Bibliographic Metadata
- TitleHeinrich Rickert an Windelband, o. O. [Freiburg i. Br.], o. D. [nach 8.3.1910], 10 S., hs., Briefentwurf (mindestens zwei Überarbeitungsstufen mit Tinte und Bleistift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIE-1_41-46
- Creator
- Recipient
- ParticipantsAdolfo Ravà ; Arnold Ruge ; Auguste Ravà ; Bruno Bauch ; Ernst Troeltsch ; Friedrich Meinecke ; Georg Mehlis ; Georg Simmel ; Gustav Theodor Fechner ; Heinrich Rickert ; Heinrich Wölfflin ; Henri Bergson ; Hermann Siebeck ; Otto Baensch ; Otto Gierke ; Peter von Struve ; Richard Kroner ; Wilhelm Eduard Weber
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationUniversitätsbibliothek Heidelberg
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Heinrich Rickert an Windelband, o. O. [Freiburg i. Br.], o. D. [nach 8.3.1910], 10 S., hs., Briefentwurf (mindestens zwei Überarbeitungsstufen mit Tinte und Bleistift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIE-1_41-46
Lieber u[nd] verehrter Freund[1]!
Ihr Brief[2] hat mich überrascht, obwohl ich in den letzten Tagen an Überraschungen durch Dr. Ruge bereits gewöhnt bin. Alles, was Dr. R[uge] Ihnen über beabsichtigte Änderungen in der Tendenz des Logos gesagt hat, ist vollkommen aus der Luft gegriffen und nur daraus zu erklären, daß Dr. R[uge] sich in einer Aufregung befindet, die es ihm unmöglich macht, die Sache des Logos u[nd] seine persönlichen Angelegenheiten zu trennen.[a] Zu Ihrer Orientirung über die Sache[b] lege ich den gestern von Siebeck eingetroffenen ersten Probedruck des Titelblattes[3] bei. Sie werden auf dessen Vorder- und Rückseite ersehen, daß der internationale[c] Charakter u[nd] die Pflege der Kultur[d]philosophie darauf so stark hervorgehoben ist, wie das auf einem Titelblatt möglich war. Wir haben in den letzten Monaten im Gegensatz zu den Behauptungen Dr. Ruges nicht nur an der Tendenz des Logos streng festgehalten, | sondern Alles gethan, um das internationale u[nd] das Kulturmoment noch mehr[e] in Vordergrund zu bringen. Vielleicht kommt noch der Name Gierkes[4] auf den Titel, damit alle[f] wichtigen Kulturwissenschaften vertreten sind. Doch auch jetzt ist durch die Namen von Meinecke, Tröltsch, Weber u[nd] Wölfflin wohl schon genügend dargethan, daß hier keine philosophische Zeitschrift wie die andern vorliegt. Über die italienische und französische Ausgabe läßt sich Bestimmtes natürlich noch nicht sagen. Interesse dafür aber ist vorhanden. So bekamen wir erst kürzlich deswegen eine Anfrage von Ravà[5], u[nd] jedenfalls werden wir Alles thun, um weitere Ausgaben zu Stande zu bringen. Simmel, der uns die Mitwirkung von Bergson[6] verschafft hat, kann uns da sehr nützlich sein. Doch, ich will das nicht weiter ausführen, denn ich denke, das ist nicht nöthig, um Ihre Bedenken zu zerstreuen. Sie schrieben mir[7] im November vorigen Jahres: „Es entscheidet für mich einzig der Umstand, daß Sie die Seele der Sache sein wollen: dann bin ich natürlich dabei“. Diese Worte haben mich herzlich gefreut u[nd] zugleich mein Verantwortungsgefühl | noch gesteigert. Ich weiß mich mit Ihnen völlig einig, und ich werde mir Ihr Vertrauen auch bewahren. Jedenfalls können Sie versichert sein, Niemand wird mehr als ich darüber wachen, daß der Logos an seinen Tendenzen festhält. Einer Aufsicht darüber von Seiten Dr. Ruges bedarf es wirklich nicht. Sollte es nicht gelingen, das zu verwirklichen, was wir im Auge haben, so werde ich der erste sein, der zurücktritt, u[nd] ich werde Sie rechtzeitig benachrichtigen, wenn mir irgend etwas nicht in Ordnung scheint.
