Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Harry Bresslau, Heidelberg, 26.10.1906, 4 S., hs. (lat. Schrift), Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, Nachlass Bresslau
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- Physical LocationStaatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
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Windelband an Harry Bresslau, Heidelberg, 26.10.1906, 4 S., hs. (lat. Schrift), Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, Nachlass Bresslau
Heidelberg, 26.10.06
Hochgeehrter Herr College,
Die Freude und namentlich ihre beste Art, die Schadenfreude, ist doch ein ethisches Princip[1]! sie löst bei mir den lange bestehenden Trieb, Ihnen zu schreiben, endlich zur Erfüllung aus. Es war mir lebhaftes Bedürfnis, direct von Ihnen etwas zu hören. Wir haben ja beide leider ähnliche Herbstgeschicke gehabt. Mich überfiel – sogleich nach jenen Ende Juli-Tagen, in denen ich Sie in Str[aßburg] traf – das Residio meiner Phlebitis[2] gerade noch rechtzeitig, um mich vom Engadin fernzuhalten, und ich habe dann in dem Waldfrieden von Villingens famosen Hôtel den Ersatz des „Idylls der alten Leute“ gefunden: Sie hat die Moira[3] tückischer von jenen idealen Höhen herabgetrieben. Es hat mir und meiner Frau sehr leid getan, als | wir – erst spät – von diesem Ihrem Missgeschick erfuhren; aber nach dem, was wir jetzt hören, dürfen wir ja glücklicherweise hoffen, dass die Attacke[4] in der Hauptsache ebenso erledigt ist, wie bei mir. Wünschen wir uns gegenseitig einen guten erholsamen Winter! Wir haben ja beide auch wieder etwas Baden-Baden[5] vorgelegt, – leider zu verschiedenen Zeiten! Goette wird Ihnen meine Grüsse gebracht haben.
Mit dem jähen Semesterschluss, wo ich vierzehn Tage zu Bett liegen und alles Nötigste schriftlich, d. h. dictando[6] erledigen musste, ist auch Manches in Vergessenheit geraten; und so bitte ich um Entschuldigung dafür, dass ich erst jetzt beim Aufräumen der Kammerakten daran erinnert worden bin, dass ich Ihnen unsern Kultur-Etat zu schicken versprochen hatte. | Für den Fall und in der Hoffnung, dass es nicht zu spät für Ihren Zweck[7] ist, lasse ich ihn hierbei unter Kreuzband[8] Ihnen zugehen und lege meine Schloss-Rede bei[9].
Aber nun zurück zu Anfang und zu meiner Freude über den Gundlach’schen Artikel in der Frankfurter[10]. Das ist ein heller Streitruf, ein offnes wahres Wort. Wer Ohren hat zu hören, der höre! An den Sachen selbst wird ja freilich – bei unsern Zuständen! – auch dadurch nichts geändert werden; aber doch vielleicht bei Manchem an dem Urteil über die Sachen! Wenn doch den Leuten die Augen aufgehen wollten! Vielleicht würde dann auch A.’s präsumtiver Nachfolger[11] sich doch zu etwas vorsichtigerer Universitäts- und Wissenschaftspolitik bestimmt sehen – er ist ja an dem richtigen Orte, um von diplo|matischer Schläue zu erlernen, was ihm etwa noch fehlen sollte – – Es ist besser, man schreibt über solche Dinge nicht weiter; man rollt sich all die Trauer auf, womit uns der Lauf der deutschen Dinge von Jahr zu Jahr mehr erfüllen muss. ich sitze ja selber hier noch in einem verhältnismässig stillen und glücklichen Winkel: aber was wir um uns sehen, das verlangt wahrlich viel Mut und viel Kraft um nicht zu verzweifeln. Da hat man denn in der Tat seine Freude, wenn so ein scharfer Scheinwerfer seine Schuldigkeit in diesem Nebel tut: und jene „Schadenfreude“ ist wirklich die berechtigte, die Freude an der Enthüllung der Schäden, die uns alle bedrücken.
