Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 7.3.1913, 2 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_96
- Creator
- Recipient
- ParticipantsArnold Kowalewski ; Bruno Bauch ; Erich Rudolf Jaensch ; Ernst Cassirer ; Georg Mehlis ; Georg Misch ; Gottlob Friedrich Lipps ; Heinrich Rickert ; Hermann Cohen ; Hermann Siebeck ; Karl Marbe ; Narziß Kaspar Ach ; Oswald Külpe ; Otto Klemm ; Paul Natorp ; Paul Siebeck ; Richard Kroner ; Stephan Witasek ; Wilhelm Wundt
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationUniversitätsbibliothek Heidelberg
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Windelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 7.3.1913, 2 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_96
Heidelberg, 7.3.13.
Lieber Freund und Kollege,
Besten Dank für das Exemplar Ihres Artikels[1] in der Fr[ankfurter] Z[eitung], den ich schon mit grosser Freude gelesen hatte: wir müssen Ihnen sehr dankbar sein für die schlagfertige Antwort an Wundt; viele werden diese Abfertigung eher gelesen haben als die Broschüre[2] selbst, so z. B. ich selber. Wundt habe ich mit Schmunzeln genossen: es ist wirklich Friedensschrift[3]! Die paar Bosheiten gegen mich[4] gönne ich ihm gern; nur illoyal ist allerdings die Anspielung darauf, dass ich keine andre Vertretung und Richtung neben mir dulde: er muss bei seiner häufigen Anwesenheit in seinem hiesigen Hause[5] und bei dem Verkehr, den er dann hier hat, genau wissen, dass es an mir nicht liegt[6], wenn die zweite Professur noch nicht besetzt ist. Aber das gönne ich ihm gern: wichtiger ist, dass er unsere Erklärung[7] ruhig mit hätte unterzeichnen können, wenn er selbst eine einseitig experimentelle Vorbildung für unzulänglich erklärt. Die Zeche bezahlt Külpe, der nun gänzlich zwischen zwei Stühlen auf den Boden gerutscht | ist. Er tut mir fast leid; denn er verdient es eigentlich persönlich garnicht, sondern nur durch die allerdings ungewöhnlich törichten und weltfremden Vorschläge[8], die er gemacht hat. Die auffallende Schärfung, mit der Wundt in mehrfacher Wiederholung gerade gegen ihn sich wendet, hat einen persönlichen Einschlag, über den ich nichts Näheres weiss: wie mir denn überhaupt Wundt unnötig viel geheimnisvolle Andeutungen über Personalien zu machen scheint. Verstehen Sie z. B. die Sache mit den Marburger Vorschlägen[9]? um wen handelt es sich da? Cassirer?
Mir ist es jetzt sehr lieb, dass ich in den Weihnachtsferien nicht so sehr Herr meiner Nerven war, um meinen Artikel[10] abzuschliessen. Er kann jetzt viel mehr aus dem Ganzen herausgearbeitet werden und doch überall an konkret Aktuelles anknüpfen.
