. Der sittliche Mensch darf vieles nicht wählen, was dem unsittlichen frei steht. Jener fühlt sein eignes sittliches Wollen zunächst als einen Zwang[dg] und erst die reifere sittliche Ausbildung führt zur vollen Identification des Selbst mit dem Sittengesetze – von Kant zu Schiller;
Des Gesetzes starre Fessel bindet
Nur den Sklavensinn, der es verschmäht:
Mit des Menschen Widerstand verschwindet
Auch des Gottes Majestät.[19] |[dh]
Die Freiheit des Wollens.[di]
Alle bisher behandelten Freiheitsbegriffe laufen auf den Begriff einer ungehinderten Causalität eines schon bestehenden Wollens hinaus.
Freiheit des Handelns der ungestörte Uebergang des wie immer zustandegekommenen Wollens in zweckmäßige Handlung.
Freiheit des Wählens ungestörte Causalität der Persönlichkeit, welche die constanten Motive in jeder gegebenen Lage zur Entscheidung kommen läßt.
Sittliche Freiheit als Ideal der Causalität des Sittengesetzes, d. h. einer solchen Gestaltung der constanten Motive der Person, wodurch die sittliche Ueberzeugung herrschende Apperceptionskraft wird.
Immer handelt es sich darum, das Handeln und Wählen vom Wollen des Menschen bestimmt sei.
Der Gegensatz von Wahlfreiheit und sittlicher Freiheit beruht darauf, daß das Handeln und Wählen, bestimmt durch das Wollen, gewertet wird je nach dem Werte des Wollens: dabei sehen wir zunächst das Wollen als Thatsache an.
Für die Psychologie keine weitere Notwendigkeit.
Ist ein Wollen da, so wirkt es im Wählen |[dj] und bestimmt das Handeln.
Wer wählt und handelt, erweist sich damit als das, was er als wollender ist. Wenn Verschiedne in gleicher Lage, verschieden entscheiden und handeln, so ist der Grund, daß sie verschieden wollen.
Aber woher dies verschieden wollen?[dk]
Im sittlichen Freiheitsbegriff die erste Andeutung der Verantwortlichkeit. Und diese an der Hand der Causalität. Die Verantwortung trifft den Willen als Ursache der Wahl und der Handlung.
Der conditionale Ausdruck. Wäre der Wille anders, so wäre auch Wahl und Handlung anders. Der wollende Mensch wird für sein Wählen und Handeln verantwortlich gemacht.
Aber können wir nun auch noch den Menschen für sein Wollen verantwortlich machen? Der Mensch kann thun und wählen was er will – kann er auch wollen, was er will? D. h. ist der Mensch schließlich etwas anderes als sein Wollen?
Jedenfalls wird auch diese Frage nach der Freiheit des Wollens zunächst auf Causalitätsfragen zu richten sein. Wahl und Handlung sind das Produkt aus constanten und momentanen Motiven.
Fragen wir zunächst nach deren Ursprung. So liegt er für die momentanen Begehrungen nicht in der Persönlichkeit, sondern im Welt|[dl]lauf.
Es steht nicht bei uns, in welche Lage wir kommen, welche Begehrungen in uns hervorgerufen werden. In gewissem Umfange freilich können wir vorsichtig sein, uns hüten mit dem Feuer zu spielen. Aber der Naturnotwendigkeit entgeht keiner.
Wer nie in Versuchung war, hat gut reden über den, der ihr erlegen ist.
„Wer nie sein Brod mit Tränen aß,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.“[20]
Aber es steht bei uns, ob wir unterliegen: wir sind ja wahlfrei. Allein diese Wahlfreiheit beruht auf der Stärke der Motive.
Und schon die des momentanen Begehrens hängt von der Person ab.
Augustinus’[dm] Beispiel des sexuellen Reizes.[21] So einfach ist es nicht. Die verschiedne Irritabilität. (Jugend, Alter etc.[dn]) Mancher hat’s wieder leicht, andre nicht.
Und ebenso der ethische Widerstand bei dem einen nach Erziehung und Anlage größer, als beim andern. Und auf diesem Verhältniß beruht alle Wahl. Sie geht also auf das ursprüngliche Wesen der Persönlichkeit zurück.
Worauf beruht dies?
Hier läßt uns die Psychologie im Stich. Streckenweise kennen wir die psychogenetische Entwicklung des Charakters. Die Apperzeption und Akkumulation der Gefühle |[do] und Begierden.
Schwere Schicksale – Verbitterung, Haß. Entstehung der Leidenschaften. Sonniges Leben, Wohlwollen etc.[dp] Aber das macht es nicht allein.
Zuletzt immer nur auf ursprünglichen Keim zurück. Der zunächst formal gegeben in den Temperamenten. Willens-Schlaffheit – Energie. Reizbarkeit – Ruhe. Ererbte Eigenschaften.
Man kann in thesi[dq] behaupten, daß aus diesen Anlagen mit Assimilation der Umgebung sich der Charakter bilde. Aber man kann es nie genau beweisen.
Es bleibt etwas Unzerlegbares in der Individualität. Ein Unaussagbares, zuletzt nur Fühlbares[dr]. Das Gefühl der Eigenexistenz, – der Freiheit im metaphysischen Sinne.
Der makrokosmische Freiheitsbegriff. Wir sind etwas Eigenes, sind nicht bloß Product.
Gerade das Verantwortlichkeitsgefühl hat diese metaphysische Freiheit immer postulirt. Es kommt aber deshalb in Konflikt mit dem Causalitätsbedürfniß, aus dem es selbst hervorgegangen ist.
Das theoretische Denken muß die Causalketten über das Individuum hinaus verfolgen.
Constante und momentane Motive haben schließlich ihre Ursache im Weltlauf – in den allgemeinsten Zusammenhängen der Dinge. |[ds]
Der metaphysische Freiheitsbegriff steht mit der Lehre von der göttlichen Weltschöpfung ebenso in Conflict wie mit der von der unverbrüchlichen Naturnotwendigkeit aller Dinge.
Aber diese Probleme haben noch eine andre, engere Form.
Die über das Individuum hinausgreifenden Causalfäden weisen zunächst auf die menschliche Gesellschaft: in ihr bilden sich, unter ihrem Einfluß, die Charaktere, – aus ihr wachsen die momentanen Reize.
Das metaphysische, das theologische, das sociologische Freiheitsproblem.
Hier[dt] die große Verschlingung und die verzwickte Antinomie. Verantwortlichmachen und Causalbetrachten. Das erstere bedarf stets des zweiten, wenn es auch damit nicht[du] erschöpft ist.
Immer nur eine Ursache für ihre Wirkung verantwortlich. Folgen – Handlungsimpuls – Wahl – Motive, constante und momentane.
Haben diese wieder Ursache, so muß diese dafür verantwortlich sein. Daher das Hinaustreiben der Causalkette.
In letzter Instanz sind verantwortlich (theoretisch), nur die letzten, ersten Ursachen.
Ursachlose Ursachen.
So scheint es, als sei der Mensch nur verantwortlich, wenn er mit seinem Wollen, als wollendes |[dv] Wesen im Ganzen oder im Einzelnen, zu den ursachlosen Ursachen gehört.
So erscheint der Begriff der Freiheit des Wollens als der eines ursachlosen Wollens. Freiheit von der Causalität.[dw]
Und das ist nun das Vertrackte, daß dieser Begriff, aufgestellt aus dem Gefühl der Verantwortlichkeit heraus, statt diese zu begründen, sie vielmehr aufhebt!!
Freiheit von der Causalität ist Freiheit von der Nothwendigkeit.
Das, was auch anders sein könnte, – dessen Gegenteil möglich ist –
Das Zufällige. Freiheit als Contingenz.
Alles was notwendig, ist durch etwas Anderes bestimmt; daher dies dafür verantwortlich. Der Wille nur verantwortlich, wenn er zu dem Sein gehört, das nicht notwendig ist.
Est: hoc vero de eo et dixisse et concepisse sufficit.[dx][22]
Ist das der Fall? Ist das Wollen – sind die Motive derartig?
Momentanes und constantes Wollen. Hier wird hinsichtlich des ersteren das liberum arbitrium indifferentiae[dy] metaphysisch wichtig. Der negative Befund der inneren Erfahrung legt die Beweislast dem causale Notwendigkeit behauptenden auf: und das versagt.
Die Mechanismen lassen sich im einzelnen Fall nicht aufweisen.
Ebenso ist es mit dem Auftauchen des einzelnen |[dz] Begehrens.
In derselben Lage[ea] gelüstet’s den einen, den andern nicht. Und keiner weiß weshalb.
Das erotische Gebiet.
Leidenschaftliche Liebe[eb], – sie ist einfach da, unbegreiflich, ursachlos.