Mit herzlichem Gruss von Haus zu Haus der Ihrige
Windelband
Kommentar der Herausgeber
1↑ethisches Princip ] Anspielung nicht aufgelöst, womöglich scherzhaft in Erinnerung an Kants kategorischen Imperativ.9↑Schloss-Rede bei ] liegt nicht bei, vgl. Windelband: [Debattenbeitrag in der Diskussion über die Herstellungsarbeiten am Heidelberger Schloß]. In: Verhandlungen der Ersten Kammer der Stände-Versammlung des Großherzogtums Baden in den Jahren 1905/1906. Protokollheft. Enthaltend die Protokolle der Ersten Kammer. Karlsruhe: Buchdruckerei Fidelitas 1906. 32./33. öffentliche Sitzung v. 19.7.1906, S. 784–788 u. S. 810.10↑Gundlach’schen Artikel in der Frankfurter ] vgl. Wilhelm Gundlach: Das preussische Kultusministerium Althoff und die Monumenta Germaniae historica. In: Frankfurter Zeitung, Nr. 295 v. 25.10.1906, S. 1–3. Der Verfasser Wilhelm Gundlach polemisierte seit seiner Entlassung 1892 öffentlich gegen die Leitung der Monumenta, namentlich gegen Michael Tangl, vgl. Andrea Rzihacek u. Christoph Egger: Michael Tangl (1861–1921). Ein Österreicher in Berlin. In: Karel Hruza (Hg.): Österreichische Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900–1945 Bd. 2. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2012, S. 23–84, hier: 60–64. Vgl. die Notiz des Hg. Gerhard Seeliger in: Historische Vierteljahrschrift 10 (1907), S. 125: Im Morgenblatt der Frankfurter Zeitung vom 21. Oktober 1906 hat der Privatgelehrte Prof. Dr. Wilhelm Gundlach einen rein persönlichen Angriff auf Prof. M. Tangl in Berlin veröffentlicht. Der Artikel ward von der Tagespresse mit Angriffen in Verbindung gebracht, die Gundlach schon früher und wiederholt gegen die Centraldirektion der Monumenta Germaniae historica, deren Mitglied Tangl ist, gerichtet hatte. Deshalb sei hier seiner gedacht. – Gundlach weiß zu erzählen, daß nach Wattenbachs Tode Prof. H. Bresslau in Straßburg „mit seiner Bewerbung“ um das freigewordene Ordinariat für historische Hilfswissenschaften an der Berliner Universität zurückgewiesen worden sei, daß aber der allmächtige Ministerialdirektor Althoff den Lehrstuhl an einen „Schützling des Ultramontanismus“, an den „ungenügend qualifizierten Tangl“ ausgeliefert habe. Und diese Beförderung habe nur deshalb „nicht denselben Sturm der Entrüstung unter den deutschen Universitätslehrern erregt“, wie 1901 die Ernennung Spahns, weil Tangl „viel bedächtiger und langsamer vorgeschoben wurde“. – Es ist im höchsten Maße zu bedauern, daß ein Mann der Wissenschaft, der seine Lebensaufgabe im Suchen nach Wahrheit sieht, mit solchen Behauptungen auftritt, die in allen Punkten auf das schroffste den Tatsachen widersprechen. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß eine „Bewerbung“ Bresslaus nicht stattgefunden hat, ja überhaupt gar nicht stattfinden konnte. In Wahrheit wurde Tangl wegen seiner wissenschaftlichen Tüchtigkeit 1895 aus Wien nach Marburg berufen, er wurde sodann auf Vorschlag der Fakultät als ao. Professor nach Berlin versetzt und schließlich nach Wattenbachs Tode, wiederum auf Grund eines Fakultätsvorschlages, zum Ordinarius ernannt. Er ist einer jener Katholiken, die in ihrer gesamten Geistesrichtung unseren deutschen Universitäten weit inniger angehören als manche norddeutschen Protestanten. — Will Gundlach Einwände gegen die Leitung des großen geschichtswissenschaftlichen Unternehmens der Monumenta erheben, so tue er es in sachlicher und angemessener Art, aber er erneuere nicht immer wieder Angriffe, die weit über das Ziel hinausschießen und berechtigte Wünsche, so den nach Einführung der deutschen Sprache in den Einleitungen der Ausgaben, von vorne herein um jeden Erfolg bringen. Vgl. im selben Jg. S. 589 die Meldung: Am 26. Okt. [1907] starb im Alter von 48 Jahren Professor Dr. Wilhelm Gundlach in Charlottenburg.11↑A.’s präsumtiver Nachfolger ] Friedrich Theodor Althoff (1839–1908), 1882–1907 Universitätsreferent im Preußischen Kultusministerim (NDB). Sein – nicht lediglich vermutlicher (präsumtiver) – Nachfolger wurde zum 1.10.1907 Ludwig Elster (1856–1935), 1887 o. Prof. für Nationalökonomie in Breslau, 1897–1916 im Universitätsreferat des Preußischen Kultusministeriums (NDB).▲