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- TitleAlfred Dove an Windelband, Freiburg i. Br., 6.11.1911, abgedruckt in: Alfred Dove. Ausgewählte Briefe. Hg. u. eingeleitet v. Oswald Dammann. München: Bruckmann 1925 (Alfred Dove. Ausgewählte Aufsätze und Briefe Bd. 2. Hg. v. F. Meinecke u. O. Dammann), S. 280–281.
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Alfred Dove an Windelband, Freiburg i. Br., 6.11.1911, abgedruckt in: Alfred Dove. Ausgewählte Briefe. Hg. u. eingeleitet v. Oswald Dammann. München: Bruckmann 1925 (Alfred Dove. Ausgewählte Aufsätze und Briefe Bd. 2. Hg. v. F. Meinecke u. O. Dammann), S. 280–281.
Freiburg i. Br. Luisenstr. 7, den 6. November 1911.
Vielen Dank, verehrter Freund, für Ihren Brief[1], den ich bei meiner Rückkehr aus Bonn vorgestern vorfand! Denn ich war der geräuschvollen Festlichkeit[2], an der ich doch so gut wie keinen Teil nehmen durfte, ganz aus dem Wege gegangen. Wir verlangten schon immer nach einem Wiedersehen der Freunde, so viel – oder leider so wenig – ihrer noch leben, am Niederrhein. Haus und Garten und alles, was wir in Bonn[3] besessen und genossen, bedurfte der Wiederherstellung im Geist, wenn es nicht ganz der anschauungslosen Begriffsbildung verfallen sollte. So griffen wir zu und haben es nicht bereut. Wir fanden soviel Andenken und Treue, daß wir ganz verwundert und beschämt waren. Und einmal wieder jeden Morgen vom alten Zoll[4] rheinauf nach dem Drachenfels[5] zu schauen, ist doch auch eine Gabe Gottes. Stutz sprach ich dort noch im philosophisch unpromovierten Zustande[6]. Hernach hatte er sich leider eine Angina von Freiburg mitgebracht und lag mit ihr fiebernd im Bett. Es ging aber rasch und glücklich vorbei; heute las er schon wieder und schrieb mir schon gestern einen 8 Seiten langen Brief. Meinen Artikel aus der Festzeitung[7] schick’ ich Ihnen nur aus Uebermut. Es war bestellte Arbeit, das Kapitel de regibus im Cornelius Nepos[8] muß immer ich schreiben, wie ich auch schon die Inschriften am Gebäude selbst vorgeschlagen. Aber alles, was ich darin über Freiburg aussage und gar über das Bauwerk, trieft von Ironie[9]. Ich stehe durchaus auf Seiten der Romantik und Heidelbergs, bin dem Realismus der Moderne spinnefeind und brauche den ideenassoziationslosen Naturgenuß von Freiburg nur als seniles Beruhigungs- und Verdauungsmittel. Allein hier schrieb ich ja objektiv im Sinne der heutigen Generation, des Zeitalters Großherzog Friedrichs II.[10] – Sehr betrauert hab’ ich den Hingang Dilthey’s[11], einst meines Schul- und Universitätslehrers[12], dann meines Kollegen und Freundes. Er war doch einer der geist- und verständnisreichsten Menschen, wenn er sich nur nicht immer gequält hätte, seine guten, oft herrlichen Gedanken in philosophisches Gewand zu drapieren. – Was sagen Sie zu Rickert’s neuester Abhandlung über Lebenswerte und Kulturwerte[13]? Meinecke[14] und ich finden, daß es entschieden das Beste ist, was er geschrieben. So gar nicht steifleinen und fadenscheinig – ich verstehe darunter, daß man alle Fäden seiner ängstlichen Logik sieht – wie sonst. Geradezu schriftstellerisch! – Doch genug! Hoffentlich sind Sie Ihre Erkältung los. Ich bin Freitag und Samstag in Karlsruhe zur historischen Jahressitzung[15]. Viele Grüße von Haus zu Haus!
In alter Verehrung Ihr
Alfred Dove.
