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- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 15.12.1913, 7 S., hs. (lat. Schrift), Wasserzeichen HOFLIEFERANT | DIEFFENBACHER | HEIDELBERG, UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_97-98
- Creator
- Recipient
- ParticipantsAlbert Wagner ; Alfred Weber ; Anton Marty ; Arnold Ruge ; Bernhard Schmidt ; Edward Schröder ; Emil Lask ; Ernst Troeltsch ; Felix Krueger ; Franz Böhm ; Friedrich Alfred Schmid ; Friedrich Hölderlin ; Friedrich Kluge ; Friedrich Meinecke ; Georg Mehlis ; Georg Wilhelm Friedrich Hegel ; Gottfried Baist ; Gustav Roethe ; Gustav Uhlig ; Hans Driesch ; Hans W. Gruhle ; Heinrich Rickert ; Hermann Ebbinghaus ; Hermann Thiersch ; Immanuel Kant ; Jonas Cohn ; Julius Ebbinghaus ; Julius Petersen ; Karl Hampe ; Karl Jaspers ; Konrad Burdach ; Max Weber ; Nicolai von Bubnoff ; Oswald Külpe ; Paul Häberlin ; Paul Menzer ; Paul Natorp ; Philipp Witkop ; Platon ; Richard Kroner ; Richard Reitzenstein ; Wilhelm Braune ; Wilhelm Eduard Weber
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek Heidelberg
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Windelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 15.12.1913, 7 S., hs. (lat. Schrift), Wasserzeichen HOFLIEFERANT | DIEFFENBACHER | HEIDELBERG, UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_97-98
Heidelberg, 15 Dec[ember] 1913
Lieber Freund und Kollege,
Es sind[a] mancherlei Dinge, über die ich Ihnen schon längst schreiben will: aber ich habe in diesen Monaten all mein bischen Arbeitskraft auf den Abschluss meiner Einleitung[1] in die Philosophie verwendet. Heut ist nun das Manuskript – ca. 25 Druckbogen – nach Tübingen abgeschickt[2], und der erste Brief gilt Ihnen. Es liegt mir zunächst daran, dass Sie in der Häberlin-Affaire[3] klar sehen, und ich bitte Sie das Folgende streng vertraulich, nur für Sie selbst bestimmt, aufzunehmen. Meine Stellung darin ist nur vom taktischen Gesichtspunkte zu beurteilen. In unsrer Fakultät, namentlich in der jüngeren Schicht, die mit Jugendbewegung, Mittelschullehrerbedürnissen und ähnlichen modernen Amönitäten[4] Fühlung hat, besteht schon längst Sehnsucht nach Paedagogik und Psychologie, und als ich im Frühjahr darauf drang, die zweite Professur, wenn auch zunächst als etatmässiges Extraordinariat, endlich zu besetzen, da erhoben sich die Stimmen, die der Sache ihre Wendung geben wollten, mit der harmlosen Erwägung, die Regierung werde doch einen Dreiervorschlag wünschen. Als ich aber damit durchdrang, dass Lask allein genannt[5] wurde, | da sagte Alfred Weber zu mir: „nun werden Sie uns aber hoffentlich auch in Bezug auf Psychologie und Pädagogik entgegenkommen“!! Solche Strömungen soll man nicht durch Widerspruch verstärken, sondern allmählich zur Besinnung kommen lassen. Dem Antrag Weberʼs gegenüber habe ich dann gesagt: ich sei gegen Paedagogik ganz gleichgültig, würde dagegen durchaus für eine von der Philosophie ganz getrennte Psychologieprofessur sein, vorausgesetzt dass diese nicht einseitig experimentell und dass sie mit einem Manne besetzt würde, der persönlich durchaus philosophisch gebildet wäre. Ein solcher „blosser“ Psychologe muss aber (das ist ja der nervus rerum[6] bei den Herren Külpe und Marti[7]), um genug Zuhörer zu haben, die Psychologie in Personalunion mit irgend einer „practischen“ Disciplin, Paedagogik, Psychiatrie, Sociologie etc., vertreten. Von diesen wollte man nun absolut Paedagogik, und da habe ich sagen müssen, ich wüsste, wenn