Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Ulrich Stutz und Elly Stutz, geb. Windelband, Straßburg, 16.6.1900, 4 S., hs. (dt. Schrift), UA Zürich, PA 018
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Windelband an Ulrich Stutz und Elly Stutz, geb. Windelband, Straßburg, 16.6.1900, 4 S., hs. (dt. Schrift), UA Zürich, PA 018
Strassburg iE. 16/6 00
Lieber Ulrich, liebe Elly,
Herzlichen Dank zunächst für die treffliche „Raubthiervergnügung“, die ich sehr gelungen finde und über die auch Arthur Goette[1] eben seine helle Freude gehabt hat. Ich[a] war schon von K. J. Neumann[2] auf diese „glänzendste litterarische Abschlachtung der letzten Jahre“[3] aufmerksam gemacht worden, und der wunderliche Sinn eines hiesigen Buchhändlers hatte ahnungsvoll dieses Monstrum von Ausstattungsbuch[4] unter den Ansichtssachen für das philosophische Seminar geliefert!! ich kann also die vorzügliche Wendung deines Schlußsatzes[5] ganz voll aus eigner Anschauung genießen; außerdem hatte ich etwas in den | stolzen Blättern geblättert, und die anfängliche Freude, einen Anti-Lamprechtianer[6] zu finden, ging schnell in die Betrübniß über, daß ein solches Gefasel das beste Wasser auf die Mühle dieses Gegners ist. Hoffen wir, daß die „Illustrierte“ ihren schönen Satz[7] nicht mehr auf die Fortsetzung zu verschwenden Gelegenheit findet. –
Morgen geht Purzel[8] nach Wasselnheim[9], vielleicht kommt mit ihm am nachmittag Meta nach Haus. Dabei haben wir nun die Möglichkeit ins Auge gefaßt, daß, wenn es Euch paßte, das Pärchen am nächsten Sonnabend zu Euch käme und Meta dann die Woche bei Euch bliebe. In der ersten Julihälfte wäre das nicht gut möglich, weil dann | Ernst Goette[10] hier sein wird. Paßt es Euch also besser, so wartet Meta mit ihrem Besuch bis etwa Mitte Juli, da mögt Ihr ganz nach Eurem Wunsch entscheiden.
Nach Baden[11] komme ich ganz bestimmt. Es ist am 1. Juli. Aber ich kann noch nicht ganz sicher sagen, ob meine ursprüngliche Absicht, schon am Sonnabend zuvor hinzureisen, in Ausführung kommt. Geht es nicht, so bitte ich Dich aber, l[ieber] Ulrich, herüberzukommen, hier zu schlafen, und mit mir zu fahren. Ein Vermittlungsvorschlag wäre vielleicht, daß wir am Sonnabend Nachm[ittag] um 4 Uhr bzw. ½ 4 Uhr fahren. Wir hätten dann den Nachmittag und könnten am Sonntag vor dem Frühschoppen baden.
An dem Sonnabend den 30 haben wir nämlich Dienstmädchenwechsel, und es ist vielleicht gut, wenn ich hier bin, wir haben heut eine Köchin gemiethet, die frisch und kräftig aussieht, eine Hanauerin Namens – Dora Friedrich; wir werden sie Frida nennen[12]. Augenblicklich ist, nachdem der Eifersuchtszorn verrauscht, bei uns wieder so tiefer Friede, daß es (nach Frau Grapp[13]) Mama nur ein Wort gekostet hätte, und Babette wäre geblieben, obwol sie schon einen neuen, verlockenden Dienst angenommen hat.
Anbei eine Karte (mit der Bitte, sie zu zerreißen)[b] von Onkel Martin[14], wonach es in W. sehr ernst zu stehen scheint. Es ist unsäglich traurig. – Die Euch vorenthaltenen Afrikabriefe schickt Mama, sobald sie von Frau Horn[15] zurückkommen.
