Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Kuno Fischer, Straßburg, 2.11.1901, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2618-51_7/0001
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Windelband an Kuno Fischer, Straßburg, 2.11.1901, 4 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2618-51_7/0001
Strassburg, 2.11.01
Ew. Excellenz
beehre ich mich, zum Abschluss Ihres „Hegel“[1] den herzlichsten und aufrichtigsten Glückwunsch auszusprechen und daran zugleich den Dank nicht nur für das Geschenk des grossen Jubiläumswerkes, sondern auch den allerpersönlichsten Dank für die hohe Freude zu knüpfen, mit der ich in dem abschließenden Bande die Erfüllung einer lang gehegten und öffentlich ausgesprochenen Sehnsucht begrüsse. Nun steht es fertig da, das Monumentum aere perennius[2] für die Geschichte der neueren Philosophie. Mit Stauen und Bewunderung haben wir den Fortgang dieser Ausgabe verfolgt: welch eine Riesenarbeit haben Sie seit dem Jubiläum[3] an diesem Werke voll|bracht, – eine Leistung wahrhaft jugendlicher Kraft und schöpferischer Energie! Wahrlich, wenn einmal ein Philologe versuchen sollte, die Reihenfolge dieser neun Bände nach ihrer Conception und ihrer Darstellung zu construiren, – er würde mit seiner Kunst scheitern; dieser Hegelband lässt nicht ahnen, dass 40 Jahre dahingegangen sind, seit ihr „Kant“[4] zum ersten Male erschien, – fast fünfzig Jahre, seitdem das Werk mit dem „Descartes“[5] begann. Welch ein halbes Jahrhundert voll von edelster Arbeit und segenreichstem Erfolge! Sie sind darum zu beneiden und wir sind es nicht minder, die den Ertrag geniessen dürfen. Ihr „Hegel“ erfüllt alle Hoffnungen, die ich in ihn gesetzt habe: wenn | unsre Zeit noch irgendwie für das Wahre zu packen ist, so wird sie aus diesem Buche sich selbst verstehen lernen und den philosophischen Grundzug der Entwicklung, den sie nur in beschränkter und verschobener Form kannte, in seinem wahren Wesen begreifen. In diesem Buche steckt nicht der Versuch, nein die Kraft „den Leser zum Verständnis zu zwingen“[6].
Für mich war dieses grosse wissenschaftliche Ereignis ausserdem noch ein Trost, eine wahre Erhebung aus dem Unmuth und dem Verdruss, den die traurigen Vorgänge an unserer Universität[7] während der letzten Zeit gebracht haben, aus den Sorgen um die Zukunft der deutschen Wissenschaft, die mich erfüllen, – eine Rettung aus dem Zeitlichen in das Bleibende und Echte. Gern hätte ich Ihnen | gleich geschrieben, nachdem ich am ersten Abende nach meiner Rückkehr aus Baden[8], am Montag[9], das Schlussheft vorgefunden und verschlungen hatte: aber die erste Semesterwoche stellte ihre gebieterischen Anforderungen. Genehmigen Ew. Excellenz deshalb auch jetzt den nochmaligen Ausdruck des Danks und der tiefen Verehrung, mit der ich – unter der Bitte, mich Ew. Excellenz hochverehrter Frau Gemahlin gehorsamst empfehlen zu dürfen getreulich verbleibe Ihr ergebenster
W Windelband
Kommentar der Herausgeber
6↑„den Leser zum Verständnis zu zwingen“ ] Zitat nach Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Teil 4.7↑Vorgänge an unserer Universität ] Anspielung auf den Fall Spahn, vgl. Windelband an Kuno Fischer vom 15.7.1902.▲