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- TitleWindelband an Kuno Fischer, Straßburg, 15.7.1902, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2618-51_8/0001
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Windelband an Kuno Fischer, Straßburg, 15.7.1902, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2618-51_8/0001
Strassburg iE 15. Juli 1902
Hochverehrter Herr Wirklicher Geheimrath, Ew. Excellenz
haben mir durch Ihre freundlichen Zeilen[1] nicht minder Ueberraschung als Ehre und Freude bereitet. Es war mir, wie Sie wissen, nach Ew. Excellenz gütigen Aeusserungen schon seit Jahren eine wertvollste Aussicht in Heidelberg an Ihrer Seite wirken zu dürfen. Dass Sie aber so bald schon eine Berufung für wünschenswert halten würden, hätte ich angesichts Ihrer bewunderungswürdigen Rüstigkeit in der akademischen wie in der litterarischen Vertretung der Philosophie nicht erwartet.
Indem ich nun Ew. Excellenz, wie früher mündlich, meinen aufrichtigen Dank für die ehrende Absicht ausspreche, die Sie mit mir vorhaben, erlaube ich mir auf Ihre Anfrage in Eile – zwischen zwei Vorlesungen – Folgendes zu erwidern: ich würde es auf | das lebhafteste bedauern, wenn meine Ablehnung des Tübinger Rufes[2] als die Absicht gedeutet würde, nun für immer mich an Strassburg gebunden zu erachten. Das ist weder äusserlich noch innerlich der Fall.
In pecuniärer Hinsicht bin ich freilich jetzt gut gestellt, indem ich eine Besoldung von 11 000 Mk. beziehe, wovon 10 500 pensionsfähiges Gehalt sind, und Strassburg hat den grossen Vorzug, dass man sich mit dem vollen Gehalt bei 65[a] Jahren „emeritiren“[3] lassen kann; ja, mir persönlich steht dies Recht sogar eventuell schon früher zu. An Collegieneinnahmen kann ich hier, wenn ich viel lese, nicht mehr als 3–4000 Mk. rechnen, und hinsichtlich der Wittwen- und Waisenpension stehen wir in Strassburg vielleicht schlechter, als an den meisten deutschen Universitäten.
Was dagegen mein inneres Verhältnis zu Strassburg anlangt, so konnte ich mir zwar ohne jede Ueberhebung sagen, dass | es für das Ansehen der Universität, der ich nun zwanzig Jahre lang angehöre und deren Rector ich zweimal war, ein harter Schlag gewesen wäre, wenn ich den Ruf nach Tübingen angenommen hätte, und ich habe daher, sobald die hiesige Regierung mit entschiednem Entgegenkommen mich annähernd ebenso stellte, wie es mir von dort angeboten war, es für meine Pflicht halten müssen, auf dem hiesigen Posten auszuharren. Allein einem Rufe nach Heidelberg gegenüber würde dies Moment fortfallen und ich mich in dieser Hinsicht frei fühlen dürfen. Und wenn ich ausserdem jetzt darauf Rücksicht zu nehmen hatte, dass mein Fortgang von hier Regierung und Fakultät in confessionelle Schwierigkeiten[4] wegen der Wiederbesetzung meiner Professur[5] gebracht haben würde, so scheint auch diese Lage sich in diesen wenigen Wochen wesentlich geändert zu haben. Es gilt jetzt als wahrscheinlich, | was damals noch sehr zweifelhaft erschien, dass wir nämlich die katholisch-theologische Facultät[6] bekommen und dass damit – gleichgültig ob ich hier bleibe oder nicht – dann auch der „katholische Philosoph“[7] seinen Einzug in unsre Facultät halten wird. In diesem Falle würde ich es (abgesehen von allem andern) immer vorziehen, meine Thätigkeit an eine Universität wie die Heidelberger verlegen zu dürfen, welche eine von allen confessionellen Gegensätzen unbeirrte Freiheit des geistigen Lebens geniesst.
In treuer Verehrung Ew. Excellenz dankbar ergebner
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Ihre freundlichen Zeilen ] vgl. über den Inhalt dieser Mitteilungen Kuno Fischer an die philosophische Fakultät der Universität Heidelberg vom 13./14.7.1902 (Abschnitt Dokumente in der vorliegenden Edition).4↑confessionelle Schwierigkeiten ] Windelband stellt die Annahme des Rufs nach Heidelberg in den Kontext des Falles Spahn, der seit 1901 die akademische Öffentlichkeit beschäftigt hatte. Windelband hatte sich mit seinen Fakultätskollegen öffentlich gegen die von der Regierung beschlossene Oktroyierung des katholischen Historikers Martin Spahn (1875–1945) nach Straßburg im September 1901 (als Nachfolger Conrad Varrentrapps, der nach Marburg ging) gestellt. Diese Berufung wurde zu einem Politikum, weil, so lauteten die Vorwürfe an die Regierung, angeblich aus politischem Kalkül dem Vatikan gegenüber hauptsächlich Spahns katholisches Bekenntnis (und womöglich der Rang seines Vaters Peter Spahn als führendem Zentrumspolitiker) den Ausschlag gegeben haben soll. Von September 1901 bis März 1902 wurde darüber eine heftige öffentliche Debatte geführt, zu deren Exponenten auf protestantisch-liberaler Seite v. a. Lujo Brentano und Theodor Mommsen zählten, vgl. die unter Mommsens Namen laufende Erklärung zur Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft: Universitätsunterricht und Konfession. In: Münchner Neueste Nachrichten vom 15. u. 24.11.1901; sowie: o. A.: Der sogenannte Fall Spahn. Erste Hälfte. Leipzig: Vlg. der Buchhandlung des Evangelischen Bundes v. Carl Braun 1902; dass. Zweite Hälfte. Leipzig 1901, S. 25–26 die von Windelband mitunterzeichnete Zustimmungsadresse der Universität Straßburg an Mommsen; ferner Christoph Weber: Der „Fall Spahn“ (1901). Ein Beitrag zur Wissenschafts- und Kulturdiskussion im ausgehenden 19. Jahrhundert. Rom: Herder 1980.7↑„katholische Philosoph“ ] vgl. den Abdruck einer Meldung aus Straßburg aus Münchner Neueste Nachrichten vom 29.11.1901: Eine Zustimmungserklärung an Professor Mommsen […] zirkuliert auch jetzt unter den hiesigen Universitätsprofessoren und findet zahlreiche Unterschriften. Uebrigens soll, nach der „Straßb. Ztg.“, die Ernennung eines katholischen Philosophieprofessores unmittelbar bevorstehen und dazu der Kleriker Professor [Eugen] Müller vom hiesigen Priesterseminar ausersehen sein (zitiert nach o. A.: Der sogenannte Fall Spahn. Zweite Hälfte. Leipzig: Vlg. der Buchhandlung des Evangelischen Bundes v. Carl Braun 1902, S. 25).▲