Bibliographic Metadata
- TitleAlfred Dove an Ulrich Stutz, Freiburg i. Br., 7.11.1915, abgedruckt in: Alfred Dove. Ausgewählte Briefe. Hg. u. eingeleitet v. Oswald Dammann. München: Bruckmann 1925 (Alfred Dove. Ausgewählte Aufsätze und Briefe Bd. 2. Hg. v. F. Meinecke u. O. Dammann), S. 310–311.
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Alfred Dove an Ulrich Stutz, Freiburg i. Br., 7.11.1915, abgedruckt in: Alfred Dove. Ausgewählte Briefe. Hg. u. eingeleitet v. Oswald Dammann. München: Bruckmann 1925 (Alfred Dove. Ausgewählte Aufsätze und Briefe Bd. 2. Hg. v. F. Meinecke u. O. Dammann), S. 310–311.
Freiburg i. Br. Luisenstr. 7. 7. November 1915.
Verehrter und lieber Herr Kollege!
Nun sind schon 14 Tage vergangen, seit Ihr Schwiegervater von uns genommen worden, und erst heute komm’ ich dazu, Ihrer Gemahlin[1] und Ihnen auszusprechen, wie schmerzlich ich auch in der Teilnahme für Sie diesen Verlust[2] empfinde. Denn Sie haben sich ja vor anderen an den Strahlen dieses hellen, fröhlich freundlichen Geistes gesonnt. Ihren Trost müssen Sie in dem Gedanken finden, daß ein Leben so voll Leid und Sorge[3], wie es zuletzt über ihn verhängt worden, seiner wahren und schönen Natur so entschieden widersprach, daß man ihm ein für sich und seine Nächsten erlösendes Ende wünschen mußte. Er hat es zwar früh, aber nicht zu früh gefunden, denn seine Werke folgen ihm wahrlich nach. Ich betrachte und schätze ihn als den glücklichsten – nicht systematisch, wohl aber – kulturhistorisch gestimmten Philosophen unseres Zeitalters, klarer und daher auch rascher und einleuchtender aufklärend, als der immerhin bisweilen tiefere und in seinen Kombinationen überraschendere Historiker Dilthey, den ich wie Windelband zu meinen Freunden zählte, während mir Eduard von Hartmann doch nur ein Jugendbekannter war. Sonst sind mir die echten Philosophen wie auch die richtigen Mathematiker nie geistig nahe gekommen; natürlich, da ich stets mit gedachten und gefühlten Gegenständen, wie[a] mit benannten Zahlen und Größen zu tun hatte. Es mag daher auch sein, daß ich Windelband und Dilthey als Systematiker Unrecht tue, insofern sie mir nur als Historiker verständlich waren. Gerade jetzt hab’ ich mich, zur Erholung vom Krieg und zum Andenken an den Freund, wieder in Windelband’s Historica[4] versenkt. – Zur Erholung vom Krieg, sag’ ich, denn deren bedarf man doch, wiewohl er jetzt deutlicher aufwärts führt, über das bloße nächste Gebot der Selbsterhaltung hinaus dem Ziele, nicht der Eroberungen, aber der Gründungen entgegen. Werden wir’s im nächsten Frühling erreichen? Ich hoffe dringend. Mir wird allmählich zumute, wie in einem zu langen Konzert; ich möchte doch das Ende noch hören und dann erst nachhause gehen, aber mein Blut wird bedrohlich unruhiger im heißen Saal und ich träume ängstlich: genug, genug! Aber herrlich war’s doch! Das ist die andere Empfindung. Lassen Sie sich ja das neueste Schriftchen von Kjellén nicht ungelesen entgehen: „Die Ideen von 1914“, in Hirzel’s Sammlung: „Zwischen Krieg und Frieden.“ Das enthält historische Weltgedanken, fast religiös ausgesprochen und wird Ihnen also gefallen. – Ich höre von Frau v. Kries[5], daß wir Sie gleich nach dem Frieden hier erwarten dürfen, da Sie Ihre Freiburger Arbeiten[6] wieder aufnehmen wollen. Das bildet denn eine weitere schöne Aussicht für das Jahr 1916. Inzwischen leben Sie im Winter wohl und sagen Ihrer Gemahlin herzliche Grüße, denen sich meine Frau besonders anschließt.
In Verehrung ergeben der Ihre
A. Dove.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Verlust ] vgl. Dove an Friedrich Meinecke vom 24.10.1915: Nun kam gestern die Kunde vom Tode Windelband’s, nicht unerwartet, aber schmerzlich genug. Ich habe ihn recht lieb gehabt, sein wundervolles Talent des Zurechtfindens in allen Problemen einer mit Bildung überladenen Epoche sehr hoch geschätzt; nur etwas mehr Wucht und geheimnisvolle Tiefe fehlten ihm zum wirklich „großen Denker“. Gustav Freytag erklärte einst ihm und mir seinen Namen als eigentlich „Windelbald“, d. h. „kühn wie ein Vandale“. Davon aber hatte er doch nichts abbekommen; sondern er war ein grundgescheiter, fröhlicher, das Leben und die Welt leicht und hell nehmender Gesell, bis ihn das Bewußtsein schwerer Krankheit umflorte. Ich seh’ und hör’ ihn noch vor mir, wie er zu Pfingsten 1872 mit mir von Leipzig durch den Südharz wanderte – listig und lustig wie ein Hermes (Alfred Dove. Ausgewählte Briefe. Hg. u. eingeleitet v. Oswald Dammann. München: Bruckmann 1925 (Alfred Dove. Ausgewählte Aufsätze und Briefe Bd. 2. Hg. v. F. Meinecke u. O. Dammann), S. 309; vgl. Friedrich Meinecke: Alfred Dove. In: Historische Zeitschrift 116 (1916), S. 69–100, Briefzitat auf S. 96. Eine onomastisch prosaischere Variante bietet der ungezeichnete Beitrag: Brautkurse. In: Wiener Caricaturen, Nr. 36 vom 31.8.1913, S. 6 (ANNO)). Von Dove war über die Pfingstwanderung ein Artikel erschienen: Der Südharz. Ein Pfingstbericht. In: Im neuen Reich 2 (1872), Bd. 1, S. 943–949.3↑Leid und Sorge ] Windelbands Sohn Sigfrid war im 1. Weltkrieg gefallen, vgl. Windelband an Siebeck vom 28.11.1914.4↑Historica ] Windelbands Lehrbuch der Geschichte der Philosophie oder die zweibändige Geschichte der neueren Philosophie.5↑Frau v. Kries ] Kommentar Dammann: Gattin des Freiburger Physiologen Johannes v. Kries, Onkels von Frau [Elly] Stutz.6↑Freiburger Arbeiten ] Kommentar Dammann: Das noch in Vorbereitung befindliche größere Werk „Die Freiburger Universitätspfarreien, ein Beitrag zur Geschichte der Inkorporation“; vgl. Stutz, Das Münster zu Freiburg i. Br. im Lichte rechtsgeschichtlicher Betrachtung, 1901, Vorwort.▲