wir aus Rücksicht auf die Freiburger Empfindlichkeiten auf Jonas Cohn verzichten[8] müssen, keinen besseren als den von Alfr[ed] Weber postierten Häberlin. Wüssten Sie etwa einen? auch Natorp hat in einem Briefe an Max Weber keinen zu nennen gewusst, der ernsthaft in Betracht käme. Nun sei ja H[äberlin] weder ein grosser Philosoph noch ein grosser Psychologe[b]; aber sein zweibändiges Werk könne als eine zwar populäre, aber verständige Psychologie des wissenschaftlichen Denkens gelten, und | in der Paedagogik habe er ja, worauf es allein ankomme, eine grosse praktische Erfahrung. Für diese Kombination glaubte A[lfred] W[eber], damals Decan, der bereiten Mitwirkung der Regierung sicher zu sein; als wir aber auf deren bestimmte Aeusserung drängten, da erwies sich in letzter Stunde, dass die Aktion aus bugdetären Gründen mindestens auf ein Jahr hinausgeschoben werden muss. Inzwischen ist aber auch die Begeisterung für H[äberlin] schon abgeflaut, und man macht sich klar, dass wir mit ihm als Psychologen nicht viel Staat machen würden. Dazu hat wohl viel Laskʼs Urteil[9] beigetragen, dessen Schroffheit ich zwar psychologisch „verstehe“, aber nicht teile. Es muss m. E. schliesslich auch solche Käuze geben, die für unsre Oberrealschüler von dem ihnen so verwandten Standpunkte des Volksschullehrers reden: für den wissenschaftlichen Sinn an der Universität wollen wir schon sonst sorgen! Enfin[10] – die Sache ist jetzt aufgeschoben und die Kommission geht weiter auf Suche nach einem Psychologen. Ich warte ruhig ab, ob sie einen finden: wir haben m. E. um so mehr Zeit, als wir gestern in Dr. Jaspers einen ausgezeichneten Psychologen habilitiert haben[11], der genau dem entspricht, was wir von der Psychologie wollen. Er kommt aber von der Psychiatrie her und steht der Paedagogik fern.
Für den zweiten Punkt knüpfe ich am einfachsten an das Erstaunen an, womit ich, wie andre Kollegen, das Rundschreiben Ihrer Fakultät in Sachen Kluge[12] gelesen habe. Dessen Broschüre[13] war ja ein bischen derb, aber es war viel, sehr viel Wahres und Gutes darin. Wenn er nun seine Bemerkung (die | ich übrigens z. B. nicht daran gedacht habe auf Freiburg zu beziehen) einwandfrei erläutert hatte, so ist die Absicht des Rundschreibens kaum anders zu deuten, als das die Fakultät jede Gemeinschaft mit Klugeʼs Angriffen ablehnen will. Ein Freundschaftsstück also für die von ihm Angegriffenen. Das hängt nun offenbar mit dem Widerspruch[14] zusammen, worin die Majorität gerade mit Kl[uge] wegen der Witkop-Frage steht. Auch hierin möchte ich Sie persönlich[c] und vertraulich ganz genau über meine Stellung zur Sache orientiert wissen. Es scheint mir als ob Witkop sachlich[d] Unrecht geschehe. Sein zweiter Band ist wieder ebenso gut wie der erste[15]; das Gerede von der Unwissenschaftlichkeit ficht natürlich den nicht an, der wie wir es für die Aufgabe der Literaturgeschichte hält, ihren inneren Lebensgehalt herauszuarbeiten. Das kann der Mann; und dass er damit den Philologen unsympathisch ist, fällt nicht ihm zur Last. Wenn nun trotzdem (das weiss ich von ihm selbst) Männer wie Sie und Meinecke von ihm abgerückt sind, so kann ich mir das nur darauf erklären, dass gewisse persönliche[e] Schwächen, die wir schon hier an ihm gekannt[16] haben, sich in seiner Freiburger Stellung nicht abgeschliffen, sondern noch bedenklicher entwickelt haben. Es ist mir[f] allerlei Unbestimmtes darüber zu Ohren gekommen, und ich würde es auf das Lebhafteste bedauern, wenn so eine gute Sache wegen ihrer