Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Paul Siebeck, Heidelberg, 27.3.1904, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke, Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
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- Physical LocationStaatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
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Windelband an Paul Siebeck, Heidelberg, 27.3.1904, Text nach einer Transkription von Klaus Christian Köhnke[1], Umfang und Besonderheiten nicht bekannt, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488
Heidelberg, 27.3.04
Sehr verehrter Herr Doctor,
Herr G. Stumpf[2] ist mir persönlich völlig unbekannt; mit der Universität hat er nichts zu tun, auch das Adressbuch sagt nichts von ihm: seine Wohnung scheint er öfter zu wechseln. Er schrieb vor einigen Monaten an mich und fragte, ob er mir sein bahnbrechendes Werk vorlegen dürfe: ich antwortete, wie man das wohl tut, es würde mich interessieren, er möchte es bringen. Dann schickte er’s mir: ein Büchlein, kleinsten Formats, ca. 150 Seiten, im Selbstverlag, er nennt sich auf dem Titel mit Namen als „Verfasser von: der Traum und seine Deutung. Oswald Mutze, Leipzig.“ Das kenne ich nicht. Dies Büchlein ist wissenschaftlich völlig nichtig: eine dilettantische Speculation, die mit ein paar dürftigen, an Hegel anklingenden Begriffsbrocken und mit wunderlichen Zahlen-Constructionen Geographie und Geschichte in ein säuberliches System bringt. Wir erfahren, dass jedes der grossen W. Z. (= Weltzeitalter) 46175 Jahre dauert, dass das erste 500 n. Chr. abgelaufen ist, dass es bis zur Mitte des zweiten noch zu ungeahnten Herrlichkeiten aufwärts gehen, von da an aber die Menschheit rettungslos verfallen wird. Als Stilprobe greife ich beliebig heraus S. 9:
„Afrika südlich des Gleichers drückt den vertiefend, wiederkehrenden (fortsetzenden) Gedanken aus. Die Nordhälfte ist in der Südhälfte wiederholend-vertiefend dargestellt – die nördliche Erdhälfte in ihrem unendlichen Neuaussichhervorgehen“.[3]
Dass solcher Unsinn durch Umarbeitung brauchbar werden könnte, ist wenig wahrscheinlich. Aber ich habe eine solche Umarbeitung nicht zu sehen bekommen, würde sie auch a limine[4] abweisen, und wie der Herr sagen kann, ich sei gegenwärtig mit der Lectüre eines Manuscripts beschäftigt, ist mir völlig unerfindlich. – Sollte hier ein ganz normaler Fall vorliegen?
Tübingen ist ja nun wirklich von dem Geschick ereilt[5]; das ist sehr traurig und schmerzt mich tief. Es trifft mich ins Gewissen, und das Einzige was mich tröstet ist, was mir neulich ein Freund entgegenhielt, als ich davon und von Strassburg sprach: „Aber, Lieber, Sie können doch nicht überall Professor sein!“.
Meine Kantrede, die ich hiermit zugleich an Sie abgehen lasse, bitte ich freundlichst aufzunehmen. In den letzten Tagen bekomme ich wieder Mut, die „Willensfreiheit“[6] abzuschliessen. Was dächten Sie über das Erscheinen[7], – vorausgesetzt, dass Sie das Manuscript in vierzehn Tagen hätten; es werden 10–12 Präludienbogen sein?
Mit ergebenstem Gruss hochachtungsvoll der Ihrige
Windelband
Kommentar der Herausgeber
1↑Transkription von Klaus Christian Köhnke ] Kollation derzeit nicht möglich. Der Transkription liegt die Datei Manuskript: Windelband Briefe | herauszugeben von K. C. Köhnke | Ausdruck vom 1.3.2012 zugrunde, die den Herausgebern zur Verfügung steht. Ein Ausdruck dieser Datei befindet sich in öffentlichem Besitz (Universität Leipzig, Nachlass Klaus Christian Köhnke NL 330/3/1/2). Die Signatur des Originals ist mit Stichtag 14.5.2018 noch nicht bekannt. Laut telefonischer Auskunft von Roland Klein, Referat für Nachlässe und Autographen der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz vom 21.11. und 2.12.2016 ist die Erfassung des Nachlasses 488 (Verlagsarchiv Mohr-Siebeck) noch nicht abgeschlossen.2↑G. Stumpf ] von Ernst Johannes Georg Stumpf sind erschienen (vgl. KVK): Der Traum und seine Deutung, nebst erklärten Traumbeispielen. Leipzig: Mutze 1899; Das Alter der Menschheit. Heidelberg, Anlage 54: Selbstverlag 1902; Der Name Heidelberg. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der „Stadt Heidelberg“. Heidelberg: B. Müller 1927; Heidelberg als Geschichtsbild. Heidelberg, Haspelgasse 4: Selbstverlag 1929; Heidelberg und die Heldensage. Heidelberg, Ziegelgasse 92: Selbstverlag 1929; Menschheitsgeschichte und Zeitenwandel in Vergangenheit und Zukunft. Heidelberg: Selbstverlag 1930; Die Zukunft-Ansagen für die Jahre 1931-1941. Heidelberg: Selbstverlag 1931; Die Zukunft-Ansagen für Europa 1932–1937. Heidelberg, Ziegelgasse 12: Selbstverlag (Druck: Hellmuth) 1932.3↑Büchlein … Neuaussichhervorgehen“. ] vgl. das nur vereinzelt in Bibliotheken nachgewiesene Buch: Das Alter der Menschheit. Von E. J. G. Stumpf, Verfasser von: Der Traum und seine Deutung, Oswald Mutze, Leipzig. Verlag des Verfassers. Adr.: Anlage 54, Heidelberg. Druck von Carl Rembold & Co., Heilbronn a. N. 1902. 144 S. 11,8x17,1 cm. Windelband bezieht sich auf S. 9 u. S. 129–144.5↑von dem Geschick ereilt ] Nachfolger Christoph Sigwarts, der sich 1903 emeritieren ließ, wurde Erich Adickes. Neben Sigwart lehrte außerdem seit 1902 dessen Schwiegersohn Heinrich Maier (BEdPh).6↑„Willensfreiheit“ ] vgl. Windelband: Über Willensfreiheit. Zwölf Vorlesungen. Tübingen/Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1904. Die Pläne für dieses Buch reichen bis 1902 zurück, vgl. Windelband an Siebeck vom 10.3.1902.7↑Erscheinen ] der Verlagsvertrag datiert vom 9.4.1904 (Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL 488 B 1, 2, M. 23). Das Buch erschien spätestens im Juni, vgl. Windelband an Franz Böhm vom 29.6.1904.▲