Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Straßburg, 3.12.1902, 3 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_42
- Creator
- Recipient
- Participants
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationUniversitätsbibliothek Heidelberg
- URN
- Social MediaShare
- Archive
- ▼
Windelband an Heinrich Rickert, Straßburg, 3.12.1902, 3 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_42
Strassburg iE. 3 Dec[ember] 02
Lieber Freund und College,
Die Würfel sind gefallen. Bäumker hat angenommen.[1] Es ist wahr, obwohl es in den Zeitungen[2] steht.
Daß nach diesem Vorschlag zunächst mit B[aeumker] verhandelt wurde, war selbstverständlich: sehr viel zweifelhafter war es mir, ob er wollen würde. Er scheint es ihnen auch nicht leicht gemacht zu haben, – was ich ihm nicht verdenke.
Für die Fakultät ist es so im Moment das Beste. Irgend einen „katholischen Philosophen“ bekam sie jetzt doch; darüber ist kein Zweifel. Nun hat sie wenigstens den Einzigen, der zugleich als wissenschaftlicher Mensch gelten darf. Denn das ist B[aeumker] zweifellos. Alle andern wären entweder Nullen gewesen oder Fanatiker oder beides – vielleicht sogar in der Kutte. | Keiner von ihnen wäre hier je vorgeschlagen worden: es hätte also wieder einer nach weiser Wahl von oben hergesetzt werden müssen. Und als Gegengewicht wäre bei Halbirung des Mittel auch der Andre, den etwa die Fakultät dann vorgeschlagen hätte, nicht allzu hoch zu greifen gewesen.
So ist die Bifurcation, die Wiederholung des Falles Spahn[3] vermieden. Und das ist gut auch für die Folge. B[aeumker] ist nicht qua Katholik vorgeschlagen, und er ist auch seitens der Regierung – wenigstens formell – nicht qua Katholik berufen. Er besteigt kein Katheder für „katholische Philosophie“. Er ist kein Praecedenz[a]. Wenn einmal bessere Zeiten kommen und die Einsicht zurückkehrt, so kann die Fakultät ihre | Vorschläge rein sachlich und wissenschaftlich machen: es ist formell nichts präjudicirt.
Die Aussichten auf solche besseren Zeiten scheinen ja heute freilich minimal, – geringer denn je. Indessen – gestrenge Herrn regieren nicht lange. Möglich ist es ja, daß der böse Wintersturm, der heut über unser öffentliches Leben braust, auch einmal gebrochen wird und dem Lenz des Vernünftigen weicht. Der kategorische Imperativ[4] des Deutschen heißt jetzt: nicht verzweifeln!
Sehen Sie, so tröste ich mich über unerfüllte Wünsche, über die Unmöglichkeiten der rauhen Wirklichkeit. Was diese hier noch besondre Haken und Unebenheiten hat, – darüber lieber einmal mündlich[5]! – vielleicht Weihnachten.
Inzwischen mit herzlichem Gruß von Haus zu Haus der Ihrige
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Zeitungen ] offizielle Meldung erst am 7.2.1903 in: Central- und Bezirks-Amtsblatts für Elsaß-Lothringen, Beiblatt S. 45: Seine Majestät der Kaiser haben allergnädigst geruht, dem ordentlichen Professor Dr. Wilhelm Windelbandzu Straßburg i. E. die Entlassung aus dem ihm übertragenen Amte als ordentlicher Professor in der philosophischen Fakultät der Kaiser-Wilhelms-Universität zum 1. April 1903 zu erteilen, sowie den ordentlichen Professor Dr. Clemens Baeumker an der Universität in Bonn zum ordentlichen Professor in der philosophischen Fakultät der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg zu ernennen.4↑kategorische Imperativ ] Anspielung auf Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; Kritik der praktischen Vernunft.▲