Vertretung durch eine ungeeignete Person dauernd Schaden | litte. Unter diesen Umständen aber, wo es sich offenbar um Imponderabilien[17] handelt, die von aussen her nicht sicher abzuschätzen sind, wünschte ich in diesen Streit auf keine Weise[g] hineingezogen zu werden. Deshalb habe ich Witkopʼs Bitte, ihm oder Kluge ein Gutachten über sein Buch zur Verfügung zu stellen, rund abgelehnt[18], mit der Begründung, dass ich in die Sache nicht aus der Ferne verwickelt und nicht mit den in Ihrer Fakultät mir nächst Stehenden in Gegensatz gebracht zu werden wünsche: und als trotzdem Kluge wenigstens darum bat, ich möchte mich über Witkopʼs philosophische Qualification nach meinen Erfahrungen bei dessen Promotion und Habilitation[19] äussern, habe ich nur ganz kurz erwidert, dass ich mich (wie ich es tatsächlich der Fall ist) der Details aus beiden Prüfungen nicht mehr entsinne, aber davon überzeugt zu sein bitte, dass ich in beiden Fällen nicht aktiv mitgewirkt hätte, wenn ich nicht von W[itkop]ʼs vollkommner Qualification überzeugt gewesen wäre. Es ist mir lieb, Sie in Kenntnis von diesen Vorgängen zu wissen. Sie verstehen, wie schwer für mich die Situation war. Während ich sachlich auf W[itkop]ʼs Seite stehe, nehme ich an, dass für die Mehrheit der Fakultät so schwerwiegende Gegengründe ins Gewicht fallen, dass ich ihr nicht als Gegenzeuge vorgesetzt zu werden wünsche. Das wird mir natürlich von Kluge und Witkop so ausgedeutet werden, dass ich aus Freundschaftsrücksichten meine Ueberzeugung feige zurückgehalten hätte. Darum wünsche ich, dass, wenn die Sache weitergeht, Sie wenigstens wissen, wie ich dazu stehe. |
Ein Drittes ist eine unvorgreifliche Anfrage; sie betrifft einen sehr begabten Schüler von mir, Dr. Jul[ius] Ebbinghaus[20], den Sohn des verstorbenen Psychologen, der sich unter schweren Kämpfen von der väterlichen Psychologie frei gearbeitet und zur Philosophie durchgerungen hat, dann aber zeitweilig (bei seiner Dissertation) wohl etwas zu stark nach dem Gegenpol, dem Hegelianismus gependelt ist. Mehlis und Kroner werden den kleinen geistreichen, witzig liebenswürdigen Menschen hier beim Kongress[21] kennen gelernt haben. Er wollte sich nun in Halle habilitieren, mit einer Arbeit über Plato, die ich zwar selbst nicht gesehen habe, deren Absicht aber er mir skizziert hat. Und nun haben diese Hallenser Schächer, die Menzer und Krueger[22], diese Habilitation glatt abgelehnt. Der Mann ist natürlich sehr unglücklich, und ich fühle um so mehr mit ihm, als es der Schüler des bösen Mannes[23] ist, der da vermutlich abgelehnt wurde. Ich würde ihm gern helfen, denn er verdientʼs. Aber hier in Heidelberg kann ich ihn beim besten Willen nicht habilitieren, das sieht er selbst ein: wir dozieren hier zu 8 Philosophie[24] und haben nun noch den Psychologen[25] (von einem Psychophysiker[26] nicht zu reden, der, zur medicin[ischen] Fakultät gehörig, ein kleines Kabinet dirigiert). Nun fragt er an, ob er wohl an Freiburg denken dürfe. Er würde natürlich nicht die abgelehnte Arbeit vorlegen, um jede | formale Schwierigkeit zu vermeiden, sondern eine neue bringen. Er will auch keine irgendwie bestimmte Antwort, sondern nur wissen, ob Sie seine Habilitation a limine[27] ablehnen würden, oder ob er sich wenigstens auf die Möglichkeit einer späteren Zulassung hin an Sie vorläufig wenden dürfe. Kann ich ihm in diesem Sinne antworten oder halten Sie eine Freiburger Habilitation für ihn von vornherein ausgeschlossen? Ein kurzes Wort darüber würde mich sehr verbinden.