So andre Gefühle, die plötzlich erwachsen: Heimatliebe. Wir haben den Eindruck des Ursachlos-Einfachen. Ein subjectives Freiheitsgefühl.
Das Wollen als Ursache endloser Wirkungen in der Welt – selbst ohne Ursache.
„Causalität durch Freiheit.“[23]
Das Vermögen eine Causalkette von vorn anzufangen.
Kant’s Aufstehen vom Stuhl in der 3. Antinomie[24][ec].
Zufällig!? Daß es notwendig war, ist nicht zu beweisen!!
Welche endlose Menge stets neu beginnender Causalketten!
Stetige Verwicklung des Geschehens, wenn jeder solcher Einfall eine neue Causalreihe beginnt. Die epikureischen Atome. Das Bedürfniß Anfänge der Kette zu haben. Fichte’s grundlos freie Handlungen: deshalb unbewußt.
Aber so wenig wie der Determinismus die Ursache aufweisen kann – im Einzelnen exakt –, ebenso wenig kann der Indeterminismus die Ursachlosigkeit beweisen.
Also bleibt theoretisch ein non liquet[25], und nichts nötigt uns, das Princip der Erhaltung der Energie preiszugeben. |[ed]
Andrerseits problematisch lassen. Aber wir fragen nun: was hilft uns die Annahme der Ursachlosigkeit des einzelnen Wollens zur Begründung der Verantwortung?
Wenn in mir etwas geschieht, was ursachlos ist, also seine Ursache auch nicht in mir hat, – so widerfährt es mir, ich erlebe es, ich finde es vor: aber kann ich mich, kann verständiger Weise mich ein Andrer dafür verantwortlich machen? Soll hier etwa der Satz gelten casum sentit dominus[26][ee]!
Für den Zufall haftet der, dem er widerfährt? Ernsthaft, für das Ursachlose kann niemand verantwortlich gemacht werden.
So etwas kann ein Glück, ein Unglück sein, – das große Loos, eine Niete, ein Pech – aber verantwortlich sind wir dafür nicht.
Wenigstens nicht positiv, – höchstens negativ oder relativ, insoweit all unsre Natur Ursache für Stärke oder Schwäche, für Wirkungsfähigkeit oder Machtlosigkeit des einzelnen Wollens ist.
Wir haben’s laufen lassen, – oder besiegt –; je nachdem. Das sind wir, das haben wir getan, aber so ein ursachloses Einzelwollen, das geht uns selbst nichts an.
Da sind wir Zuschauer, Erleber, Bühne und Boden; und sind da nicht verantwortlich für das, was zufällig auf ihnen und ihnen „passirt“.
Also mit der Ursachlosigkeit der momentanen |[ef] Wollungen ist es nichts.
Ihre Thatsächlichkeit ist problematisch. Und ist sie vorhanden, so ist damit die Verantwortung dafür aufgehoben.
Bleiben die constanten: die Natur des Menschen, sein Charakter? Ist dieser frei im Sinne der Ursachlosigkeit – eine metaphysische Urposition?
Auch hier dasselbe Spiel: wer aus dem Gefühl heraus die Ursprünglichkeit und Aseität[27] behauptet, schiebt dem Gegner die Beweislast zu: zeige wie er entsteht! Und das kann der nicht! – wenigstens nie vollständig.
Und umgekehrt: wer a priori[eg] nach Causalitätsprincip die Verursachtheit behauptet, schiebt dem andern die Beweislast zu: beweise, daß hier eine Ausnahme ist, – daß dieses Nicht-Kennen der Ursache ein Nichtvorhandensein erhärtet. Und das kann man wieder nicht!
Gleichgiltig für die Controverse ist ein Streit, der sich an Schopenhauer’s These von der Unveränderlichkeit des Charakters, des „Wesens-an-sich“ anknüpft. Auch er endet mit einem non liquet[eh].
Der eine behauptet, alle Wandlungen seien nur scheinbar, nur im Intellect und in der „Erscheinung“: die anderen sagen, sie betreffen das Wesen selbst.
Willkürlichkeit der Bestimmung, was man das „Wesen“ nennen will. |[ei]
Aber davon unabhängig ist folgendes, was zu unsrer Frage gehört:
1) Ist der Charakter unveränderlich, so kann er trotzdem geworden sein in einem festen, unverrückten und nur scheinbar veränderlichen, äußerlich modelbaren Kern: seine Unveränderlichkeit beweist nichts für seine Unverursachtheit.
2) Ist er veränderlich, so ist das eine in ihm selbst gegebene Möglichkeit und ursprüngliche Anlage. Sicherlich ist diese selbst bei den verschiedenen Menschen verschieden.
Ja die Möglichkeit der Veränderung, die Fähigkeit umzuschlagen, alle die Veränderlichkeit selbst gehört zu den ursprünglichsten Eigenschaften des Charakters. Das Maß der Veränderlichkeit dürfte u. U. ein Merkmal in dem an sich unveränderlichen Wesen des Menschen sein.
Also, seine Veränderlichkeit beweist nichts für seine causale Abhängigkeit und Verursachtheit!!
Sehen[ej] wir die Tatsachen etwas näher an, so ist eine verschiedene Charakterveranlagung der Kinder zweifellos. Trotz gleicher Verortung und Lebenslage: Zwillinge. Trägheit – Betriebsamkeit[ek]; Energie und Schlaffheit; Offenheit und Verstecktheit[el]; Selbstsucht und Selbstlosigkeit; Ehrgeiz und Gleichgültigkeit; Schleckern und Einfachheit. Worauf das beruht, wissen wir ebenso wenig, wie den Grund des Geschlechtsunterschiedes. |[em] So wie der embryonale Vorgang, so ist uns auch der der spezifischen Veranlagung, bzw. der ersten genetischen Entwicklung von moralischen Eigenschaften verborgen.
Bei den formalen Eigenschaften und den auf sinnliche Reize bezüglichen lässt sich eine logische Veranlagung im Sinne größerer oder geringerer Reizbarkeit annehmen.
Bei solchen Dingen wie Wahrhaftigkeit und Eigenliebe ist das schon sehr viel schwieriger. Hier ist anzunehmen, daß die formale Veranlagung unter bestimmten Anlässen in Wirksamkeit tritt.
So bei vielen Vererbungen: Handschrift, Haltung etc.[en]: wo der vererbt-morphologische Charakter sich in functioneller Gleichheit der Generationen manifestirt, in dem gleiche Anlagen unter gleichen Veranlassungen gleich wirken. Ist also schon die physische Vererbung ein dunkles hypothesenüberschüttetes Gebiet, so die psychische noch mehr.
Dazu kommt der Atavismus.
So ist die ganze Mischung der Eigenschaften im Individuum niemals causal restlos zu begreifen.
Aber das beweist nun gar nicht die causalitätslose Freiheit. Im Gegenteil: je weiter wir partiell solche Causalitäten feststellen können, – die |[eo] Erblichkeit des Verbrechertums aus Alkoholismus etc.[ep] – umso mehr müssen wir meinen, daß hier nur Grenzen unserer Causalerkenntniß, nicht der Causalität selbst sind.
Dann aber würde das „Wesen“, der „Charakter“ des Menschen keine absolute Wirklichkeit, keine ursachlose Ursache, sondern ein Product seiner Ursachen und selbst die Ursache seiner Entscheidungen und Willensimpulse sein.[eq]
Dann darf man die Droschke der Causalität nicht beim Charakter anhalten lassen: für wissenschaftliche Untersuchung wird daher zunächst, bis die Causalitätlosigkeit sicher erwiesen, das Postulat des Causalgesetzes in Kraft bleiben.
Aber wo bleibt dann die Verantwortung? Wir können das auch so formuliren: für alles einzelne Wollen ist der Charakter verantwortlich.
Wer ist für den Charakter verantwortlich? Etwa der Mensch selbst? Dann muß er die Ursache seines Charakters sein.
Was heißt das: was ist er im Unterschiede von seinem Charakter?
Wir sprechen so – was können wir uns darüber denken? |[er]
Darauf nur mit Nein zu antworten. Was der „Mensch“, das „Individuum“ sein soll im Unterschiede von seinem Charakter.
Ein Ding im Unterschiede von seinen Eigenschaften und als Ursache dieser Eigenschaften!
Auf die erkenntnißtheoretische Schwierigkeit, die darin steckt, nur ganz kurz hinzuweisen. Solch ein Ding ist ein Ding-an-sich, ein unbestimmbares merkmalloses Ding, unerkennbar und postulirt.
Und das in diesem Falle aus Verantwortlichkeitgefühl.
Ob diese Causation durch ein Unerkennbares hilft.