Kommentar der Herausgeber
2↑Festlichkeit ] Kommentar Oswald Dammann (1893–1978, Bibliothekar u. Literarhistoriker an der Universität Freiburg. 1919 Mitarbeiter an der Universitätsbibliothek, 1926 Bibliotheksrat, 1953 Leiter des Universitätsarchivs; WBIS): Einweihung des neuen Kollegienhauses der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg am 28. Oktober 1911.6↑philosophisch unpromovierten Zustande ] Kommentar Dammann: Ulrich Stutz wurde anläßlich der Freiburger Festlichkeit die philosophische Ehrendoktorwürde verliehen, und zwar von der philosophischen Fakultät (während die rechts- und staatswissenschaftliche Georg Simmel ehrte), vgl.: Eröffnungsfeier des Kollegienhauses der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. am 28. Oktober 1911. Freiburg i. Br.: C. A. Wagner 1912, S. 87.8↑das Kapitel de regibus im Cornelius Nepos ] Anspielung auf den römischen Geschichtsschreiber Cornelius Nepos und dessen Werk de regibus mit Herrscher- und Feldherrenbiographien, darin wird auch Rom feindlichen Persönlichkeiten Anerkennung gezollt.9↑Ironie ] vgl. a/D. [= Alfred Dove]: MCMVI–MCMXI. Aedem a patre studiis dedicatam erexit Fridericus II. In: Festblatt zur Einweihung des Neuen Kollegien-Hauses der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sonderausgabe der Akademischen Mitteilungen [Umschlagtitel: Alberto-Ludoviciana. Erinnerungen aus der Studienzeit alter und junger Semester – diese in Nr. 2 u. 3 vom 25. u. 28.10.1911]. Unter der verantwortlichen Leitung des Privatdozenten Dr. Veit Valentin hg. v. Hans Speyer. Freiburg i. B.: Speyer & Kaerner 1911, Nr. 1 v. 21.10.1911, S. 2–3. Dove bezieht sich auf den folgenden Abschnitt seines Artikels: Indessen das neunzehnte Jahrhundert erging sich im Lobe seines Alt-Heidelberg; warum setzt das zwanzigste Freiburg ihm tatsächlich gleich, ja zieht es ihm mehr und mehr vor? Hier stoßen wir auf die Grenze der geistigen Strömung zweier Zeitalter. Die Welt der Romantik […] ist dahin; Großherzog Friedrich I. war wohl ihr letzter Blutsverwandter. Wir im neuen Reich Erzogenen glauben an einleuchtende Wirklichkeit; der gesunde, durch keine Tradition gelähmte, von keiner lyrischen Stimmung befallene Realismus unserer Jugend findet im heutigen Freiburg, was er braucht. In der Natur liebt er die wahre, doch einfache Schönheit, die klare Frische, an der er im Sport die eigene Kraft erprobt. An unserer rasch aufgeschossenen Stadt muß ihm die kecke Entschlossenheit gefallen, mit der sie dem Praktischen nachtrachtet, sich mit dem Augenfälligen schmückt. Überhaupt tritt das ausgesprochen moderne Wesen, das wie dem Zeitgeist, so auch dem badischen Staat im allgemeinen eignet, in Freiburg in besonderer Deutlichkeit hervor. Die Hochschule selbst wird kaum durch Erinnerungen, feste Formen, überlieferte Bräuche, die ihren Zwecken hinderlich wären, beschwert. Das Erzbistum, anderswo dem geschichtlichen Boden entstiegen, ist hier das Werk der Erwägung des jüngst vergangenen Jahrhunderts. Nur das Münster, an das man es anlehnte, haucht romantischen Odem aus, doch zugleich den entschiedenen Duft ästhetischer Realität, der auch den von jeder Romatik Unberührten anspricht. Es wird sich ruhig behaupten neben dem neuen Kollegiengebäude, das des Meisters Hand im Stil ohne Vorbild, der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts angemessen, schuf. – In derselben Nummer gleich anschließend ein Artikel des Architekten Hermann Billing über den Stil des von ihm entworfenen neuen Kollegienhauses (S. 4–6).12↑Schul- und Universitätslehrers ] Dilthey war nach seinem Studium zunächst Lehrer am Französischen, dann am Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin (BEdPh).13↑Rickert’s neuester Abhandlung über Lebenswerte und Kulturwerte ] Kommentar Dammann: Logos 2, 1911/12.14↑Meinecke ] Kommentar Dammann: Friedrich Meinecke (geb. 1862), 1910 Professor der Geschichte in Straßburg, 1906 Nachfolger Doves in Freiburg; Doves Kandidat war Richard Fester gewesen.15↑Freitag und Samstag in Karlsruhe zur historischen Jahressitzung ] 30. Plenarsitzung der Badischen Historischen Kommission am 10.11. u. 11.11.1911 unter dem Vorsitz Doves, vgl. z. B. den Bericht in Deutsche Geschichtsblätter 13 (1912), S. 136.▲