Nun ist es aber – für meine Verhältnisse – sehr spät geworden, und ich schliesse, obwohl ich noch manches auf dem Herzen hätte, eilig mit herzlichem Gruss von Haus zu Haus als Ihr treulich ergebner
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Einleitung ] vgl. Windelband: Einleitung in die Philosophie. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1914 (Grundriss der philosophischen Wissenschaften. In Verbindung mit Karl Joël, Erich Kaufmann, Eugen Kühnemann, Heinrich Maier, Adolfo Ravà, Heinrich Rickert, Wilhelm Windelband und anderen Fachgenossen hg. v. Fritz Medicus).2↑nach Tübingen abgeschickt ] dem Sitz des Verlages J. C. B.Mohr, vgl. Windelband an Siebeck vom 15.12.1913.5↑Lask allein genannt ] vgl. UA Heidelberg, RA 6859 (Lehrstühle für Philosophie 1836 (1830) bis 1918), die Abschrift des Schreibens der philosophischen Fakultät an das Ministerium des Kultus und des Unterrichts vom 24.2.1913, Antrag für Emil Lask: Die philosophische Fakultät bittet das Grossh[erzogliche] Ministerium, die bisher im Etat geführte, aber nicht besetzte zweite ordentliche Professur der Philosophie vorläufig als etatmässiges Extraordinariat zu besetzen und schlägt vor, dies Extraordinariat mit Einschluss der Mitdirektion des philosophischen Seminars Herrn Professor Dr. Emil Lask zu übertragen. Als Grund wird Windelbands angegriffener Gesundheitszustand angegeben: ärztliches Verbot des Treppensteigens, müsse häufig in Sitzungen fehlen, lasse sich in Prüfungen vertreten usw. Die Ernennung Lasks erfolgte zum 1.5.1913 († 9.7.1915 bei Turza-Mata in Galizien).7↑Külpe und Marti ] vgl. Oswald Külpe: Psychologie und Medizin. Sonderdruck aus der Zeitschrift für Psychopathologie. I. Band [1912]. Leipzig: Wilhelm Engelmann 1912. – Anton Marty (1847–1914), seit 1880 Prof. an der deutschen Universität Prag (BEdPh).8↑auf Jonas Cohn verzichten ] als Kandidaten für das Extraordinariat für Psychologie und Pädagogik, vgl. Windelband an Rickert vom 20.12.1913. Jonas Cohn war Extraordinarius in Freiburg. – Die Rede von den Empfindlichkeiten bezieht sich darauf, daß Berufungen innerhalb Badens an eine andere badische Landesuniversität in der Regel vermieden wurden.11↑Psychologen habilitiert haben ] vgl. Windelbands Habilitationsgutachten über Jaspers im Abschnitt Dokumente der vorliegenden Edition.12↑Rundschreiben Ihrer Fakultät in Sachen Kluge ] vgl. UA Freiburg B 38/285 Personalangelegenheiten Deutsche Philologie 1887–1913, letztes Blatt der Akte (Ts.-Durchschlag mit hs. Ergänzungen, Briefkopf: PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT | DER UNIVERSITÄT | FREIBURG I. BR., DEN): 26. November [191]3 | Erklärung | In seiner kürzlich erschienenen Broschüre „Zur Nachfolge Erich Schmidts“ hat Herr Geh[eime] Hofrat Professor Dr. Kluge mit Rücksicht auf die Berufung Albert Kösters als Nachfolger Erich Schmidts nach Berlin folgenden Satz ausgesprochen (S. 22): | „Wer selber jahrelang regelmässig teilgenommen hat an Fakultätsverhandlungen und Berufungen, weiß nur zu gut, daß Rufe nicht immer so ernst genommen zu werden brauchen, wie sie scheinen.“ | Da nach der Lage der Verhältnisse diese Worte nur auf unsere Fakultät bezogen werden könnten, der Herr Geh[eime] Hofrat Professor Dr. Kluge seit dem Jahre 1893 als Ordinarius ununterbrochen angehört, so haben wir an ihn am 13. d[es] Monats die Aufforderung gerichtet, uns diejenigen Fälle aus den Fakultätsverhandlungen und Berufungen genau zu bezeichnen, aus welchen er die in seinen Worten wiedergegebene Erfahrung glaubte herleiten zu dürfen. Darauf bemerkte Herr College Kluge in seinem Antwortschreiben vom 18. d[es] Monats, „daß das „nicht so ernst nehmen“ in dem angeführten Satz sich nicht auf die Fakultäten oder Regierungen, sondern (wie sich aus dem folgenden