Man sehe Platon[es], Schlußmythos der Republik. Nach jedem Weltalter trinken die Seelen Lethe[28]; d. h. sie werden in empirischer Hinsicht entindividualisiert.
Und wählen sie unbekannte Lose, – danach entscheidet sich ihr Leben durch alle Wandlungen des neuen Weltalters hindurch.
Eine Zufallswahl bestimmt unweigerlich was die Seele im Erdenleben für einen Charakter haben wird.
Begrifflich in Kant’s[et] Lehre vom intelligiblen und empirischen Charakter. Kritik der reinen Vernunft. Erscheinung und Ding-an-sich. Raum. Zeit. Causalität. |[eu]
Zwar kein Causalverhältniß. Aber doch eine Art von Dependenz. Der empirische Charakter erscheint so, weil der intelligible so ist.
Kant’s[ev] Lehre vom Gewissen. Schopenhauer trotz allen Sträubens.
„Entsprechen“ Herbart. „Hindeutung“ auf Sein. Aber das bleibt eben ein Postulat.
Der intelligible Charakter völlig unbestimmt. Jede Bestimmung, die wir dächten, wäre empirisch. Das völlig Unbestimmte und Unausdenkbare verantwortlich für das Bestimmte, Bekannte, empirisch causal Erklärbare.
Das macht die „Freiheit“ nicht verständlich, – das Problem bleibt ungelöst.
Welches[ew] ist das Motiv solcher Lehren? Es liegt im Begriff der Selbstbestimmung. Dieser Begriff hat seinen empirischen Sinn. Platon’s[ex] Lehre von der Selbstbeherrschung. Die Theilung im Selbst. Das eigentliche, wahre Selbst. Dies empirisch bestimmt. Charaktereigenschaften. Apperceptionskräfte.
Liegt dem Begriffe der Freiheit des Handelns und der Wahl zu Grunde. Wird nun aber über sich selbst hinaus gesteigert. |[ey]
Sublimirt zu der Vorstellung, daß auch jener Kern sich selbst bestimme.
Das ist nur noch ein Wortverlangen[ez], aber nicht mehr aus denkbar, nur postulirbar.
Gerade wie beim Ding. Der empirische Dingbegriff zeigt den Unterschied wesentlicher und zufälliger Merkmale.
Ding-an-sich soll hinter den wesentlichen Merkmalen noch ein Ueberwesen bedeuten. Das ist empirisch nicht mehr bestimmbar: daher erklärt es auch nichts. Und ebenso der intelligible Charakter. Ein Uebercharakter.[fa] Alle Eigenschaften, die wir denken können, sind empirisch bestimmt.
Alle Willensrichtung durch ihre Gegenstände. Das alles fällt für den intelligiblen Charakter fort. Er ist undenkbar.
So verwandelt sich für Kant der „transcendentale“ Freiheitsbegriff in den ethischen. Kr[itik] d[er] pr[aktischen] V[ernunft].
Bestimmung durch kein empirisches Motiv, nur durch die Form des Gesetzes.
Aber das ist kein individueller Charakter (daher fällt diese Leere in der Kr[itik] d[er] pr[aktischen] V[ernunft] fort), sondern der Normbegriff der ethischen Freiheit. |[fb]
Zwischen beiden in der Mitte steht der Gedanke, daß die vorzeitliche Entscheidung[fc] und Selbstbestimmung eine solche entweder zum Guten oder zum Bösen sei. Rel[igion] in[nerhalb der] Gr[enzen] d[er] bl[oßen] V[ernunft] – Kant.
Freilich hilft das nichts. Denn es ist darum nicht mehr begreiflich, weshalb das Böse und das Gute in den individuellen Formen auftreten.
Und dann beruht das doch auf der sehr kindlichen Psychologie der Stoiker, die alle Menschen in σπουδαῖοι und φαῦλοι[29] theilten. Ganz gute und ganz böse.
Beides giebt’s in Wahrheit nicht: Grenzbegriffe. Der wirkliche Mensch hinsichtlich des ethischen Wertes immer gemischt.
Die Fehler die Schatten seiner Tugenden.
Die allmählichen Übergänge aus der einen Bestimmtheit in die andre.[fd]
Die unendliche Mannigfaltigkeit[fe] des individuellen Wesens nicht auf eine kurze Formel zu bringen. Eine Ungerechtigkeit, die dem ethischen und dem religiösen Bedürfniß gleichmäßig widerspricht.
Allein die Lehre von der absoluten Selbstbestimmung des Menschen steht auch im Widerspruch mit jeder monistischen Metaphysik. Welche alles Sonderwirkliche als bestimmt durch das einheitliche Gesammtwesen ansieht. Vor allem also mit der theologischen Metaphysik, |[ff] mit der Lehre von der Weltschöpfung[fg].
Die Selbstherrlichkeit der Individuen paßt nicht in den Causalzusammenhang des Universums.
Stoa[fh]. Ihre Ethik: αὐτάρκεια[30] des Weisen und ihre Metaphysik. εἱμαρμένη[31]. πρόνοια[32].
Ausflucht schon hier, wie in der späteren Theologie. Gott schafft die Individuen frei, sodaß sie sich selbst entscheiden.
Klingt sehr plausibel und verfliegt bei näherer Betrachtung. Denn: wenn sie sich nur so entscheiden, ohne göttliche Mitwirkung,[fi] weshalb das eine Individuum anders als das andre? Entweder: weil sie eben verschieden waren, – Operari sequitur esse[33] –: dann sind sie also verschieden von Gott geschaffen: er ist dann der Urheber ihrer Entscheidung, ihres Charakters, ihres empirischen Handelns.
Oder er hat sie wirklich indifferent geschaffen – dann ist ihr verschiedenes Handeln wieder ein ursachloses Geschehen in[fj] ihnen: Zufall. Dann ist das Gute kein Verdienst und das Böse keine Schuld.
Und wenn nun gar nach theol[ogischer] Vorstellung die Entscheidung des einen für, die der andern gegen Gott geht, – wie ist es zu verstehen, daß er ein zufälliges Geschehen duldet, das ihm widerspricht? |[fk]
Hier schieben sich in das Freiheitsproblem die ganzen Aporien der Theodicee ein. Und man sieht, daß das Wort Freiheit absolut ungeeignet ist, sie zu lösen.
Dasselbe Argument in anderer Wendung in dem Widerspruch zwischen Freiheit und göttlicher Präscienz[34]. Wissen kann man nur, was bestimmt ist, d. h. das Zukünftige nur, sofern es aus dem Gegenwärtigen notwendig folgt.
So machen wir Menschen es, in unsern Grenzen. Je besser wir Jemand kennen, umso sicherer sehen wir seine Entscheidungen und Handlungen voraus. Irren wir uns, so sagen wir, daß wir ihn nicht genug gekannt haben, nicht, daß da ein ursachloser Zufall gespielt habe. Soll nun Gott das Ganze der Dinge voraussehen, so kann weder eine Gesammtentscheidung noch ein einzelnes Wollen – ursachlos, es muß alles notwendig sein.
Dann aber hört die Selbstbestimmung auf: Gott ist die letzte Ursache selbst. In der That hat das theologische Denken[fl] diese Consequenz der absoluten göttlichen Causalität nicht gescheut, – gerade in den bedeutendsten Denkern, Augustin, Calvin.
Prädestinationslehre.
Warum sträubt sich dagegen das Freiheitsgefühl, Fatum und Naturmechanismus lehren dasselbe. |[fm] Wenn Gott alles vorherbestimmt[fn], den einen zur Seligkeit, den anderen zur Verdammniß, weshalb müssen wir das ganze heiße[fo] Ringen erst noch durch machen? Das ist mehr Gegengrund als der Vorwurf der Ungerechtigkeit.
Weshalb Gott den Einen gut und den Andern schlecht gemacht? Das Schleiermacher’sche Gegenargument: es hatte ja vorher keiner Individualität; er wurde erst durch Gottes Ratschluß.
Und nun wird der, den er gut geschaffen, belohnt, und der, den er schlecht geschaffen, verdammt: wer will sich beklagen?
Unlösbare Antinomien[fp], in denen kein metaphysisches Denken ein sicheres Ergebniß finden kann. Es ist besser, wie Malebranche[fq] zu sagen: La liberté c’est le mystère[fr][35], als vergebne und unausdenkbare Wortlösungen zu construiren. Der Philosophie steht hier das οἶδα ὅτι οὐ[δεν] οἶδα[36] an.
Deshalb nur noch eine Reflexion. Schopenhauer’s Formulirung: wie tief im metaphysischen Wesen der Dinge die Wurzeln die Individualität liegen.
Verantwortungsgefühl scheint sie so tief als denkbar zu suchen. |[fs]
Wir möchten für uns selbst verantwortlich sein, Selbstherrn unsres Wesens und Handelns. Widerspruch gegen das religiöse Grundgefühl der schlechthinigen Abhängigkeit[37], des Bestimmt- und Bedingtseins.
