Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 1.6.1910, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_84
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Windelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 1.6.1910, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_84
Heidelberg, 1.6.10.
Lieber Freund,
Mit bestem Danke sende ich Ihnen Vaihingerʼs Brief[1] nebst Anlage[2] hierbei zurück. Wenn ich dabei kurzentschlossen die Bitte hinzufüge, mich als Preisrichter[3] aus dem Spiel zu lassen, so gehört das mit zu den Entsagungen, für die ich mich jetzt in genere fest entschlossen habe. ich bin, nachdem ich wieder durch das Rectorat so ziemlich ein ganzes Jahr verloren habe und auch durch das Secretariat der Akademie dauernd mit Geschäften belastet bin, zu der Einsicht gelangt, dass ich meine Zeit auf das sorgfältigste zusammennehmen muss, wenn ich die zahlreichen[a] Pläne zur Arbeit, für die ich Verpflichtungen habe, einigermassen noch ausführen will, – und das um so mehr, als diese Zeit durch die mit dem Alter erforderlich gewordene Rücksichtnahme auf die Gesundheit schon an sich beträchtlich einge|schränkt ist. ich muss auf die nächtliche Arbeit, die für mich bisher der bessere Teil war, verzichten und gehe regelmässig um 11 Uhr zu Bett. Das ist mir nicht leicht geworden, und ich weiss nicht, ob es wirklich dauernd gute Folgen haben wird, aber es gilt ja für das verständige. Dadurch ist aber meine Leistungsfähigkeit, wie ich mit Schrecken merke, doch erheblich herabgesetzt, und ich muss mir alles Entbehrliche fern halten. Und dazu rechne ich doch wohl mit Recht die Preisrichterschaft[4], die Sie mir zudenken. Das Durcharbeiten der zweifellos sehr zahlreichen Arbeiten, die auf dieses Thema eingehen werden, die dazu erforderliche Korrespondenz, würden sehr zeitraubend sein, und namentlich käme das in Betracht, was mir mit den Jahren immer lästiger geworden ist, nämlich die durch die Rücksicht auf gemeinsame Arbeit gebotene Festlegung auf bestimmte | Zeittermine. So sehr mir daher die Sache selbst interessant ist und lehrreich werden würde, so dankbar ich es empfinde, dass Sie dazu gern mit mir zusammen arbeiten möchten, so hoffe ich doch, dass Sie jene Gegengründe würdigen und mich entschuldigen werden.
Aber ich möchte Sie ernstlich bitten, um der Sache willen Ihrerseits darum den Vaihingerschen Antrag nicht abzulehnen[5]. Wenn irgendeiner so sind Sie der gegebene Sachverständige für dies Thema; das specifisch Kantphilologische[b] wird Ihnen ja ein andrer Preisrichter, etwa eben Adickes, abnehmen; für das Sachliche aber sind Sie m. E. unentbehrlich. Wie sehr, – das geht schon aus der starken Verbesserungsbedürftigkeit des Kommentars zur Themastellung (worauf Sie selbst hinweisen) hervor. Das Thema scheint mir gut; viel besser als das Kant-Aristoteles-Thema[6], bei dem jeder Kundige den Erfolg voraussehen konnte. Aber die Gefahren des Erfolgs, die auch bei diesem | Thema nicht ausgeschlossen sind, lassen sich nur vermeiden, wenn ein Mann wie Sie eine entscheidende Stimme im Preisrichteramt hat. Und Sie müssen auch dafür sorgen, dass nicht ein zweiter Psychologist oder Pragmatist zu Ad[ickes] hinzukäme; Volkelt schiene mir an sich nicht übel, – wenn Liebmann nicht zu gewinnen ist; ich weiss nicht, ob Bauchʼs Befürchtung[7] über Ihre Kooperation mit V[olkelt] zutrifft. Jedenfalls möchte ich Ihnen ans Herz legen, die Sache nicht aus der Hand zu geben.
Ein Passus bei Vaihinger[8] macht mich darauf aufmerksam, dass ich, weil ich als Mitbegründer der Kant-Studien diese regelmässig bekomme, immer noch versäumt habe, der Kant-Gesellschaft als Mitglied beizutreten: ich werde das nächstens nachholen[9].