Satze unzweideutig ergibt) auf den Vorgeschlagenen oder Berufenen bezieht. Meine Worte sollten darnach sagen, daß Berufungen, die der Außenwelt durchaus annehmbar erscheinen, nach den näheren Umständen des Falls, z. B. wenn, wie ich in dem Falle Köster vermutete, das Lehrfach des Berufenen durch Vorbehalte eines anderen Collegen eingeschränkt worden ist, | für den Berufenen selbst nicht ernsthaft in Betracht kommen, d. h. in Wirklichkeit nicht annehmbar sein können. Da hiernach irgendwelcher Vorwurf gegen die Fakultät in meinen Worten nicht zu finden sein wird, so wird es auch der Anführung einzelner Fälle nicht bedürfen.“ | Nach Beschluß der Fakultät bringe ich diese Auslegung, die Herr College Kluge seinen Worten gegeben hat, hiermit den philosophischen Fakultäten des deutschen Reiches sowie den zuständigen Regierungsbehörden, dem Königlich preußischen wie dem Großh[erzoglich] badischen Unterrichtsministerium zur Kenntnis. | Der Dekan | H. Thiersch. Dazu in derselben Akte der hs. Entwurf von Thiersch (26.11.1913) sowie ein Zirkular vom 17.12.1913 mit einem Schreiben der Berliner philosophischen Fakultät vom 10.12.1913, die sich für das Vorgehen Freiburgs bedankt und mitteilt, daß sie sich nicht öffentlich äußern werde, aber eine Abschrift eines Briefes Albert Kösters beilege (vom 14.11.1913 aus Leipzig). Diese liegt bei in beglaubigter Abschrift – Köster diktiert vom Krankenbett aus seiner Frau, daß er der Auffassung Kluges vehement widerspreche und sich gegen die Unterstellung verwahre, es sei bei der Berufung und seiner schließlichen Ablehnung des Rufes nach Berlin nicht mit rechten Dingen zugegangen; mit Roethe stehe er in keiner Weise in Konkurrenz usw. Diese Schriftstücke gehören in den Kontext des innerfakultären Streites um Philipp Witkop, s. u. Das Rundschreiben der Freiburger Fakultät ist auch in den Akten der philosophischen Fakultät Heidelberg überliefert (UA Heidelberg, H-IV-102/140 (Philosophische Fakultät 1913/14, Dekan: C. Neumann), Bl. 97).13↑Broschüre ] vgl.: Zur Nachfolge Erich Schmidts. Akademische Zeit- und Streitfragen von Friedrich Kluge Professor an der Universität Freiburg i. B. Freiburg im Breisgau: Cromer’s Universitäts-Buchhandlung (Ernst Harms) 1913. 33 S. Der Literaturhistoriker Schmidt war verstorben. Kluge zeichnet ein düsteres Bild der deutschen Philologie (namentlich erwähnt werden Konrad Burdach, Gustav Roethe, Edward Schröder) und fragt, ob sich wirklich kein Nachwuchskandidat als Nachfolger Schmidts finde, so daß die Stelle unbesetzt bleiben müsse? (Ein Nachfolger wurde erst 1921/22 in Julius Petersen gefunden). Auf S. 8 der Broschüre heißt es: Aber in dem akademischen Fachbetrieb der Literaturgeschichte stehen zwei Richtungen nebeneinander, wenn auf der einen Seite Männer wie Dilthey, Kühnemann und – als Schüler Windelbands – Witkop sowie Gundolf den geistigen Gehalt dichterischer Leistungen und Persönlichkeiten mit philosophischem Blick ergründen wollen, wie früher Th. Vischer, Kuno Fischer und R. Haym, während auf der andern Seite philologisch-historische Methode Dichter und Dichtungen als etwas gewordenes aus tausend großen und kleinen Prämissen herleite und erklären zu können glaubt; auf S. 22: Überall galt es von vornherein als sehr wahrscheinlich, daß ein Arrangement zwischen Roethe und seinem Göttinger Schwager Schröder das Endergebnis sein würde. Nun ist es bis dahin freilich nicht gekommen. Allerlei mögliche und unmögliche Gerüchte zirkulieren durch die Presse, darunter selbstverständlich auch, daß Schröder nach Berlin berufen würde. Es braucht uns gar nicht zu interessiren, was im Werden ist, denn wer nicht an den betreffenden Beratungen der Fakultät und Regierung teilnimmt, kann unmöglich wissen, welche Arrangements ins Auge gefaßt