Das Unendliche und das Endliche. Die metaphysische Freiheit erhebt das Endliche zum Ursprünglichen. Sie macht den Menschen zum selbstbestimmenden Gotte.[ft]
Eine Antinomie, die sich unlösbar durch alle Gefühlsformen des Freiheitsproblems hindurch zieht.
Aber auch abgesehen von den religiösen Schwierigkeiten.
Man versuchte den Gedanken durchzuführen, daß jede Individualität Aseität besitze. Urposition des Wirklichen wäre, unbegreiflich, unerklärlich, weil unentstanden und unvergänglich[fu].
Jeder erhebt gefühlsmäßig zunächst für sich, diesen Anspruch über Wahlfreiheit hinaus, metaphysische Wollensfreiheit[fv] zu besitzen. Wir stehen sie besonders gern den großen Individuen der Geschichte zu. Betrachten diese ungern als Producte. Meinen vielmehr, daß aus ihnen ureigne neue Kraftströme in die Welt und Zeit sich ergießen.
Hier ist uns die Idee der metaphys[ischen] Freiheit sympathisch.
Aber bleibt sie es auch, wenn wir die Sache |[fw] demokratisch durchführen? Soll jedes Exemplar der Spezies homo sapiens[fx] ein Urwirkliches sein? Und wenn das nicht, – wo die Grenze?
Es hat Denker gegeben, die an der demokratischen Ausdehnung des Unsterblichkeitsglaubens Anstoß nahmen.
Ob da nicht manche „Seele“ aufbewahrt werde, um deren Conservirung es sich wenig lohne. Daher man annehmen müsse, daß Ueberdauern kommen nur etlichen zu; es müsse erworben werden.
Will man ähnlich rückwärts die ursachlose Freiheit nur wenigen, – vielleicht denselben – zusprechen, sodaß, was von ihnen gälte, nicht zuträfe für das Herdenvieh der Geschichte[38]? Man sieht, wie uferlos die Phantasien sind, in welche der metaphysische Freiheitsbegriff hinaus treibt.
Verzichten wir darauf – die Probleme bleiben schwer genug, wenn wir uns in den Grenzen der Erfahrung halten. Hier scheint, wenn man nicht gleich bis an die metaphysische Grenze – Gott, Schicksal, Weltlauf und Weltordnung – gehen will, die Ursachlosigkeit des Individuums durch sein Verhältniß zur Gesellschaft widerlegt. |[fy]
Aus ihr geht das Individuum physisch als Product hervor – auch psychisch? Mit seinem Wollen? Und also auch seinem Wählen und Handeln?
Antwort darauf schien die Moralstatistik zu geben. Kaum ein Jahrhundert alt. Quételet. Oettingen. Adolf Wagner. Drobisch. Knapp. „Zufall“[39]. 70ger Jahre.
Thatsache ist die Regelmäßigkeit, womit sich, zahlenmäßig feststellbar, in einem sozialen Ganzen auch die Vorgänge vollziehen, welche wir als freie Willenshandlungen zu betrachten und zu behandeln gewohnt sind. Eheschließungen. Verbrechen. Selbstmorde.[40] Annähernd gleiche Prozentsätze. Und die gleiche Regelmäßigkeit zeigt sich auch in der Dispersion. Die Altersverhältnisse der Ehegatten. Die Verteilung der Ehen auf die Monate; im Frühjahr am meisten.
Ebenso die Zeit und Art der Verbrechen. Diebstahl am häufigsten im November. Constante Procentsätze an der Beteiligung der Geschlechter und der Lebensalter; z[um] Th[eil] auch der Berufe.
Selbstmord ebenso; auch Mittel, Ertränken, Erhängen, Erschießen, Vergiften. |[fz]
Bei erster Entdeckung Schreck. Quételet. Wagner[ga].
Eine geheimnisvolle Naturnotwendigkeit schien entdeckt.
Wie in den Mortalitätstabellen. Wie von 1000 Menschen jährlich X sterben so stehlen Y.
Das eine so notwendig und unfreiwillig wie das andere.
Acht Leute müssen stehlen – es bleibt ihnen nur, wie Lotze[gb] sagte[41], freigestellt, ob sie zu Fuß oder zu Pferde stehlen.
L’homme moyen[gc]. Der Durchschnittsmensch: Quételet: penchant au crime[42]. Oettingen[gd]. Empirische Bestätigung der Erbsünde.[43]
Jeder hat, sogar wir, etwa 8/1000 Wahrscheinlichkeit zu stehlen. „Die Criminalität“ numerisch. Schade, daß man nicht die Consequenz gezogen hat: wie man sich gegen Tod, Unfall, Brand, Hagel und Einbruch versichert, so auch gegen Verbrechen zu versichern.
Wie man die Sterbenswahrscheinlichkeit für jedes Lebensjahr durch einen Bruch darstellt, dessen Nenner eine Zahl der in diesem Lebensalter befindlichen Personen, dessen Zähler die Anzahl der davon Sterbenden darstellt, so etc.[ge] |[gf]
Ernst gesprochen. Der Denkfehler leuchtet sofort ein, wenn man die Analogie zu Ende denkt. Stirbt man etwa an der Sterblichkeitsziffer oder am sog. Mortalitätsgesetze?
Stirbt Einer Ende December, weil das durchschnittliche Jahresquantum von Todesfällen in dem Jahre noch nicht erreicht ist? Nein, er stirbt an seiner Krankheit.[gg] Diese „Gesetze“ sind nicht Ursachen, die für den einzelnen Fall bestimmend wären.
Das verlangt[gh] eine allgemeinere Untersuchung. Die logischen Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Das Princip der Spielräume.[gi]
Gruppen von Ereignissen, die unter constanten und variablen Bedingungen stehen, von denen nur die ersteren bekannt sind.
Exact nur anwendbar, wenn diese constanten Bedingungen eine numerisch angebbare Disjunction darstellen. Man weiß, unter X möglichen Fällen, sind auch solche, auf die man abhebt. Dann faßt Y/X die Wahrscheinlichkeit für den günstigen Fall.
Nun ist theoretisch und empirisch erwiesen, daß diese Wahrscheinlichkeit wirklich eintritt bei genügend großer Anzahl der Fälle, d. h. daß dann unter nx Fällen ny günstige auch wirklich vorkommen. |[gj] Genau geht das, wie die Theorie zeigt, nur wenn n = ∞.
Aber durchschnittlich schon bei sehr großen Zahlen. Das Gesetz der großen Zahlen. Freilich weiß man nie, ob die Zahl groß genug ist.
Aber Thatsache ist die Convergenz.
Bei geringer Zahl große Differenzen, unter 10 Malen, geringer bei 100, noch geringer bei 1000 etc.[gk]
Dies umgekehrt giebt die großnumerische Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Aufgabe: aus der thatsächlichen Distribution der Fälle, die Disjunction in den constanten Bedingungen zu ermitteln.
Gerade hier wird die mit dem Wachsen der Zahl sich zeigende Annäherung an ein einfaches Verhältniß maßgebend sein.
Gesetzt wir würfeln[gl] und es kommt schließlich 50% der Würfe auf eine Seite, so werden wir schließen, es sei dazu in den constanten Bedingungen eine Ursache.
Der Würfel gefälscht, Masse nicht gleichmäßig, Schwerpunkt verschoben.
Unter diesen Principien steht die Statistik, sobald sie von der bloß numerischen Feststellung zu ätiologischen Untersuchungen übergehen will. |[gm] Sie behandelt Massenzustände, die sich in zählbaren Ereignissen darstellen.
Nimmt man nun an, der Mensch bleibe sich durchschnittlich gleich und ebenso die Zustände, so ist nur zu erwarten, daß auch diese zählbaren Ergebnisse sich gleich bleiben.
Daher kein Grund zu staunen, – staunenswert nur, daß man darüber gestaunt hat. Staunen werden wir vielmehr, – stutzig werden, wenn es sich ändert! Und dann fragen wir nach der Ursache. Mortalität. Steigt sie, so fragen wir weshalb? Epidemien; Verschiedenheit auf Klima und Lebensweise zurückgeführt. Fällt sie, so werden ev[entuell] die hygienischen Besserungen der Lage als Ursachen angesehen werden.[gn]
Also z. B. Heirats-Procent im Allgemeinen annähernd gleich. Aber leise Schwankungen woher?
Constatirt[go] mit dem Schwanken der Kornpreise.