Vom Logos komme ich zu Dr. Ruge. Was ihn in eine mir unverständliche u[nd] jedenfalls unmotivierte Aufregung versetzt hat, ist Folgendes. Schon im Sommer vorigen Jahres wurde in Anwesenheit von Dr. R[uge] verabredet, daß die deutsche Redaktion[g] aus Kroner, Mehlis und Ruge bestehen, | dagegen Mehlis allein der eigentlich verantwortliche Herausgeber[h] sein sollte. Wir waren Alle darüber einig, daß nur ein[i] Mann die letzte Verantwortung tragen könne. Dementsprechend hat auch Mehlis allein den Contrakt mit Siebeck abgeschlossen. Ich habe es schon damals für vollkommen selbstverständlich gehalten, daß in Übereinstimmung hiermit als Herausgeber auf dem Titelblatt ebenfalls nur Mehlis genannt würde, und so haben auch Andere die Sache verstanden, z. B. Baensch, der kürzlich bei einem Gespräch zwischen mir u[nd] Mehlis über diesen Punkt anwesend war u[nd] sich aufs Höchste darüber verwunderte, daß wir jetzt noch diese längst entschiedene Frage diskutirten. Ja, Dr. Ruge selbst hat Mehlis gegenüber mit Nachdruck die Gründe dafür entwickelt, daß die Zeitschrift nur einen[j] verantwortlichen Herausgeber haben könne, wobei er damals freilich seinen Namen allein genannt wünschte. Das konnte ihm schon aus dem Grunde nicht bewilligt werden, | weil alle Mitglieder der Redaktion mit Ausnahme vielleicht von Ruge eine möglichst weitgehende Theilnahme an der Leitung des Logos von mir erhofften, und zu diesem Zwecke der Redakteur in Freiburg wohnen müßte. Ich war daher höchst verwundert, als ich erfuhr, Dr. Ruge verlange jetzt, nicht nur als Mitglied der Redaktion[k], sondern auch als Herausgeber[l] auf dem Titelblatt neben Mehlis genannt zu werden, u[nd] ich habe kein Hehl daraus gemacht, daß ich dies Verlangen auch dann ungerechtfertigt finde, falls, wie ich nicht bezweifle, Ruge die Verabredung damals anders aufgefaßt hat.
Nichts anderes als diese Meinungsverschiedenheit lag vor wenigen Tagen vor, u[nd] Sie werden daraus ersehen, wie auch aus der Rückseite des Titelblatts ersehen, daß Dr. Ruges Behauptung, er solle „aus der Redaktion[m] des Logos herausgedrängt werden“, ebenso jeder thatsächlichen Unterlage entbehrt, wie sein Glauben an eine beabsichtigte Veränderung in den Tendenzen des Logos. Mit genau demselben Rechte könnte Kroner behaupten, daß man ihn herausdrängen wolle. Er hat jedoch in voller Übereinstimmung mit mir der Frage, ob er auf beiden Seiten des Titelblattes oder nur auf der Rückseite des Titelblattes | steht, keine wesentliche Bedeutung beigelegt, u[nd] ich denke, H[err] Dr. R[uge] hätte bei ruhiger Überlegung wohl zu demselben Ergebnis kommen können.