werden können. | Deswegen erlaube ich mir auch gar kein Urteil darüber, daß tatsächlich Köster einen Ruf als Erich Schmidts Nachfolger nach Berlin hatte. Wer selber jahrelang an Fakultätsverhandlungen und Berufungen teilgenommen hat, weiß nur zu gut, daß Rufe nicht immer so ernst genommen zu werden brauchen, wie sie scheinen. Liegt es doch im Bereich der Möglichkeit, daß Roethe, der in sich einen Beruf als Literaturhistoriker der Neuzeit verspürt, wie er denn schon für das Wintersemester 1913/14 eine vierstündige Goethe-Vorlesung angekündigt hat, einige Hauptkollegien für sich reserviert hätte, und dann würde überhaupt kein namhafterer Fachmann an seine Seite wollen.14↑Widerspruch ] gegen die Beförderung Witkops zum Ordinarius für neuere deutsche Literaturgeschichte, vgl. Philipp Redl: Dichtergermanisten der Moderne. Ernst Stadler, Friedrich Gundolf und Philipp Witkop zwischen Poesie und Wissenschaft. Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2016, S. 310–316 sowie S. 438–453. Der ohnehin schwelende fakultätsinterne Konflikt von Kluge und Witkop auf der einen, Meinecke und Rickert, der zwischenzeitliche Dekan Richard Reitzenstein sowie fast aller übrigen Mitglieder der philosophischen Fakultät der Universität Freiburg auf der anderen Seite, führte 1912 (Januar–November) bis zur Fakultätskrise (Reitzenstein stellte dem zuständigen Minister am 30.7.1912 sein Amt zur Verfügung). Vgl. UA Freiburg B 38/612, eine über 2100 Blatt starke Akte über die (schließlich von der Fakultät wegen des Streites abgewiesene) Habilitation von Albert Wagner (* 16.11.1886, promoviert 1909 in München). Witkop u. Kluge waren als Fachvertreter gegen Wagners Habilitation, Meinecke u. Baist votierten mit Nachdruck dafür, aber der eigentliche Skandal bestand darin, daß hier ein prinzipieller Konflikt über die Rechte oder Rechtsbeschneidungen des außerordentlichen Professors Witkop ausgetragen wurde, der durch private Schreiben Witkops an den Kultusminister Franz Böhm noch verschärft wurde.15↑zweiter Band ist wieder ebenso gut wie der erste ] vgl. Philipp Witkop: Die neuere deutsche Lyrik Bd. 1. Von Friedrich von Spee bis Hölderlin. Bd. 2 Novalis bis Liliencron. Leipzig/Berlin: Teubner 1910 bzw. 1913.16↑hier an ihm gekannt ] im Protokoll zum Habilitationsvortrag Witkops über Hölderlin vom 12.12.1908 heißt es u. a.: Von den sachverständigen Kollegen wird die künstlerische Gestaltung des Problems und die Entwickelung der Persönlichkeit des Dichters anerkannt, zugleich aber das zu starke Pathos als für den akademischen Vortrag nicht recht geeignet und in den Vorlesungen abzuschleifen bezeichnet (UA Heidelberg, H-IV-102/138).18↑rund abgelehnt ] vgl. das Briefzitat nach Windelband (Original nicht ermittelt) in der Eingabe Witkops an den Kultusminister von November 1913: So erteilte mir der Dekan „die venia legendi für das Lehrfach der Aesthetik und der neueren deutschen Literatur“ am 16. Januar 1909. Ich durfte laut Erklärung des Dekans anzeigen und lesen: „Der deutsche Roman, das deutsche Drama, die deutsche Lyrik“, aber nicht „Geschichte des deutschen Romans, des deutschen Dramas, der deutschen Lyrik“. Diese Dinge waren der Freiburger Fakultät bei einer Berufung bekannt, sie wußte deutlich, was sie von mir zu erwarten, was sie nicht zu erwarten hatte, ich selber habe sie drei Fakultätsmitgliedern Monate vor der Berufung mitgeteilt. Und Windelband erklärte mir, er habe Professor Wetz auf seine Anfrage in Angelegenheit meiner Berufung geschrieben: wenn sie in Freiburg einen Philologen haben wollten, dann sollten sie mich nicht berufen, wenn sie aber eine Betrachtung der Literatur von tieferen, ästhetischen Gesichtspunkten wünschten, dann könnte er mich nur warm empfehlen. Auch Professor Wetz hat mir von diesem