Weshalb? Weil das Heiraten Sache des freien Willens, der vernünftigen Ueberlegung ist. Ist die Ursache also die bewährte Rücksicht auf wirthschaftliche Anforderungen der Ehe.[gp]
Hier sieht man, daß die Wahlfreiheit selbst zu den variablen Ursachen gehört. Daß die Zahlen nur Ergebnisse sind, Regeln nach denen man Erwartungen hegen kann, aber keine Gesetze, die den einzelnen Fall bestimmten.
Das Gespenst des Fatums verschwindet, sobald |[gq] man es genauer ansieht.
Speziell causal. Heiraten: aus Liebe, aus wirthschaftlichen Gründen, Geschäftsinteressen etc.[gr] Jeder, der’s thut, weiß sehr gut weshalb. Und das sind sehr verschiedne Gründe.
Aber Polizei und Statistik zählen No. 1, 2, 3.
So beim Selbstmord. Gekränktes Ehrgefühl, unerwiderte Liebe, Noth, Furcht etc.[gs] Polizei zählt 1, 2, 3.
Selbst das gleiche Verbrechen aus Schwäche, Uebereilung, überlegter Bosheit etc.[gt]
Alles gleich rubricirt.
Vorgänge, die psychologisch, moralisch, rechtlich unter sehr verschiedene Gesichtspunkte fallen, wegen derselben äußeren Form gleichgesetzt. Si duo faciunt idem, non est idem.[44][gu]
Jeder Fall causal von dem andern unabhängig. Und keine mystische Macht der Zahl, die etwa das Einzelne bestimmte.
Aber die Statistik zählt es als gleich – und mit Recht.
Sie betrachtet die Zahlen eben als Ausdruck nicht der einzelnen Begebenheiten, sondern der Massenzustände.
Vergleichung des Coexistirenden und des Successirenden[gv]. |[gw]
Verbrechen gegen das Eigenthum – und gegen Leben und Ehre.
Noth auf der einen Seite, – gesteigertes Personenleben auf der andern Seite.
Und wenn sich das ändert, so macht man daraus seine Schlüsse. Auf Zustände und Willenszustände. Lebensbedingungen: gesteigerte Noth, macht sich in Wachsen der Verbrechen gegen das Eigenthum sichtbar. Verwöhnung, Verwilderung in Verbrechen gegen das Leben.
Wie wir das einzelne Verbrechen als Product der Not und des moralischen Individualzustandes ansehen, so auch die Häufigkeit in der Gesellschaft als Product der allgemeinen Notlage und des moralischen Gesammtzustandes. Was mehr schuldig ist, durch besondre Methode[gx] herauszubekommen.
Damit erfahren wir durch die großen Zahlen nichts, was wir nicht principiell schon wußten. Jede Willenshandlung hat ihre Ursachen in constanten und momentanen Motiven. Die momentanen, die Veranlassungen, entspringen bei dem gesellig lebenden Menschen aus den allgemeinen Zuständen. Sie bieten die Reize dar, ohne die er zu |[gy] seinen Handlungen nicht käme.
Aber sie bieten auch die Grundlagen der Wertungen, in Gefühls- und Willensapperception dar.
So individuell sich das im Einzelnen gestalten möge, die Grundzüge des Wollens wachsen doch aus dem Ganzen.
Hineinwachsen in Gefühls- und Willensweise. Kein mystischer directer Zusammenhang mit einem Gesammtgeiste. Jeder in bestimmter Gruppe; Familie, Stand, etc.[gz]
Wie sehr in seinem ganzen Fühlen dadurch bestimmt. Was recht und unrecht, erlaubt und unerlaubt, so erlernt.
Bewußte und absichtslose Erziehung. Von Generation zu Generation und untereinander.
Aber alle diese kleinen Gruppen stehen wieder in größeren Zusammenhängen, beeinflussen sich darin stets gegenseitig.
Der Mensch nicht auf dem Isolirschemel, sondern Glied eines Ganzen, das ihn mehr bedingt, als er es.
Also keine Angst vor den großen Zahlen, sie lassen die Thatsache der Wahlfreiheit unangetastet, |[ha] aber sie deuten darauf hin, daß die Motive der Wahl über dem Individuum in der Gesammtheit zu suchen sind; daß keine ursachlose Ursprünglichkeit[hb] im Individuum zu suchen ist.
Es giebt Freiheit des Handelns: d. h. Bestimmung des Tuns durch den Willen. Es giebt Freiheit der Wahl: d. h. Entscheidung durch die constanten Motive der Person.
Aber[hc] was Freiheit des Wollens als ursachloses Auftauchen von Motiven bedeuten soll, ist nicht abzusehen.
Jedes Einzelne an momentanen und dauernden Motiven, was inhaltlich bestimmt ist, verdankt diese Bestimmung den Zusammenhängen des geselligen Lebens, worin wir uns entwickelt haben und weiterentwickeln.
Worauf die eigenartige und unwiederholbare Mischung beruht, die das Wesen der Individualität ausmacht, ist kein Gegenstand der empirischen Erkenntniß mehr.
Hier kann das Gefühl mit dem Verantwortlichkeitspostulat der Aseität einsetzen. Aber es kann sich nicht beweisen, – wie es stricte auch nicht widerlegt werden kann. |[hd]
Die Verantwortung.[he]
Die Causalität der wollenden[hf] Persönlichkeit im Wählen und Handeln ist als Thatsache erkannt.
Die Causalerkenntniß des Wollens selbst ist problematisch: Es fragt ich, ob wir sie zur Verantwortlichmachung bedürfen, oder ob wir mit der Freiheit des Willens und Handelns auskommen.
Was heißt Verantwortlichmachen?
Der elementare Vorgang der Vergeltung. Zunächst eine reflectorische Affectäußerung. Der Erfreute umarmt, beschenkt, erfreut seine Umgebung. Der Gekränkte entlädt seinen Zorn: er zerstört Geräte, er schädigt seine Umgebung. Botenlohn. Das Kind, das den Stuhl schlägt. Aber wir übertragen unsere Gefühle auch auf den Ort und die Umstände; auf gegenwärtige Personen. Hier tritt schon die Causalitätsvorstellung hinzu.[hg]
Die Klärung dieser Reflexe liegt in den Gefühlen der Rache und des Dankes. Haß und Liebe fällt auf die Ursachen von Unlust und Lust.
Bedürfniß, das Gefühl auf den Urheber zurückfallen zu lassen.
Das eigentlich erstes Verantwortlichmachen. Klar: sein Gegenstand kann nur ein fühlendes Wesen sein!! |[hh]
Und es ist ein zweckvolles Thun, daß die Causalvorstellung nur als Mittel benutzt bis zu der durch den Zweck selbstbestimmten Grenze. Dasselbe zeigt sich 2)[hi] wenn die Verantwortung im geselligen und staatlichen Leben eintritt. Arbeitsteilung. Verlangen zu thun oder zu lassen.
Die Folgen der Unterlassung fallen auf die Person zurück: Lohn und Strafe.
Verantwortung nicht bloß für das, was einer thut, sondern für das, was er nicht thut. Auch für die Persönlichkeit als gegeben angenommen.
Es sind wollende Wesen: die Folgen ihres willenhaften Thuns fallen auf sie zurück. Es wird nicht gefragt, wie sie dazu kommen, so oder so zu wollen.
Was sie durch ihr Wollen gethan oder gelassen haben, das wird ihnen angerechnet. Die weitere Causalitätsreihe hat keinen Sinn: verantwortlich nur etwas, was Lust und Leid fühlen kann.
3) mit steigender Verfeinerung zeigt sich das Gleiche bei der moralischen Verantwortlichmachung, die in einem Urteil besteht.
Billigung und Mißbilligung wegen Erfüllung |[hj] oder Verletzung von Aufgaben und Normen. Betrifft zunächst Handlungen – Legalität. Und dann Gesinnungen – Moralität. Auch hier eine feinste Art von Rache und Lohn. Ein Zurückfallenlassen der Folgen auf den Urheber.
Im geselligen Dasein ist das Urteil in der That ein Vorteil oder Nachteil, wenn es sich äußert, wenn es die Handlungen bestimmt. Anerkennung – Ehre – Bewunderung reale Güter. Verwerfung – Verachtung reale Schäden. Und selbst wo sie sich nicht äußern, da bleibt ihnen dieser Charakter.
Wir überlegen, ob wir Jemanden auch Unrecht tun mit unserm rein inneren Urteil, selbst wenn wir es garnicht äußern.
Das ist ein Rest der Übertragung. Und das zeigt sich in der sublimirtesten Form 4) dem Selbstverantwortlichmachen im Gewissen. Man spricht mit Recht von innerem Lohn und Strafe. Die Qual des bösen Gewissens, die wir uns selbst zufügen. Und das gehobene Gefühle Genugtuung, das wir uns nicht versagen.