Hoffentlich treten Sie die Ferien in guter Gesundheit an! Mit den besten Wünschen dazu und Grüssen getreulich der Ihrige
W Windelband
Kommentar der Herausgeber
1↑Artikels ] vgl. Rickert: Zur Besetzung der philosophischen Professuren mit Vertretern der experimentellen Psychologie. In: Frankfurter Zeitung, Nr. 63 vom 4.3.1913.3↑Friedensschrift ] Wundt schreibt in seinem Vorwort: Wer die ersten Abschnitte der folgenden Schrift durchblättert, mag geneigt sein, in ihr eine Streitschrift zu sehen. Wer sich aber entschließt, sie bis zu Ende zu lesen, der wird sich überzeugen, daß sie vielmehr eine Friedensschrift genannt werden könnte.4↑Bosheiten gegen mich ] z. B. auf S. 5 von Wundts Broschüre: Wenn z. B. unter ihnen ein ausgezeichneter Vertreter der historischen Philosophie gelegentlich bemerkt hat, zum Besteigen eines philosophischen Katheders genüge es bisweilen, wenn jemand methodisch auf elektrische Knöpfe zu tippen gelernt habe und in langen, tabellarisch wohl geordneten Versuchsreihen zahlenmäßig beweisen könne, daß manchen Menschen langsamer etwas einfällt als andern, so stimmt das nicht recht mit der liebevollen Fürsorge zusammen, die die Erklärung gegenüber der experimentellen Psychologie bekundet; als Anspielung auf Windelband: Die Philosophie im deutschen Geistesleben des XIX. Jahrhunderts. Fünf Vorlesungen. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1909, S. 92: Es war eine Zeitlang in Deutschland beinahe so, dass der Befähigungsnachweis zum Besteigen eines philosophischen Katheders schon als erbracht galt, wenn jemand methodisch auf elektrischen Knöpfen zu tippen gelernt hatte und in langen, tabellarisch wohlgeordneten Versuchsreihen zahlenmässig beweisen konnte, dass manchen Leuten langsamer etwas einfällt, als anderen; was seinerseits ein Seitenhieb auf die Berufungen von Narziß Kaspar Ach und Karl Marbe gewesen war, vgl. Horst Gundlach: Wilhelm Windelband und die Psychologie. Heidelberg: University Publishing 2017, S. 128.5↑hiesigen Hause ] Plöck Nr. 48, von Wundt in den Universitätsferien bewohnt (vgl. Heidelberger Zeitung, Nr. 265 vom 11.11.1905, Erstes Blatt, S. 2).6↑an mir nicht liegt ] vgl. dagegen die Kommentare zu Windelband an Rickert vom 6.11.1906 und an Jellinek vom 27.4.19088↑Vorschläge ] die Psychologie vollkommen von der Philosophie abzukoppeln und in die medizinische Fakultät einzugliedern, vgl. Oswald Külpe: Psychologie und Medizin. Sonderdruck aus der Zeitschrift für Psychopathologie. I. Band [1912]. Leipzig: Wilhelm Engelmann 1912. – Für eine weitere Gegenschrift gegen die Erklärung vgl. Karl Marbe: Die Aktion gegen die Psychologie. Eine Abwehr. Leipzig/Berlin: Teubner 1913.9↑Marburger Vorschlägen ] für die Nachfolge Hermann Cohens waren im Gespräch: Arnold Kowalewski, Bruno Bauch, Georg Misch, Gottlob Friedrich Lipps, Stephan Witasek, Erich Rudolf Jaensch, Otto Klemm sowie Ernst Cassirer, letzterer als Favorit von Cohen (und Paul Natorp), vgl. Cohen an Cassirer vom 6.6. u. 31.8.1911 (Ernst-Cassirer-Nachlaßausgabe Bd. 17, S. 273–283).10↑Artikel ] in Sachen Agitation gegen die Besetzung philosophischer Lehrstühle mit Experimentalpsychologen, für die Zeitschrift Logos, vgl. Windelband an Rickert vom 8.1.1913. Ein solcher Artikel ist nicht zustande gekommen, vgl. Georg Mehlis an Paul Siebeck vom 5.12.1912: Vorigen Sonntag war ich bei Windelband. Er ist jetzt wieder viel mehr für den Logos interessiert. In dieser Richtung hat, glaube ich, auch Ihr Schreiben an Windelband gewirkt. Er hat für das Januarheft einen Artikel schon ziemlich fertig gestellt; sowie Richard Kroner an Siebeck vom 20.2.1913: Schließlich schicke ich Ihnen noch an Stelle des nicht eingetroffenen Artikels von Windelband einen andern über Hamann; ferner Mehlis an Siebeck vom 21.2.1913: Windelband hat seinen Artikel nicht vollendet und will ihn nunmehr für das nächste Heft fertigstellen. […] Ich bedaure sehr, dass der Druck des Heftes so verzögert ist, aber Windelband hat sich erst jetzt für Aufschub entschieden (zitiert nach: Briefe und Dokumente zur Geschichte der Zeitschrift Logos. UB Leipzig. Nachlass Klaus Christian Köhnke, NL 330/3/1/5, Ausdruck vom 1.3.2012, S. 77–79).▲