Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 16.7.1911, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_91
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Windelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 16.7.1911, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_91
Heidelberg, 16.7.11.
Lieber Freund und Kollege,
Es tut mir sehr leid, dass ich Sie über Dr. Metzger befragt[1] und Ihnen damit so viel Mühe gemacht und Ungelegenheit gemacht habe: ich danke Ihnen vielmals für Ihre zweimalige ausführliche Auskunft[2], die ja gerade so ausgefallen ist, wie ich es etwa erwartete. Er scheint ein etwas aufgeregter und zudringlicher Herr zu sein, und ich habe gar kein Interesse daran, dass er mich noch aufsucht. Denn, selbst wenn ich ihn empfehlen könnte, so wüsste ich doch nicht, welche Universität ich ihm empfehlen sollte, weil es ja überall voll hockt. Die Aussich|ten für die jüngere Generation sind recht ungünstig, selbst wenn sie psychologisch empfohlen ist: was doch sonst der einzige Titulus ist, der heutzutage noch wirkt. Eine Freude warʼs deshalb, dass ausnahmsweise einmal eine Professur wie die Liebmannʼs[3] nicht an einen Psychologen verloren gegangen ist. Eingermassen bange ich um die Strassburger[4]. ich habe jetzt, da ich nicht bei dem Badner Tage[5] war, lange nichts darüber gehört. Dass es mit Ihnen nichts wurde, hat mir sehr leid getan; aber es war leider begreiflich. Dass Sie sich nicht binden konnten, war selbstverständlich. Dass die Strassburger Ihnen das ansannen, | wird man ihnen nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht ganz verdenken dürfen. Gleichwohl würde ich, wenn ich etwas gehört hätte, ehe[a] die Verhandlungen mit Ihnen erfolgt waren, alles aufgeboten haben, um die Strassburger zu veranlassen, Sie ohne Bedingung an der Spitze der Liste[6] zu nennen. Aber Sie können sich ja denken, dass ich bei der Kitzlichkeit der Situationen und der Personen überhaupt nicht offen gefragt werden konnte. Nun bin ich begierig, was werden wird. Ueberall wird jetzt, wo auch eine Professur frei ist, mit Berliner Hochdruck für einen gewissen Becher[7] gearbeitet, der nach dem, was ich von ihm gesehen habe, in der Tat unbedeutend genug ist, um bei solcher Sorte Kathederbesetzung in | erster Linie zu figurieren. Aber mich wundert nichts mehr. Unsre deutschen Universitäten sind in einem rapiden, in diesem Masse kaum vorherzusagenden Niedergang begriffen: warum sollte da nicht ihre Philosophie vorangehen? Der Philosophie und der Wissenschaft wirdʼs nicht schaden; die finden schon ihre Stätten; aber den Universitäten wirdʼs schaden und dem Volke, das auf sie stolz sein konnte, solange es nicht auf den Wahn verfiel, sein Unterrichtswesen modernisieren zu müssen! Die Herren sollen nur weiter machen: es wird schon herrlich tagen![8] ich bin nur glücklich, dass ich das Schlimmste nicht mehr selbst erleben werde.
Seien wir froh, dass wir noch im Lichte haben leben dürfen! Denn es war schön.
Mit treuem Gruss der Ihrige
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
4↑die Strassburger ] Theobald Ziegler wurde 1911 in Straßburg emeritiert, Clemens Baeumker ging 1912 nach München (BEdPh).7↑Becher ] vermutlich Erich Becher (1882–1929), experimentalpsychologische Promotion über Lesepsychologie, Habilitation über: Philosophische Vorraussetzungen der exakten Naturwissenschaften, 1909 o. Prof in Münster, 1916–25 in München (BEdPh).▲