Auch in diesen innerlichen Formen bleibt es also eine Vergeltung, – ein Erzeugen von |[hk] Lust und Leid und kann nur solche Ursachen[hl] treffen, die dies fühlen können.
Daher zeigt sich nun zunächst bei der Beurteilung, daß sie ihre Gegenstand trifft, ganz ohne Rücksicht auf seine Causalität.
Das Urteil spricht Angemessenheit und Unangemessenheit des Wirklichen zu einem Ideal oder einer Norm aus und fragt nicht, wie es zu Stande gekommen ist.
Der ist ein Edler – der ein Lump: das gilt, ohne daß man zu fragen bräuchte, wie der eine und der andre dazu geworden sind[hm].
Die normative Beurteilung hat mit der Genesis nichts zu tun.
Das hat am deutlichsten Herbart[hn] gemacht. Erkenntniß und Beurteilungen zwei grundverschiedene Arten des Urteils.
Die Beurteilung, ästhetische und moralische, gilt ganz unabhängig von der Genesis: das Kunstwerk frei, d. h. unabhängig vom Causalnexus.
Schopenhauer[ho].
Und dies darf man vielleicht auch als den letzten und berechtigten Sinn von Kant’s Freiheitslehre betrachten.
Die Erkenntniß (der Erscheinung) untersucht das Wesen des Menschen nach Kategorien – also auch Causalität. |[hp]
Hier gilt der Mensch in seinen Gesinnungen wie jedes Wirkliche als verursacht.
Für die sittliche Beurteilung dagegen – Selbstbeurteilung und Urteil andrer – gilt dasselbe Wirkliche als frei, d. h. es wird gar nicht nach seiner Ursache gefragt, sondern nach seinem Werte. Vergleich mit der Wahrheit.
Ein Satz wird beurteilt – wie er entstand, ob er selbst gedacht, nachgesprochen, eingelernt ist etc., – das ist gleich.
Danach wäre Freiheit keine Behauptung metaphysischer Ursachlosigkeit, sondern (Behandlung und)[hq] Betrachtung und Beurteilung ohne Rücksicht auf Verursachtheit.
Ein Messen an der Norm – gleichgültig, wie das Wirkliche zustandegekommen ist.
Und diese Normbeurteilung wichtiger, trifft das Wesen der Sache und unser Verhältniß dazu tiefer, als die wissenschaftliche Causalansicht der Sache.
So kann man sich für die moralische Verantwortung – für die reine Beurteilung – Kant’s und Herbart’s[hr] Lehre zu eigen machen. Aber gilt das auch für die Verantwortung des wirklichen Lebens, – für das Zufügen realen Leids.
Wenn’s weh thut? Das ist die letzte Frage. |[hs]
Hier[ht] muß auf den Zweck des Verantwortlichmachens eingegangen werden.
Alles reale, über das bloße Urteil hinausgehende Verantwortlichmachen ist ein Zufügen von Lust oder Leid.
Und da das Erstere keine Bedenken erweckt, so wird zum Problem nur das letztere.
Worin besteht sein Recht? Nehmen wir zunächst das Verantwortlichmachen für eine bestimmte Leistung. Sein Zweck ist deutlich: die Androhung soll Motive zur Pflichterfüllung erzeugen. Positive als Lohn, negative als Strafe. So auch die Conventionalstrafen in Verträgen. Sie sollen Antriebe zur Leistung sein. Wirken, wenn nicht die Leistung selbst noch größere Uebel.
Das ist das Maß, nachdem sie festgestellt werden. Dasselbe – Erzeugung von Motiven – ist der Zweck einer Strafe.
Keine Strafrechtstheorie: ihr Fehler meist, daß alles, was Strafe heißt, nach einem und demselben Princip begriffen werden soll, von der Polizeistrafe für ein vorschriftswidriges Kehrichtfaß bis zur Sühnung des Mordes und des Landesverrats.
Aber alle Theorien laufen auf Eins heraus. |[hu] Erzeugung von Unlust als Motiv.
Bei der Abschreckung liegt der Zweck schon in der Androhung. Schon sie soll als Motiv gelten und wirken. Und zur Androhung gehört dann, um sie wirksam zu machen, die Ausführung im Betretungsfalle.
Bei der Besserung liegt der Zweck in der Ausführung der Strafe selbst: sie soll Gegenmotive für die Zukunft erzeugen.
Das Bewußtsein der Pflicht schärfen und stärken. Selbst bei der bloßen Vergeltungstheorie soll durch Erzeugung des Leids die verletzte Norm in ihrer Geltung wiederhergestellt werden. Also immer Zufügung des Leids als Gegenmotiv zur Herstellung der verletzten Rechtsnorm.
Jedes Verantwortlichmachen spricht zu dem Menschen: du bist so, daß dein Motivationswesen die Ursache einer Normverletzung geworden ist. Du sollst nicht so sein: Gleichgiltig also wie du dazu geworden bist, erzeugen wir durch die Strafe in dir neue Motive, welche doch und damit[hv] Dein Handeln abändern sollen. |[hw]
Hieraus folgt: Verantwortlichmachen heißt in dem Urheber einer eine rechtliche oder moralische Norm verletzenden Handlung durch Unlust neue Motive zur Erfüllung der Norm zu erzeugen.
1) Deshalb kann das Object nur eine wollende und fühlende Persönlichkeit sein. Es hat keinen Sinn, Weltlauf, Naturnotwenig[keit] etc.[hx] verantwortlich zu machen.
Ueber das Individuum kann die Causalkette nur insoweit verfolgt werden, als es wieder auf fühlende und wollende Individuen geht.
In der That geschieht dies, wo für das Thun des Einzelnen seine Familie, sein Stand, seine Corperation, sein Volk verantwortlich gemacht wird.
2) Darf das Individuum nur insoweit verantwortlich gemacht werden, als es wirklich als wollendes Wesen, als das Ganze, was es ist, Ursache war.
Also nicht, wofern sein Handeln oder Wählen beeinträchtigt war.
Demnach setzt die Verantwortlichkeit überall Freiheit des Handelns und der Wahl voraus. Und da diese normal Thatsachen sind, so ist das Verantwortlichmachen darin begründet und darin berechtigt. |[hy]
Das ist im Princip sehr einfach.
Aber in der Ausführung sehr schwierig wegen der schwanken Grenzen[hz], in denen diese Freiheit variirt.
Insbesondre ihre Abhängigkeit vom Wissen und Verstehen. Die Verantwortung für die vorauszusehenden Folgen.
Hier muß sich das Gesetz mit Durchschnittsbestimmungen begnügen; weil es allgemein gelten soll; und die Anwendung dem psychologisch–intellectuellen und sittlichen Takt des Richters überlassen.
Dasselbe gilt für die Zurechnungsfähigkeit hinsichtlich des Affects. –
Dagegen hat das Verantwortlichmachen mit dem Problem ethischer Freiheit d. h. Ursachlosigkeit „des Wollens“ nichts zu tun.
Es sagt einfach:[45] du hättest anders gehandelt wenn du anders wärest: deshalb sollst du nicht so bleiben, sondern wir erzeugen in dir andre Motive. Und wenn du sagst[ia], ja hätte ich denn anders sein können? so ist das ganz gleichgiltig. Wie du dazu geworden bist, das ist für unsern Zweck, dich zu ändern, gleichgiltig. Es kommt höchstens in Betracht wegen der |[ib] Methode der Einwirkung und Abmessung und Ausführung der Strafe etc.
Und so steht es auch mit der moralischen Verantwortung. Das Gewissen sagt: du bist so und du sollst nicht so bleiben. Das gilt ganz unabhängig davon, wie ich dazu geworden bin.
Damit ist nicht ausgeschlossen, das zugleich[ic] und außerdem[id] sich das Verantwortlichmachen auch auf andere, wollen und fühlende Wesen, etwa eine Gesammtheit erstrecke. Gewiß sitzt in mancher Gerichtsverhandlung neben dem Angeklagten die ganze Familie, der Stand, die Gesellschaft auf der Anklagebank.
Und die Zahlen der Moralstatistik enthüllen die Gesammtzustände, aus denen alle einzelnen Entscheidungen hervorgehen.
Aber das entlastet nie den Einzelnen. Das ändert weder etwas an dem moralischen Urteil über seinen Wert oder Unwert noch an dem Rechte und der Notwendigkeit, durch Erzeugung neuer oder Stärkung alter Motive ihn und seine Motivation umzugestalten. |[ie]
Nennt man die Lehre, daß der Mensch als wollende Lebenseinheit, als Totalität seiner constanten und momentanen Motive die wahlfreie Ursache seiner Entscheidungen und damit auch, sofern er keinem äußeren Zwang unterlag,[if] seines Handelns ist – den inneren Determinismus, so ist dieser die Voraussetzung der Verantwortung. Nur so ist der Mensch Ursache seiner Wahl und Handlung und dafür verantwortlich.[ig]
Aber auch die Voraussetzung für das Verantwortlichmachen.