Briefe Windelbands, seiner feinsinnigen und warmen Anerkennung meiner wissenschaftlichen Persönlichkeit, später erzählt. Umso bedauerlicher ist es, daß Windelband sich augenblicklich persönlicher Momente wegen nicht imstande fühlt, als Gutachter aufzutreten. Sachlich hat er mir über den zweiten Band der „neueren deutschen Lyrik“ seine herzliche Freude und Anerkennung ausgesprochen. Auf meinen Wunsch, sich in einer Darlegung an Geheimrat Kluge auch gutachtlich über den zweiten Band zu äußern, mußte er mir am 5. November schreiben: „Ihren Wunsch habe ich mir hin und her überlegt und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß ich Sie bitte, davon Abstand zu nehmen. Wie ich zu der sachlichen Seite der Angelegenheit stehe, das wissen Sie und daraus mache niemand ein Hehl. Aber die Angelegenheit ist offenbar mit sehr vielen Nebendingen verwickelt – wenigstens für mich. Sie wissen, daß es gerade die mir nächststehenden Kollegen in Ihrer Fakultät sind, die Ihnen entgegenstehen [darunter Rickert]. Ich bedaure das lebhaft, und es tut mir leid, daß die Gegenstätze nicht ausgeglichen, sondern eher verschärft sind. Nun werden Sie selbst sagen müssen, daß ich unmöglich diese meine Freunde damit überraschen kann, daß ich mich in einem Separatvotum ihnen gegenüber als ‚Autorität‘ ausspielen lasse.“ Auch aus diesen Zeilen geht nur zur Genüge hervor, daß Windelband die sachlich-wissenschaftliche Bedeutung meines Werkes durchaus anerkennt (abgedruckt in: Philipp Redl: Dichtergermanisten der Moderne. Ernst Stadler, Friedrich Gundolf und Philipp Witkop zwischen Poesie und Wissenschaft. Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2016, S. 449).19↑Promotion und Habilitation ] vgl. zum Heidelberger Habilitationsverfahren Witkops UA Heidelberg, H-IV-102/138 (Philosophische Fakultät 1908/09, Dekan: Schöll), Bl. 207–219. Habilitationsschrift Philipp Witkops: Die Anfänge der neueren deutschen Lyrik. Leipzig: Teubner 1908. Gesuch zur Habilitation für die Fächer neuere deutsche Literaturgeschichte und Ästhetik vom 8.7.1908, 28.12.1908 ministerielle Genehmigung vom 28.12.1908 zur Eröffnung des Habilitationsverfahrens für nunmehr Aesthetik und neuere deutsche Literatur. Karl Hampe leitete das Verfahren, er gibt am 10.7.1908 die Habilitationsschrift an Wilhelm Braune und Windelband zur Begutachtung mit der Bemerkung: Es ist nicht ganz gewöhnlich, daß sich die gewünschte venia auf zwei engere Ausschnitte zweier Fächer erstrecken soll. Vom Standpunkt der Fakultät aus liegt darin aber wohl nichts Bedenkliches, eher für den Bewerber und seine Aussichten. Die Gutachten sind abgedruckt in: Philipp Redl: Dichtergermanisten der Moderne. Ernst Stadler, Friedrich Gundolf und Philipp Witkop zwischen Poesie und Wissenschaft. Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2016, S. 432–434 (Wilhelm Braune), S. 434–435 (Windelband), Nachtrag Braune S. 436. Vgl. Windelbands Habilitationsgutachten vom 29.11.1908, UA Heidelberg, H-IV-102/13 (Auszug): Inzwischen hat nun Hr. Witkop an die Stelle des geschriebenen Anfangs seiner auf zwei Bände berechneten Arbeit über „Die neuere deutsche Lyrik“, den er als Habilitationsschrift eingereicht hatte, den Druck dieses Stücks gesetzt: es ist dabei um den Abschnitt über Haller vermehrt worden, und die Einleitung hat einige Aenderungen erfahren, durch die der Verfasser die Härten und Schroffheiten der historischen Konstruktion zu mildern gesucht hat. Immerhin bleibt der konstruktive Charakter dieser Einleitung bestehen und der Natur der Sache nach mannigfachen Beanstandungen ausgesetzt. Das wird immer der Fall sein, wo Jemand versucht, durch grössere Zeiträume allgemein charakterisierende Linien zu ziehen und sie auf eine bestimmte Auffassung konvergieren zu lassen, die seiner