Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Franz Böhm, Heidelberg, 11.6.1908, 1 S., hs. (lat. Schrift), Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 52 Nr. 673
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- Physical LocationGenerallandesarchiv Karlsruhe
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Windelband an Franz Böhm, Heidelberg, 11.6.1908[1], 1 S., hs. (lat. Schrift), Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 52 Nr. 673
Heidelberg, 11.6.08[a]
Hochgeehrter Herr Geheimrat,
Im Anschluss an unsre gestrige Unterredung beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, dass die schon seit einiger Zeit erwartete „Sociologie“ von Simmel[2] soeben bei Dunker und Humblot erschienen ist. Die Post bringt mir eben mein Exemplar, es ist ein Wälzer von 775 Seiten: soweit ich im ersten Moment durchblätternd beurteilen kann, wieder ein stark persönliches und dabei ein ausgesprochen sachliches Buch, nach Inhaltsverzeichnis und namentlich nach dem „Materienverzeichnis“ am Schluss ein ausserordentlich reiches Buch, das zweifellos in den Mittelpunkt der sociologischen Forschung treten wird, – jedenfalls ein neuer, schwer wiegender Rechtstitel für die Erfüllung unsres Wunsches, diesen Mann für Heidelberg zu gewinnen[3].
Indem ich mir erlaube Sie darauf unverzüglich aufmerksam zu machen, verbleibe ich mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung Ew. Hochwohlgeboren ergebenster
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Windelband an Franz Böhm, Heidelberg, 11.6.1908 ] Erstabdruck in: Kurt Gassen u. Michael Landmann (Hg.): Buch des Dankes an Georg Simmel. Briefe, Erinnerungen, Bibliographie. Berlin: Duncker & Humblot 1958, S. 28.2↑„Sociologie“ von Simmel ] vgl. Georg Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung.Leipzig: Duncker & Humblot 1908. S. 777–782: Materienverzeichnis.3↑diesen Mann für Heidelberg zu gewinnen ] der Versuch Max Webers, Eberhard Gotheins u. Georg Jellineks von 1907/08, Georg Simmel auf das durch Kuno Fischers Emeritierung u. baldigen Tod frei gewordene 2. philosophische Ordinariat neben Windelband zu bringen, schlug fehl. Weder das bezüglich Simmels Einleitung in die Moralwissenschaft mindestens unglücklich formulierte Urteil im Gutachten Windelbands vom 17.2.1908: zunächst mit äußerst scharfsinniger, aber wesentlich negativer und einreißender Kritik, noch viel weniger aber das offen antisemitische externe Gutachten des früheren Heidelberger, dann Berliner Historikers Dietrich Schäfer vom 26.2.1908 waren dazu geeignet, die Berufung Simmels für das Ministerium annehmbar zu machen. Daß Simmel angeblich nur Soziologe sei, war ein weiteres Vorurteil, das seine Berufungschancen herabsetzte. Das Gutachten Windelbands ist mit Kommentar abgedruckt in: Georg Simmel Gesamtausgabe Bd. 24, S. 277–283, die Stellungnahme Schäfers ebd., S. 286–289. Vgl. die sich auf den Vorgang beziehenden Schreiben Max Webers in Max Weber Gesamtausgabe Abt. II, Bd. 5, S. 297–299, 308–310, 467–471, 482–483, 492–492, 592–593, die auch Rickert jede Illusion nahmen, tatsächlich ein Wunschkandidat Windelbands zu sein. 1915 wurde Simmel noch neben Heinrich Rickert als Nachfolger Windelbands in Heidelberg ins Auge gefaßt (vgl. Georg Simmel Gesamtausgabe Bd. 24, S. 432–454), jedoch wiederum nicht berufen. Rickert wurde Nachfolger Windelbands. – Simmel hatte sich seit 1896 Hoffnungen auf den 2. Heidelberger Lehrstuhl gemacht, vgl. Simmel an Georg Jellinek vom 24.5.1896, 11.5.1904, 16.6.1907, sowie die Schreiben an Jellinek von Februar–Oktober 1908, dazu die Schreiben an Max Weber vom 18.3., 30.4. und 17.7.[6.]1908 (sämtliche in: Georg Simmel Gesamtausgabe Bd. 22). Noch im Gutachten Gustav Schmollers für Simmel zur Berufung nach Straßburg vom 4.11.1913 spielen die Worte Windelbands eine Rolle (Georg Simmel Gesamtausgabe Bd. 24, S. 381–383). Im Hintergrund dieser Enttäuschungen steht noch diejenige von Georg Lukàcs aus Budapest, dem von Max Weber, Simmel selbst und anderen direkt geraten wurde, Windelband nicht mit Habilitationsabsichten zu behelligen (vgl. Georg Lukács Briefwechsel 1902–1917. Hg. v. É. Karádi u. É. Fekete. Stuttgart: Metzler 1982, nach Register; sowie die Schreiben Simmels vom 25.5.1912 u. Webers an Lukàcs vom 22.7.1912 S. 288 u. 290–291).▲