Der nur wenn man annimmt, ursächlich auf den Menschen einwirken, Motive in ihm erzeugen zu können, hat sie Sinn. Pädagogisch und rechtlich.
Bei ursachloser Unberechenbarkeit menschlichen Wollens gegenstandslos.
Wie in ihm aus dem Milieu Motive entstehen, so wird dieses auch absichtlich Motive erzeugen.
Nur im Zusammenhang der Dinge und insbesondre der Gesellschaft ist der Mensch verständlich: steht darin und ist daraus zu verstehen.[ih]
Aber er hat sein eigen Reich in seiner Wahlfreiheit und selbsteignen Handeln.
Und dafür ist er sich und dem Ganzen verantwortlich.[ii]
Kommentar zum Textbefund
b↑1900. | ] gegenüber auf der Umschlaginnenseite Inventarstempel und nicht zugehörige Bleistift-Notiz (um 180° gedreht) von anderer Hd.: eib/uib; Bl. 1v Besitzstempel der Tohoku und Text zur Einfügung auf Bl. 2r, Bl. 2r oben links ein weiterer Stempel über 4 Zeilen des Textes, Fortsetzung auf Bl. 2rn↑Freiheit des Handelns ] unterstrichen; gegenüber auf Bl. 4v Datierung mit rotem Farbstift: 6/11 99au↑sind. ] gegenüber auf Bl. 13v geschrieben: Aber wie weit? Die Folgen selbst gehen als Causalketten in’s Unendliche. Keine allgemein bestimmte Grenze.aw↑(Man … will.) ] im Ms. in eckigen Klammern; gegenüber auf Bl. 13v Wiederholung der eckigen Klammern, daneben geschrieben: Diese juristische Seite ist psychologisch nicht wichtig : die Verantwortung imputiert es erst: man wird behandelt, als ob man es gewollt hätte.bi↑Vorstellungen. ] gegenüber auf Bl. 16v geschrieben: Ob man sie überhaupt kennt und wie man sie vorstellt.bn↑Erkenntniß. ] gegenüber auf Bl. 16v geschrieben: Täuschungen über die Zweckmäßigkeit der zu wählenden Mittel. Menschenentscheidungen.bo↑Menschenkenntniß. | ] Bl. 17v Text zur Einfügung auf Bl. 16r (s. o.) und 17r, Fortsetzung auf Bl. 17rca↑Die … Affekte. ] gegenüber auf Bl. 18v geschrieben: Selbst das Entstehen und insbesondre der Grad der einzelnen Begierden ist durch die allgemeine Natur des Einzelnen mitbestimmt. Sexuelle Erregbarkeit.cc↑Pathologische Zustände ] gegenüber auf Bl. 19v geschrieben: Geiz, Habsucht – aber jeder Enthusiasmus, Erkenntnistrieb, Vaterlandsliebe, leidenschaftliches Pflichtbewußtsein.ch↑Determinist. ] gegenüber auf Bl. 20v geschrieben: Über dumme Tiraden gegen einen Determinismus, den nie einer gelehrt hat.cm↑Die sittliche Freiheit. ] zentriert auf die S. geschrieben, unterstrichen; gegenüber auf Bl. 22v Datierung mit rotem Farbstift: 11/12 99db↑Es … so ] gegenüber mit blauem Farbstift: Lessing’s Derwisch [vgl. Windelband: Willensfreiheit, 1904, S. 103]de↑d. h. … Einzelwesens ] mit Einfügungszeichen auf Bl. 26v geschrieben, mit rotem Farbstift angestrichendf↑Lessing! ] mit Einfügungszeichen auf Bl. 26v geschrieben, darüber geschrieben: Sie stellt gar Wahlfreiheit und Fehl des Handelns in ihren Dienst: allein –dg↑Zwang ] gegenüber auf Bl. 26v geschrieben: Die freien triebhaften Naturen, die ihr Leben nicht nach Regeln abzuzirkeln brauchen, weil sie nichts Tückisches und Verlognes zu verbergen haben.di↑Die Freiheit des Wollens. ] zentriert auf die S. geschrieben, unterstrichen; gegenüber auf Bl. 27v Datierung mit rotem Farbstift: 18/12 99eb↑Leidenschaftliche Liebe ] gegenüber auf Bl. 33v geschrieben: P[aul] Heyse, Salamander 217. „Ich liebe dich rein aus verliebter Liebe.“ek↑Trägheit – Betriebsamkeit ] gegenüber auf Bl. 36v geschrieben: Eigensinn und Nachgiebigkeit, Eitelkeit.fc↑vorzeitliche Entscheidung ] gegenüber auf Bl. 42v geschrieben: Reduction auf indifferente Wahlentscheidungfe↑unendliche Mannigfaltigkeit ] gegenüber auf Bl. 42v geschrieben: Nur graduelle Unterschiede!? Aber wie bestimmbar ohne Gegenständlichkeit, die immer empirisch ist.fg↑Lehre von der Weltschöpfung ] gegenüber auf Bl. 43v geschrieben: Freiheit als theologisches Problem.fl↑theologische Denken ] gegenüber auf Bl. 44v geschrieben: „Gott lenkt die Herzen der Menschen.“ Ausfluß seiner Allmacht.fm↑dasselbe. | ] Bl. 45v Text zur Einfügung auf Bl. 46r; ein aufgeklebter Zettel mit Textvariante (s. u.; aus dem Konzept des vorliegenden Manuskriptes, wie die Rückseite des Zettels zeigt), Fortsetzung Bl. 46rfn↑Wenn Gott alles vorherbestimmt ] gegenüber auf Bl. 45v aufgeklebter Zettel, mit schwarzer Tinte geschrieben: Fatum und Naturmechanismus lehren dasselbe. Aber daß Gott es muß! Wenn er doch vorher weiß, wie alles gehen wird, warum läßt er uns die ganze Quälerei noch durchmachen? | Unser ganzes Freiheitsgefühl bezieht sich auf das empirische Leben. | Da wissen wir Nichts vorher, da können wir mit unsern Kräften, unserm Wollen, an dessen [… zwei Worte unleserlich] wir nicht denken; noch etwas ausrichten.fp↑Unlösbare Antinomien ] gegenüber auf Bl. 45v Datierung mit rotem Farbstift: 29/1 00; daneben: Das große Dilemma.gl↑Gesetzt wir würfeln ] gegenüber auf Bl. 51v geschrieben: Ziehen von Kugeln aus der Urne. Feststellen der Zahlenverhältnisse. Eventuell Correktur der Voraussetzung.gm↑will. | ] Bl. 52v u. 53r leer, mit rotem Farbstift durchstrichen; Bl. 53v Text zur Einfügung auf Bl. 54r, Fortsetzung Bl. 54rgx↑besondre Methode ] gegenüber auf Bl. 55v geschrieben: Aber Vorsicht! Statistik registrirt nur das verurteilte Verbrechen! Wie würde sich das Bild der Criminalität ändern, wenn die Schwurgerichte [zuständig v. a. für Tötungsdelitkte, mit getrennter Befindung von Schuld und mildernden Umständen (Geschworene) und Strafe (Richter), seit 1877] aufgehoben würden! Bejahung und Verneinung der Schuldfrage selbst wieder von Gefühls- und Willensgewohnheiten abhängig.hb↑keine ursachlose Ursprünglichkeit ] gegenüber auf Bl. 57v geschrieben: Das ist der Wert der Moralstatistik. Sie zeigt bei ganzen Massen von Motiven den Ursprung in der Gesellschaft, – sie zerstört den Wahn der Ursachlosigkeit und Zufälligkeit.ia↑Und wenn du sagst ] gegenüber auf Bl. 66v geschrieben: „Was wollt ihr denn? Ich bin nun einmal so, ich habe mich nicht selbst gemacht; ich kann nicht anders, ich mußte so handeln.“ „Gut, wie du so geworden bist, das geht uns nichts an. Daß du so bist und danach handelst, das mißfällt uns, das wollen wir nicht dulden. Wir wollen doch sehen, ob wir es nicht dahin verlegen, daß du anders wirst oder wenigstens anders handelst.“; darüber: Besser: „Gut. Aber siehst du, wir sind nun einmal auch so, daß wir uns das nicht gefallen lassen: wir wollen so notwendig wie du, daß du anders wirst.“if↑sofern er keinem äußeren Zwang unterlag, ] mit Einfügungszeichen mit Bleistift auf Bl. 68v geschriebenig↑verantwortlich. ] gegenüber auf Bl. 68v geschrieben: Das allein brauchen wir. Die Ursachlosigkeit gleichgiltiges metaphysisches Grübeln.ih↑verstehen. ] gegenüber auf Bl. 68v geschrieben: Schlußergebniß. Kein Ja oder Nein. Nicht behaupten, nicht leugnen. Das imputiert nur kindliche Unwissenheit oder plumpe [statt gestrichen: geschickte] Polemik.ii↑verantwortlich. ] darunter vignettenartiger Schlußstrich, Ende der S.; Ende des Ms., Bl. 69v–73v leer, Ende des Heftes.Kommentar der Herausgeber