Was Dr. R[uge] sonst noch an Beschwerden vorgebracht hat, ist wirklich nicht der Rede werth. Es betrifft z[um] Th[eil] unwesentliche Kleinigkeiten, in denen er anderer Meinung war als M[ehlis] u[nd] Kr[oner], u[nd] in denen er sich der Majorität fügen mußte, wie das in solchen Fällen nun einmal nicht anders möglich ist. Ich kenne diese Kleinigkeiten nicht Alle u[nd] will nur eine Stichprobe geben. Unter denen, die zur Mitarbeit aufgefordert wurden, befand sich auch Bruno Bauch[8]. Hiergegen erhob Ruge Einspruch aus mir unbekannten Gründen. Sie werden mit mir einverstanden sein, daß es besonders wichtig war, gerade Bauch unter den Mitarbeitern zu haben, um jeden Schein zu vermeiden, als machten wir den „Kantstudien“ eine dieser unerwünschte Conkurrenz[9]. Der Einspruch von Ruge konnte daher nicht berücksichtigt werden. Bauch hat in der liebenswürdigsten Weise zugesagt. Hiermit wäre nun die ganze an sich lächerlich unbedeutende Angelegenheit | erledigt, wenn Dr. Ruge nicht leider vor einigen Tagen sich zu Schritten hätte hinreißen lassen, die sich nicht ungeschehen machen lassen und deren Consequenzen er tragen muß. Er hat an M[ehlis] einen schwer beleidigenden Brief geschrieben, der M[ehlis]’ Handlungsweise die niedrigsten Motive unterschiebt. Ich rechne es Dr. M[ehlis] sehr hoch an, daß er R[uge] auf diese Briefe hin nicht auf Pistolen gefordert, sondern sich darauf beschränkt hat, jeden Verkehr mit Ruge abzubrechen. Ferner hat R[uge] an Kr[oner] Briefe geschrieben, die z[um] Th[eil] absolut verworren sind, z[um] Th[eil] die abenteuerlichsten Drohungen enthalten u[nd] dabei M[ehlis] in maßloser Weise verdächtigen. Mit Einzelheiten bitte ich Sie verschonen zu dürfen. Es ist mir überhaupt im höchsten Maße unangenehm, R[uge] Ihnen gegenüber anklagen zu müssen. Aber wenn ich Sie orientiren soll, so kann ich Ihnen diese Thatsachen nicht vorenthalten. Mich haben diese Briefe R[uge]s, die ganz unglaublich sind, auf’s Tiefste empört, und ich muß leider hiernach jede gemeinsame | Arbeit mit Dr. R[uge] ein für Alle Mal ablehnen. M[ehlis] u[nd] Kr[oner] denken genauso wie ich. Sie waren gezwungen[n], mir die Briefe von R[uge] zu zeigen, um mir die ganze Situation überhaupt verständlich zu machen. Kr[oner] hat gestern[o] an R[uge] einen Brief[10] geschrieben, worin er ihm den Rath ertheilt, erstens M[ehlis] um Vergebung zu bitten u[nd] dann in Frieden aus der Logosredaktion auszuscheiden. Jeder, der es gut mit Ruge meint, muß ihn in derselben Richtung zu beeinflussen suchen. Ja, R[uge] selbst kann mit einem Manne, dem er jede Schlechtigkeit zutraut, garnicht mehr zusammenarbeiten wollen.
Sollte R[uge] trotzdem nicht freiwillig austreten, so bleibt leider nichts anderes übrig, als Siebeck u[nd] den russischen Mitgliedern der Redaktion[11] von den Briefen Kenntniß zu geben, und das kann nur den Erfolg haben, daß R[uge] einstimmig aus der Logosredaktion ausgeschlossen wird. Auch darüber darf ich Ihnen | leider keinen Zweifel lassen. Nur möchte ich noch einmal hervorheben, daß es mir ganz fern liegt, ein Gesammturtheil über die Persönlichkeit R[uge]s zu fällen. Der Umstand, daß Sie von R[uge] etwas halten, ist ja allein schon für mich ein sicherer Beweis, daß er gute Seiten haben muß, u[nd] ebenso ist es gerade M[ehlis] gewesen, der immer für[p] R[uge] eingetreten ist u[nd] seine guten Seiten hervorgehoben hat. Nur dies meine ich: zu gemeinsamer Arbeit ist ein Mann, der um einer Lappalie willen solche Briefe an seine Mitredakteure schreibt, ganz untauglich, und das wird aus den wenigen Thatsachen, auf die ich mich absichtlich beschränkt habe, wohl genügend deutlich hervorgehen.
