Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 7.9.1908, 4 S., hs. (lat. Schrift), Wasserzeichen R. DIEFFENBACHER | HEIDELBERG, gedruckter Briefkopf III. Internationaler Kongress | für Philosophie Heidelberg 1908 | Präsidium: Dr. Windelband, | Landfriedstrasse 14. | Heidelberg, den …, UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_60
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Windelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 7.9.1908, 4 S., hs. (lat. Schrift), Wasserzeichen R. DIEFFENBACHER | HEIDELBERG, gedruckter Briefkopf III. Internationaler Kongress | für Philosophie Heidelberg 1908 | Präsidium: Dr. Windelband, | Landfriedstrasse 14. | Heidelberg, den …, UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_60
7.9.08.
Lieber Freund und Kollege,
Nachdem sich der Schwarm verlaufen[1] hat, ist mein Erstes, Ihnen zu schreiben, um Ihnen auszusprechen, wie herzlich ich, wie lebhaft wir Sie vermisst haben. ich sah es ja leider als selbstverständlich voraus und finde es in der Rücksicht auf Ihre Gesundheit durchaus begründet, dass Sie nicht kommen konnten. Eben deshalb glaubte ich es nicht verantworten zu können, etwa vorher noch darum zu bitten. Nun aber will ich es Ihnen nicht verschweigen, dass Sie mir an allen Ecken und Enden gefehlt haben, weil eben doch der Gedanke auf Sie gerichtet war, sobald ernsthafte Probleme zur Sprache kamen. Und sie kamen zur Sprache. Der geistige Inhalt des Kongresses war verhältnismässig reich und hoch; der Verlauf nicht nur äusserlich glatt und wohlgelungen, sondern | auch innerlich so erfreulich, wie ich es kaum erwartet hatte. Namentlich mit den Franzosen verstanden wir uns recht gut, nicht blos wegen der sympathischen Persönlichkeiten, von Boutroux und Xavier Léon, sondern auch sachlich: und in dieser Hinsicht konnte meine Einführung zu Bergson[2], die ich Ihnen hierbei schicke, als Signatur des Moments gelten. Wenn Sie dessen Schriften noch nicht kennen sollten, so lege ich sie Ihnen sehr ans Herz: Sie sind einer der wenigen, die ihnen in jeder Hinsicht gewachsen sind; d. h. die Grenzen ihrer Ergebnisse zu würdigen wissen.
Auch mit den Amerikanern gingʼs auf | dem Kongresse sehr gut; Münsterberg trug wesentlich dazu bei, und Royce ist eine prächtige Figur, die kennen gelernt zu haben mir höchst wertvoll ist. Unter den Italienern hatte Croce, dessen Vortrag sachlich ersten Ranges war, leider aus sprachlichen Gründen nicht den verdienten Erfolg[3], mehr einen Succès dʼestime[4], – während die andern, Konventionalisten, Pragmatisten, Positivisten sehr zurücktraten. Aus dem selben Grunde haben die Engländer, Schiller[5] an der Spitze, schlecht abgeschnitten und sich nicht wohl gefühlt.
Alles in allem bin ich froh, dass wir mit einem blauen Auge davon gekommen sind und die Sache, die doch im Ganzen eine sehr erfreuliche Erinnerung ist, glücklich hinter | uns haben. Uebermorgen gehen meine Frau und ich zur Kur nach Baden im Aargau[6]: ob wir bei der Rückkehr im Anfang October über Freiburg kommen und dort Station machen, bleibt dahingestellt: ich wünschte es sehr, um meine Zusage des Besuchs[7] einzulösen, der leider im Sommer bei der schauderhaften Ueberlastung meiner Zeit absolut nicht zur Ausführung kommen konnte. Wie ich höre, bleiben Sie im eignen, schönen Heim[8]: ich wünsche Ihnen gute Gesundheit und uns guten Fortgang Ihrer Arbeit!
