Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 5.1.1912, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_94
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Windelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 5.1.1912, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_94
Heidelberg, 5.1.12.
Lieber Freund und Kollege,
Für die guten Neujahrswünsche[1] allerbesten Dank! ich erwidre sie – von Haus zu Haus herzlichst und wünsche mir, dass das neue Jahr wieder einmal ein Stündchen Wiedersehens mit Ihnen bringe: denn das führt doch immer weiter als aller Austausch des Geschriebenen und Gedruckten. So fürchte ich auch, dass es mir wenig gut bei Ihnen mit dem Aufsatz gehen wird, den ich in diesen Freien abgeschlossen habe und der nun wohl schon im Satz ist. Es ist der Abriss über die Principien der Logik für den ersten Band der Rugeʼschen Encyclopädie, etwa vier Bogen; ich nenne es ein System von Ueberschriften, | zu denen der Text noch geschrieben werden soll, und das nötigenfalls als eine Art von logischem Vermächtnis[2] soll dienen dürfen, – das Konzentrierteste jedenfalls, das ich geschrieben habe, und ausdrücklich nur für Sachkenner bestimmt und verständlich. Weil es nicht umfangreicher sein solltte, habe ich mich gerade auch mit den Nächststehenden, die doch ihre Spuren darin nicht verkennen werden, nicht so eingehend auseinandersetzen können, wie ich gewünscht hätte. All dies bitte ich Sie seinerzeit bei dem hoffentlich baldigen Empfange mit freundlicher Aufnahme zu bedenken.
Leider habe ich Laskʼs Urteilslehre[3] | garnicht mehr berücksichtigen können. ich erhielt sie zwei Tage vor dem Fest, gerade als meine Kinder zum Weihnachtsbesuch eintrafen; und man weiss ja, wie es in diesen Ferien zugeht. Jetzt erst komme ich dazu, und habe die kleinere Hälfte gelesen, mit entschiedenster Zustimmung zu der mir durchaus willkommenen These, dass das logische Praedikat die Kategorie ist, die vom ganzen Urteilsmaterial ausgesagt werde. Dazu gehört freilich, dass auch die reflexiven Kategorien wie Subordination, Koordination, Determination, Disjunction ernsthaft als Kategorien anerkannt werden; ich weiss nicht, ob Lask das im Fortgang noch ausdrücklich berührt hat. Vielleicht ist dies das Gebiet, wo seine „Kategorien des Geltens“ | zu suchen sind; für mich wäre es so. Im Ganzen finde ich in dem neuen Buche die glänzende Plastik der Darstellung, mit der er uns in der „Logik der Philosophie“[4] verwöhnt hat, nicht in ganz gleicher Vollkommenheit, und ich finde, es liest sich etwas schwerer. Aber vielleicht liegt das an mir, der ich in der Wintermitte und der feiertäglichen Distraktion nicht vollständig aufnahmefähig bin. Jedenfalls ist es eine grosse Freude, wie rüstig und sicher er auf dem „Wege zu den Müttern“[5] voranschreitet.
Mit den besten Wünschen für das weitere Semester treulich der Ihrige
W Windelband
Kommentar der Herausgeber
3↑Laskʼs Urteilslehre ] vgl. Emil Lask: Die Lehre vom Urteil. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1912 (eingegangen in: Gesammelte Schriften Bd. 2 1923, S. 283–463; dort auf S. 409–410 Auseinandersetzung mit Windelbands Auffassung von Wahrheitswerten und Wahrheitsnormen).4↑„Logik der Philosophie“ ] in Windelbands Besitz befand sich: Lask: Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1911.▲