Mir persönlich ist es außerordentlich schmerzlich, daß ich Ihnen so Unerfreuliches berichten muß. Ich wünschte Ihnen von Herzen eine frohe u[nd] vergnügte Ferienstimmung. Doch brauche ich ja daran nicht zu zweifeln, daß Sie den Ärger über schlechte Nachrichten nicht auf den Überbringer dieser Nachrichten übertragen werden. Dr. R[uge] muß eben die Folgen seiner Handlungsweise tragen, u[nd] Sie werden ihm hoffentlich eine nützliche Lehre sein. | Der Logos wird auch ohne ihn bestehen können. Wir werden uns nur um so eifriger an die Arbeit machen. Es hat uns sehr leid gethan, daß Ihr Aufsatz[12] nicht schon für das 1. Heft fertig geworden ist. Das zweite, in das er kommen soll, wird hoffentlich noch besser werden als das erste, für das auch ein russischer Artikel von Peter v. Struve[13] zu spät gekommen ist. Immerhin ist das Heft international genug geworden. Für heute möchte ich Ihnen nur noch kurz für Ihre Fechner-Biographie[14] danken, die ich mit großem Vergnügen gelesen habe.
In alter treuer Verehrung Ihr herzlich ergebener
[Heinrich Rickert]
Kommentar zum Textbefund
a↑trennen. ] danach gestr.: Ich halte es nicht für nothwendig, über die Sache ausführlicher zu schreiben.Kommentar der Herausgeber
3↑Titelblattes ] mit dem Wortlaut: LOGOS. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur. Unter Mitwirkung von Rudolf Eucken, Otto Gierke, Edmund Husserl, Friedrich Meinecke, Heinrich Rickert, Georg Simmel, Ernst Troeltsch, Max Weber, Wilhelm Windelband, Heinrich Wölfflin herausgegeben von Georg Mehlis.5↑Ravà ] Adolfo Ravà (1879–1957), Rechtsphilosoph an den Universitäten Messina und Padua (www.trecani.it/enciclopedia/adolfo_rava_(Dizionario-di-filosofia)/, 5.12.2018), veröffentlichte in Bd. 5 des Logos, 1914/15, S. 112–119 einen Aufsatz über Fichtes Briefe.6↑Mitwirkung von Bergson ] vgl. die Mitteilung in Logos 1 1910, Heft 2: Es besteht […] die Aussicht, in absehbarer Zeit weitere nationale Redaktionen zu begründen, zumal schon jetzt außer den namhaften deutschen und russischen Mitarbeitern führende Gelehrte anderer Länder ihre Mitwirkung zugesagt haben, so u. a. Henri Bergson und Emile Boutroux für Frankreich, Benedetto Croce und Bernadino Varsico für Italien, Hugo Münsterberg und Josiah Royce für Amerika. Bergson hat keinen Beitrag zum Logos beigesteuert. Von den genannten hat sich lediglich 1913 eine italienische Redaktion gegründet.11↑russischen Mitgliedern der Redaktion ] vgl. die Mitteilung in Logos 1 1910, Heft 2: Neben der deutschen Ausgabe erscheint vorläufig nur eine russische Ausgabe unter Mitwirkung von Frank, Grews, Kistiakowsky, Lappo-Danilewsky, Lapschin, Lossky, Selinsky, Peter von Struve, Wernadsky, herausgegeben von der russischen Logos-Redaktion: S. Hessen, E. Mettner, F. Steppuhn.12↑Ihr Aufsatz ] vgl. Windelband: Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus. In: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur 1 (1910), Heft 2, S. 186–196.13↑Artikel von Peter v. Struve ] vgl. Peter von Struve: Ueber einige grundlegende Motive im nationalökonomischen Denken. In: Logos 1 (1910/11), Heft 3, S. 342–360.14↑Fechner-Biographie ] vgl. Windelband: Fechner. In: Allgemeine Deutsche Biographie Bd. 55. Wandersleb-Zwirner. Nachträge bis 1899. Leipzig: Duncker & Humblot 1910, S. 756–763.▲