Titelaufnahme
- TitelWindelband an Heinrich Rickert, Straßburg, 2.8.1902, 4 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_38
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Windelband an Heinrich Rickert, Straßburg, 2.8.1902, 4 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_38
Strassburg iE 2/8 02
Lieber Freund und College,
Die Tübinger Angelegenheit[1] kann ja nun als abgetan angesehen werden; Maier[2] wird den Ruf ja zweifellos annehmen. Es ist sehr schade, und ich bedaure es lebhaft, daß der Ruf nicht an Sie gekommen ist; ich hätte es Ihnen von Herzen gewünscht. Weniger hätte ich Ihnen gewünscht, daß Sie ihn angenommen hätten, und ich glaube, wenn Sie Sich genau über Alles orientirt hätten, würden Sie ihn schließlich auch kaum angenommen haben[a] – Mehr als ich es neulich[3] thun konnte und durfte, wo die Möglichkeit der Berufung doch noch nicht ausgeschlossen | war, würden Ihnen dann die Dinge selbst gesagt haben, daß die Erfordernisse sehr stramme Vorlesungstätigkeit[4], wie daneben die Raum- und Verkehrsverhältnisse für Sie nicht minder bedenklich gewesen wären[b] als sie es in entscheidender Weise für mich waren. So ist Ihnen nun alle Qual der Wahl, unter der ich gelitten habe, erspart geblieben, leider allerdings nicht die Unruhe und[c] Ungewißheit ganzer Monate: aber geblieben ist Ihnen doch der moralische Ertrag, daß aller Welt bekannt ist, wie Sie für die bedeutende Stellung vorgeschlagen und auch auf der zweiten Liste mit aller Energie vorgeschlagen | gewesen sind – Im Uebrigen ist ja noch nicht aller Tage Abend.
Wie wunderlich Berufungssachen gehen, das erlebe ich wieder einmal am eignen Leibe. Sie werden als Sachkundiger durch die dummen Zeitungen[5] Sich nicht haben täuschen lassen, die verkündeten, ich hätte den Ruf nach Heidelberg bekommen und gar schon angenommen. So schnell reitet man nicht. Ob die Regierung mich berufen will und kann, wird sich vielleicht erst in vielen Monaten entscheiden. Ich sehe der Sache mit sehr großer Ruhe entgegen. Ich kenne genau den Wert den diese vornehmste unter den unabhängigen Professuren der Philosophie | hat, und weiß, daß, wenn sie mir angeboten werden sollte, ich zu erwägen haben werde, ob ich sie Im Interesse unsrer Sache ausschlagen darf; aber ich kenne auch persönlich ebenso aus intimsten Wissen alle Schwierigkeiten, welche die interimistische Doppelbesetzung[6], sofern sie überhaupt möglich ist, mit sich führen würde. Ich sehe also ganz genau die allgemeinen Directiven vor mir, die ich gegebenenfalls einzuhalten haben werde. Drum bin ich sehr ruhig. Dies also vertraulich unter uns!
Was machen Sie in den Ferien? Ich gehe in nächster Woche nach Chamonix, komme anfangs September und bin zum 10/11t in Freiburg zur Hochzeit Kries’ens[7].
Mit bestem Ferienwunsch und Gruß von Haus zu Haus der Ihrige
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Tübinger Angelegenheit ] vgl. über den abgelehnten Ruf u. a. Windelband an Ulrich und Elly Stutz vom 15.6.1902.2↑Maier ] Heinrich Maier (1867–1933), der Schwiegersohn und Nachfolger Christoph Sigwarts auf der Tübinger Philosophieprofessur (NDB).5↑dummen Zeitungen ] vgl. Rickert an Emil Lask vom 4.8.1902: Die Nachricht, daß Windelband einen Ruf nach Heidelberg erhalten und angenommen hat, ist selbstverständlich falsch. Richtig ist nur, was in der Frankfurt[er] Zeitung stand, daß Kuno [Fischer] und die Fakultät Windelband gern haben wollen (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs3820). Die Allgemeine Zeitung München schrieb in ihrer Beilage vom 16.9.1902: Windelband, über dessen Berufung nach Heidelberg vor einiger Zeit verfrühte und zum Teil irrige Mitteilungen durch die Presse gingen [vgl. dasselbe Blatt in der Beilage vom 30.7.1902, wo eine entsprechende Meldung der National-Zeitung abgedruckt wird], hat nunmehr diesen Ruf in glänzender Form erhalten und wird ihm zum 1. April 1903 Folge leisten – auf einem zweiten Lehrstuhl neben Kuno Fischer. Am 22.11.1902 (Nr. 322, S. 2) brachte die Allgemeine Zeitung die Diskussion um einen katholischen Nachfolger Windelbands in Straßburg mit kirchenpolitischen Zugeständnissen in Verbindung. Die Hochschul-Nachrichten (Paul von Salvisberg) melden die Annahme des Rufs nach Heidelberg zutreffend in Heft 145/Nr. 1 von Oktober 1902, S. 12 u. 14, ebenso die Heidelberger Zeitung, Nr. 274 vom 22.11.1902, Erstes Blatt, S. 2 (nach einer Meldung der Karlsruher Zeitung). Vgl. auch z. B. Neues Wiener Journal, Nr. 3196 vom 17.9.1902, S. 4: Aus Straßburg wird berichtet: Der Professor der Philosophie Wilhelm Windelband, dessen Berufung nach Heidelberg an die Seite Kuno Fischer’s schon wiederholt signalisiert war, hat diese Berufung nunmehr erhalten und wird ihr zu Ostern Folge leisten (ANNO).6↑Schwierigkeiten … Doppelbesetzung ] vgl. Adolf Hausrath an Wilhelm Wundt aus Heidelberg vom 11.8.1902: Wundt werde gelesen haben, daß Windelband neben Fischer berufen werden solle, Windelband wolle aber nur nach, nicht neben Fischer lehren, auch soll die Art der Anzeige, er sei als Gehülfe für Kuno in Aussicht genommen, ihn verdrossen haben (NA Wundt/III/1201-1300/1205a/37-40; https://histbest.ub.uni-leipzig.de/content/estate_wundt.xed).7↑Hochzeit Kries’ens ] der ältesten Tochter des Schwagers Johannes von Kries, vgl. Windelband an Karl Dilthey vom 6.9.1902.▲