Für heute mit herzlichem Gruss der Ihrige
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Vaihingerʼs Brief ] vgl. Hans Vaihinger an Rickert vom 30.5.1910: Verehrtester Herr Kollege! Für die liebenswürdige Übersendung Ihres Einführungsartikels zu der neuen Zeitschrift „Logos“, als deren Spiritus Rector Sie ja wohl zu betrachten sind, spreche ich Ihnen meinen verbindlichen Dank aus. […] zu erwarten ist, daß die neue Zeitschrift mit den älteren Kantstudien stets in guten Beziehungen bleiben wird […] Wie Sie aus der Beilage ersehen, will die Kantgesellschaft eine neue Preisaufgabe ausschreiben; das Thema dieser Preisaufgabe habe ich selbst gestellt. Schon vor 6 Jahren wollte ich dieses Thema ausschreiben, aber damals trat ich zurück hinter den Wunsch von Riehl, das Thema „Kant –Aristoteles“ als erstes […] zu erlassen. […] die Thätigkeit der Preisrichter soll angemessen honoriert werden: Jeder soll circa 200 Mk erhalten. Ich möchte Sie ersuchen, […] mir gütigst recht bald mitzuteilen, ob Sie prinzipiell geneigt wären, ein Preisrichteramt zu übernehmen […] Was nun die beiden anderen Preisrichter betrifft, so sind wir darin noch nicht definitiv entschlossen; wir denken z. B. an Adickes […], wir denken auch an Volkelt (UB Heidelberg, Heid. Hs. 2740 III A 208 9–10). Im nächsten Schreiben in dieser Angelegenheit vom 14.7.1910 hat Vaihinger Rickert lediglich aufgefordert, im Freiburger Philosophischen Seminar die Bearbeitung der Preisaufgabe anzuregen. Vom Amt des Preisrichters ist nicht mehr die Rede (UB Heidelberg, Heid. Hs. 2740 III A 208 11).3↑Preisrichter ] für die am 22.4.1910 auf Veranlassung Hans Vaihingers ausgeschriebene 5. Preisaufgabe der Kantgesellschaft: Kants Begriff der Wahrheit und seine Bedeutung für die erkenntnistheoretischen Fragen der Gegenwart, vgl. Kant-Studien 15 (1910), S. 395–398, mit den schließlich beauftragten Preisrichtern Otto Liebmann, Richard Falckenberg u. Paul Menzer.4↑Preisrichterschaft ] Windelband gab diese Reserve erst auf, als es um die Ausschreibung der 6. Preisaufgabe (Eduard von Hartmann-Preisaufgabe) der Kantgesellschaft im Mai 1912 ging, allerdings ohne noch in die Pflicht zu kommen. Das von Hans Vaihinger gestellte Thema lautete: Eduard von Hartmanns „Kategorienlehre“ und ihre Bedeutung für die Philosophie der Gegenwart mit Einsendeschluß 22.4.1915. Die Geldpreise (1500 und 1000 Mark) stiftete Alma von Hartmann. Als Preisrichter sollten fungieren: Windelband, Bruno Bauch und Jonas Cohn (vgl. Kant-Studien 17 (1912), S. 334–336. Nach wiederholtem Hinausschieben des Abgabetermins wurde Windelband, der inzwischen verstorben war, durch Heinrich Maier ersetzt (Kant-Studien 21 (1916), S. 131). Der Wettbewerb wurde erst am 1.5.1918 beendet, mit Max Frischeisen-Köhler in der Jury anstelle des mittlerweile zurückgetretenen Bauch (Kant-Studien 23 (1918), S. 521).6↑Kant-Aristoteles-Thema ] vgl. die 1905 ausgeschriebene Preisaufgabe: Kants Begriff der Erkenntnis, verglichen mit dem des Aristoteles (Kant-Studien 10 (1905), S. 248). Als Preisrichter fungierten Max Heinze, Alois Riehl, Hans Vaihinger.7↑Bauchʼs Befürchtung ] vgl. Hans Vaihinger an Rickert vom 30.5.1910: Was Volkelt betrifft, so teilt mir College Bauch soeben mit, daß Sie einmal mit ihm zusammen gestoßen seien, und daß Volkelt dabei sehr energisch für die Metaphysik eingetreten sei; ich kann nicht beurteilen, welche Konsequenzen das evtl. haben kann für Ihr Verhältnis zu Volkelt; sonst im übrigen [so wörtlich] ist er ja ein tüchtiger und angesehner Mann; er ist aber nicht absolut notwendig für die Preisaufgabe (UB Heidelberg, Heid. Hs. 2740 III A 208 9–10).8↑Passus bei Vaihinger ] vgl. Hans Vaihinger an Rickert vom 30.5.1910: Auch müssen die Preisrichter sich in ihren Richtungen einigermaßen nahe stehen, und doch sollten sie nicht alle ein und derselben Richtung angehören; womöglich sollten alle 3 Preisrichter der Kantgesellschaft angehören; aus diesem Grunde haben wir noch nicht an Windelband gedacht, welcher sich uns noch nicht angeschlossen hat; aber andererseits würde er doch wohl auch für Sie in erster Linie in Betracht kommen (UB Heidelberg, Heid. Hs. 2740 III A 208 9–10).9↑nachholen ] Windelbands Eintritt in die Kant-Gesellschaft wird für den Zeitraum Januar–März 1911 vermerkt in: Kant-Studien 16 (1911), S. 129.▲