1↑Willensfreiheit ] vgl. die spätere Druckfassung: Windelband: Willensfreiheit. Zwölf Vorlesungen. Tübingen und Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1904.2↑Aes Triplex ] lat. dreifaches Erz; nach einer Sentenz des Horaz: illi robur et aes triplex circa pectus erat (Eichenholz panzerte dessen Brust und dreifaches Erz; Metapher für: er war sehr abgehärtet), vgl. Kleines lateinisch-deutsches Handwörterbuch von K. E. Georges. 6., verbesserte u. vermehrte Aufl. Leipzig: Hahn 1890, Sp. 74.3↑Freiheit ruft die Vernunft ] vgl. Schiller: Spaziergang (Elegie), 1795: Freiheit ruft die Vernunft, Freiheit die wilde Begierde, | Von der heilgen Natur ringen sie lüstern sich los.4↑Xavier de Maistre ] der Kontext spielt an auf Xavier de Maistre: Voyage autour de ma chambre, 1794/5; dort auch der Satz vom Widerstreit zwischen dem, was ‚ich‘ wolle, und dem, was das Tier wolle, in dem ‚ich‘ wohne.5↑Rückenmärker ] in Berliner und Leipziger Ausdrucksweise um 1880 jemand, der an einer chronischen Erkrankung des Rückenmarks leidet, vgl. z. B. Karl Albrecht: Die Leipziger Mundart. Grammatik und Wörterbuch der Leipziger Volkssprache. Leipzig: Arnold 1881, S. 34; Hans Georg Meyer: Der richtige Berliner in Wörtern und Redensarten. Berlin: H. S. Hermann 1882, S. 84.6↑Vischers Auch Einer ] vgl. Friedrich Theodor Vischer: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. 2 Bde. Stuttgart: Hallberger 1879.7↑Liberum arbitrium indifferentiae ] lat. absolute Wahlfreiheit und Willkür, philosophischer Terminus seit Clemens Alexandrinus.8↑nach Baedeker ] gemeint sind die Reisehandbücher Karl Baedekers mit ihren detallierten Empfehlungen.9↑Buridan’s Esel ] philosophisches Gleichnis für die Diskussion der Frage, ob sich der Wille zwischen zwei völlig gleichwertigen Möglichkeiten entscheiden könne, Johannes Buridan zugeschrieben: ein Esel verhungert, weil er sich nicht zwischen den beiden Heuhaufen entscheiden kann, zwischen denen er steht.12↑thelematisches Grundgesetz ] nach dem gr. Wort für Wille (ϑέλημα), postuliert von Windelband: Willensfreiheit, 1904, S. 66.13↑Wer … wollen ] vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 46: wer den Zweck will, will auch (der Vernunft gemäß notwendig) die einzigen Mittel, die dazu in seiner Gewalt sind.15↑Treppenwitz ] schlagfertige Entgegnung, die (einem Bittsteller oder Gemaßregelten usw.) zu spät (‚erst auf dem Wege nach unten‘) in den Sinn kommt.18↑Eo … libidine. ] vgl. Leibniz: De libertate (Eo magis est libertas quo magis agitur ex ratione, eo magis est servitus quo magis agitur ex libidine); sowie Windelband: Willensfreiheit, 1904, S. 95.21↑Augustinus’ Beispiel des sexuellen Reizes. ] Anspielung auf die Confessiones des Augustinus, die einen ihrer Ausgangspunkte von Augustinus’ Jugendliebschaft nehmen, die Augustinus rückblickend als sexuelle Ausschweifung bewertete. Diese Ausschweifung wird zur generellen Folge aus dem Prinzip des Eros erklärt, der zugunsten der Caritas (Gottes- und Nächstenliebe) überwunden werden müsse (in Anlehnung an Ciceros Schrift Hortensius).22↑Est … sufficit. ] vgl. Kant: Principiorum primorum cognitionis metaphysicae novae dilucidatio, 1755, Propositio VI (lat. es existiert; und das ist genug, was über diese Sache gesagt und gedacht werden kann).23↑„Causalität durch Freiheit.“ ] vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft A 444: Der Antinomie dritter Widerstreit. Thesis. Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben anzunehmen notwendig.24↑Kant’s … Antinomie. ] vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft A 450: Wenn ich jetzt (zum Beispiel) völlig frei, und ohne den notwendig bestimmenden Einfluß der Naturursachen, von meinem Stuhle aufstehe, so fängt in dieser Begebenheit, samt deren natürlichen Folgen ins Unendliche, eine neue Reihe schlechthin an, obgleich der Zeit nach diese Begebenheit nur eine Fortsetzung der vorhergehenden Reihe ist. Denn diese Entschließung und Tat liegt gar nicht in der Abfolge bloßer Naturwirkungen, und ist nicht eine bloße Fortsetzung derselben, sondern die bestimmenden Naturursachen hören oberhalb derselben in Ansehung dieser Ereignis [!], ganz auf, die [!] zwar auf jene folgt, aber daraus nicht erfolgt, und daher zwar nicht der Zeit nach, aber doch in Ansehung der Kausalität ein schlechthin erster Anfang einer Reihe von Erscheinungen genannt werden muß.33↑Operari sequitur esse ] lat. das Handeln ist dem Sein (des Handelnden) gemäß; Satz der Scholastik.35↑La liberté c’est le mystère ] von Schopenhauer in der Form „La liberté est un mystère“ fingiert, als Motto seiner Preisschrift Über die Freiheit des Willens, 1839. Bei Malebranche nicht nachgewiesen.37↑schlechthinigen Abhängigkeit ] vgl. Schleiermacher: Der christliche Glaube nach den Grundsäzen [!] der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt Bd. 1. Berlin 1821, S. 33: Das gemeinsame aller frommen Erregungen, also das Wesen der Frömmigkeit ist dieses, daß wir uns unsrer selbst als schlechthin abhängig bewußt sind, das heißt, daß wir uns abhängig fühlen von Gott.39↑„Zufall“ ] vgl. Windelband: Die Lehren vom Zufall. Berlin: F. Henschel 1870, Buchhandelsausgabe der Göttinger Promotionsschrift.40↑Eheschließungen. Verbrechen. Selbstmorde. ] vgl. z. B. Richard von Krafft-Ebbing: Lehrbuch der gerichtlichen Psychopathologie. Stuttgart: Enke 1875, S. 18: Aus den statistischen Untersuchungen eines Quetelet, aus den Arbeiten von Wagner, Drobisch, Oettinger u. A, ergibt sich die bemerkenswerthe Thatsache, dass die scheinbar ganz willkürlichen Handlungen, wie z. B. Selbstmord, Heirathen, Verbrechen, in annähernd gleichen Quoten alljährlich wiederkehren und statistisch so gering variiren, dass z. B. die Zahl der Selbstmorde, Heirathen, Verbrechen, ja selbst gewisser Categorien von Verbrechen für das künftige Jahr annähernd genau vorausbestimmt werden können.41↑wie Lotze sagte ] vgl. Hermann Lotze: Mikrokosmus. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit. Versuch einer Anthropologie. Bd. 3 Leipzig: S. Hirzel 1864, S. 78: verlangte daher das Gesetz etwa von einer Gesellschaft eine gewisse Anzahl Diebstähle, so sind die Thäter nicht in Bezug auf ihren Entschluß, sondern etwa darin frei, ob sie zu Pferde oder zu Fuß stehlen wollen.42↑penchant au crime ] vgl. Adolphe Quételet: Recherches Sur Le Penchant Au Crime Aux Différens Ages. Brüssel: Hayez 1831.43↑Empirische Bestätigung der Erbsünde. ] vgl. Alexander von Oettingen: Die Moralstatistik und die christliche Sittenlehre Theil 1: Die Moralstatistik. Inductiver Nachweis der Gesetzmäßigkeit sittlicher Lebensbewegung im Organismus der Menschheit. Erlangen: Deichert 1868; Theil 2: Die christliche Sittenlehre. Deductive Entwickelung der Gesetze christlichen Heilslebens im Organismus der Menschheit. Erlangen: Deichert 1873.45↑Es sagt einfach: ] vgl. für das Folgende die Parallelstelle in Windelband: Willensfreiheit, 1904, S. 215.▲