eigenen Untersuchung zum Ausgangspunkte dienen soll. Dieser Punkt ist für Dr. Witkop der Begriff der Lyrik, wie er ihn in seiner Doctordissertation entwickelt hat. Er ist mit seiner Zuspitzung auf die poetische Darstellung der Persönlichkeit und ihres individuellen Erlebnissen in der Tat enger, als es in den üblichen Ausdrucksbedeutungen angenommen wird: sein Begriff ist mehr ein aesthetisches Norm- und Richtprinzip, als ein den historischen Denominationen angepasster Gattungsbegriff. Das kommt vor allem in seiner Stellung zum Volksliede heraus, die hinsichtlich der aesthetischen Wertung der bisherigen historischen Auffassung durchaus zuwiderläuft. Eine solche aesthetisch-kritische Behandlung der Literatur hat nun […] ihre vollkommene wissenschaftliche Berechtigung und auch ihr Existenzrecht an der Universität. Sie verträgt sich durchaus mit der eigentlich historischen Behandlung und erscheint mir sogar entschieden wünschenswert, dass unsre akademische Jugend von allen Seiten her zum Verständnis unsrer Literatur und dessen, was sie für uns bedeutet, her angezogen werde. […] Denn ich halte Hrn Dr. Witkop durchaus für befähigt eine solche Verbindung von Aesthetik und Literaturstudium wissenschaftlich zu vertreten. Seine Vorbereitungen zur Promotion und diese selbst haben mir bewiesen, dass er sich in der ernstesten Weise mit der Philosophie und ihrer Geschichte beschäftigt hat: auch die neuerdings von ihm veröffentlichten Gedichte zeigen übrigens durchgängig eine Durchtränkung seines geistigen Lebens mit philosophischen Momenten. […] Alles in allem bin ich der Meinung, die Fakultät sollte sich die Gelegenheit, eine zwar sehr individuelle, aber doch auch sachlich sehr willkommen zu heissende Behandlungsweise der literarischen Gegenstände zu gewinnen, nicht entgehen lassen, und ich stelle den Antrag, Herrn Dr. Witkop zu den weiteren Habilitationsleistungen zuzulassen und für ihn eine Venia in Aussicht zu nehmen für „Aesthetik und neuere deutsche Literatur.“20↑Ebbinghaus ] Julius Ebbinghaus (1885–1981), 1904–09 Studium der Philosophie, Naturwissenschaften und Kunstgeschichte in Lausanne, Berlin, Halle und Heidelberg, 1909 Promotion in Heidelberg. Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1921 Habilitation in Freiburg, 1921–30 PD u. ao. Prof. für Philosophie in Freiburg, 1930–40 o. Prof. für Historische und Systematische Philosophie in Rostock (1934–39 Direktor des Psychologischen Instituts). 1940–54 o. Prof. in Marburg (1945/46 Rektor). 1954 emeritiert, 1954–56 Vertretung seines Lehrstuhls in Marburg, 1959 Gastprofessor an der Emory-University in Atlanta (Rostocker Professorenkatalog). Sohn von Hermann Ebbinghaus, hatte im Juli 1909 bei Windelband über Relativen und absoluten Idealismus. Historisch-systematische Untersuchung über den Weg von Kant zu Hegel (gedruckt Leipzig 1910) promoviert. – Die Anspielung bezieht sich auf das Zerwürfnis zwischen Hermann Ebbinghaus und Windelband auf dem III. Internationlen Kongreß für Philosophie in Heidelberg von 1908, vgl. Horst Gundlach: Wilhelm Windelband und die Psychologie. Heidelberg: University Publishing 2017, S. 238–240.22↑Menzer und Krueger ] Paul Menzer (1873–1960), seit 1908 o. Prof. in Halle u. Felix Krueger (1874–1948), seit 1910 o. Prof. in Halle (BEdPh).24↑dozieren hier zu 8 Philosophie ] im WS 1913/14 lehrten in Heidelberg laut Vorlesungsverzeichnis Philosophie: Windelband, Ernst Troeltsch, Emil Lask, Hans Driesch, Friedrich Alfred Schmid, Arnold Ruge, Nicolai von Bubnoff, Gustav Uhlig (Pädagogik).26↑Psychophysiker ] Hans W. Gruhle (venia legendi für Psychiatrie und medizinische Psychologie seit 3.3.1913), vgl. Jürgen Klüpfel/C. F. Graumann: https://www.psychologie.uni-heidelberg.de/willkomm/cfg/instber-2b.html#IIb (3.8.2016).▲