Mit getreuem Gruss von Haus zu Haus der Ihrige
Windelband
Kommentar der Herausgeber
1↑der Schwarm verlaufen ] der Schluß des III. Internationalen Kongresses für Philosophie war am 5.9.1908. Rickert hatte nicht teilgenommen.2↑Einführung zu Bergson ] vgl. Windelband: Zur Einführung. In: Henri Bergson: Materie und Gedächtnis. Essays zur Beziehung zwischen Körper und Geist. Autorisierte u. v. Verf. selbst durchgesehene Übertragung mit Einführung v. Windelband. Jena: Eugen Diederichs 1908, S. III–XIV. Selbstanzeige in: Die Philosophie der Gegenwart. Eine internationale bibliographische Jahresübersicht über alle auf dem Gebiete der Philosophie erschienenen Zeitschriften, Bücher, Aufsätze, Dissertationen usw. in sachlicher und alphabetischer Anordnung. Hg. v. Arnold Ruge. Ausgabe für 1908/09, S. 71: Die Stellung Bergsons in der heutigen Philosophie wird unter dem Gesichtspunkt charakterisiert, daß sie im prinzipiellen Gegensatze gegen die naturwissenschaftlich einseitige Weltanschauung des Materialismus und Positivismus von einer spekulativen Psychologie aus zu einer idealistischen und mystischen Metaphysik vorzudringen sucht. Vgl. Henri Bergson an Isaak Benrubi vom 20.8.1908: M. Windelband m’écrit qu’il a terminé la préface de „Matière et Mémorie“, et qu’il l’a envoyée à l’impression. Je serais heureux de la lire dès maintenant, de manière à pouvoir en parler avec quelque détail à M. Windelband dans la lettre où je l’en remercierai. Auriez vous l’obligeance de demander à M. Diederichs de m’adresser une copie ou une épreuve? (Henri Bergson: Correspondances. Hg. v. André Robinet. Paris: Presses Universitaires de France 2002, S. 219) – und an denselben vom 6.9.1908 (dass., S. 222): Vous avez sûrement lu l’introduction de M. Windelband à „Matière et Mémoire“. Elle est admirablement faite. Je lui ai écrit à ce sujet, mais je ne suis pas arrivé à lui dire tout le bien que j’en pense. Il a dit beaucoup de chose en peu de mots. En particulier, il a tracé une admirable esquisse de la tâche qui incombe à la philosophie à l’heure actuelle. Es ist kein Schreiben Bergsons an Windelband überliefert.3↑Erfolg ] vgl. den Bericht von Georg Stuart Fullerton aus Heidelberg vom 7.9.1908 in: The Journal of Philosophy, Psychology and Scientific Methods 5 (1908), Nr. 21 vom 8.10.1908, S. 573–577, hier S. 574 über Croces Vortrag: It is to be regretted that the adress was in the Italian language, for it was full of suggestive thoughts, and it is to be feared that many of the members present did not catch its full significance.8↑eignen, schönen Heim ] errichtet nach eigenem Entwurf in der Thurnseestraße 66, Freiburg, vgl. Rickert an Windelband vom 8.3.1910 sowie an Paul Siebeck vom 16.12.1915: möchte ich Ihnen mittheilen, daß ich in voriger Woche einen Ruf nach Heidelberg erhalten und gestern Abend angenommen habe. Ich gehe nicht gern von Freiburg fort, und unter den gegenwärtigen Verhältnissen bedeutet die Übersiedlung ein materielles Opfer. Mein Haus ist, so lange der Krieg dauert, nicht zu verwerten. Aber es ist eine Ehrenpflicht für mich, als Windelbands Nachfolger zu wirken, und da darf und will ich nicht Nein sagen (zitiert nach: UB Leipzig, Nachlass Köhnke, NL 330/3/1/4, Klaus Christian Köhnke/Rüdiger Kramme: Abschlußbericht Logos, Teil 2 (Archiv-Katalog) 1916–33; Stichtag 16.11.1993, S. 445).▲