Mit herzlichstem Gruß von Haus zu Haus Euer
P.[16]
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Arthur Goette ] 1874–1925, künftiger Ehemann (1902) von Meta Windelband, Lehrer in Berlin. Sohn von Windelbands Straßburger Kollegen, des Zoologen Alexander Wilhelm Goette (1840–1922; www.geni.com; NDB). Vgl. ADBR Strasbourg, 13 AL 2481, Wissenschaftliche Prüfungscommission: Prüfung von Arthur Goette am 13.12.1899 für Deutsch, Geschichte, Philosophische Propädeutik und evangelische Religion. Der Vorsitzende Windelband ließ sich (wegen Befangenheit?) vertreten.2↑K. J. Neumann ] Karl Johannes Neumann (1857–1917), Althistoriker, seit 1890 Prof. in Straßburg (DBE).3↑„glänzendste litterarische Abschlachtung der letzten Jahre“ ] im Kontext der Polemik gegen Karl Lamprecht von Georg von Below: Die neue historische Methode. In: Historische Zeitschrift 81 (1898), S. 193–273, auch separat: München/Leipzig: R. Oldenbourg 1898. Lamprecht konterte: Die historische Methode des Herrn von Below. Eine Kritik. Berlin: R. Gaertner/Hermann Heyfelder 1899. Außerdem erschien von Lamprecht: Die kulturhistorische Methode. Berlin: R. Gaertner 1900. Der um Lamprecht tobende Methodenstreit der Historiker hatte sich an dessen mehrbändiger Deutscher Geschichte entzündet. Windelbands Straßburger Kollege Paul Laband gratulierte Below mit den Worten: Ich habe mit großem Vergnügen die kritische Abschlachtung Lamprechts gelesen, er hat sie wohl verdient! Auch auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft würden Exekutionen von dieser Art von Nutzen sein; ich könnte Ihnen die literarischen Sträflinge nennen (vgl. Georg von Below. Ein Lebensbild für seine Freunde von Minnie von Below. Stuttgart: Kohlhammer 1930, S. 75).7↑„Illustrierte“ ihren schönen Satz ] nicht aufgelöst. Weder die Werke Lamprechts noch die von Belows erschienen im Leipziger Verlag u. Druckhaus Johann Jacob Webers, der die Illustrierte Zeitung produzierte, falls dies gemeint sein sollte. Beiträge der Genannten in der Illustrierten Zeitung sind nicht nachgewiesen.8↑Purzel ] nicht ermittelt. Lesung unsicher, womöglich Kosename einer der beiden Söhne (Sigfrid, Wolfgang) Windelbands.11↑Nach Baden ] Baden-Baden; zur Zusammenkunft der oberrheinischen Universitäten, vgl. Erwin Rohde an Windelband vom 18.5.1894.14↑Onkel Martin ] gemeint ist wahrscheinlich Martin Wichgraf (1850–1924/25), der Zwillingsbruder Martha Windelbands, Regierungsrat, 1890–1920 Mitglied der Königlichen Eisenbahndirektion Berlin, vgl. https://www.janecke.name/gaeste/wichgraf-in-potsdam (28.2.2018). Kontext der Anspielungen nicht näher ermittelt: W. = Windhuk, Namibia? – dann wäre der Kontext u. U. einer der Übergriffe der deutschen Kolonialbesatzung gegen die einheimische Bevölkerung? Otto Wallach berichtet in seinen Lebenserinnerungen, daß der Bruder Martins und Marthas, Fritz Wichgraf (1853–1939), Maler, bis zum Burenkrieg (Erster Burenkrieg 1880–1881 oder Zweiter Burenkrieg 1899–1902) in Südafrika gelebt habe (Otto Wallach 1847–1931 Chemiker und Nobelpreisträger. Lebenserinnerungen: Potsdam, Berlin, Bonn, Göttingen. Hg. v. G. Beer u. H. Remane. Berlin: Verlag für Wissenschafts- und Regionalgeschichte Engel 2000, S. 35). Für Fritz Wichgraf findet sich jedenfalls von 1895–99 kein Eintrag in den Berliner Adreßbüchern; von ihm ein häufig reproduziertes patriotisches Gemälde: Präsident Krüger empfängt im Ausführenden Rat eine Buren-Deputation (1899, vgl. Hugh Solomon Pictorial Africana Collection der Bibliothek der Stellenbosch University Südafrika, https://digital.lib.sun.ac.za/handle/10019.2/4381). Fritz Wichgraf war außerdem Amateur-Entomologe, von ihm erschien 1907–08 die Artikelserie: Entomologische Erinnerungen aus Südafrika. In: Entomologische Zeitschrift 21 (1907/08), S. 126–127, S. 132–133, S. 221–222 (Nr. 37 vom 11.1.1908), S. 225–226 (Nr. 38 vom 18.1.1908), S. 235–236 (Nr. 40 vom 1.2.1908), S. 242 u. 245–246 (Nr. 42 vom 15.2.1908), S. 251–252 (Volltext: https://www.zobodat.at), derzufolge Übersiedelung vor einer Reihe von Jahren aus gesundheitlichen Gründen von Berlin über Lissabon, Las Palmas, Kongo-Mündung nach Durban, Pretoria, Johannesburg. Mehrjähriger Aufenthalt in Transvaal, mehrere Reisen durch andere südafrikanische Gebiete (nicht näher angegeben): Ein Jahr nach unserer Rückkehr nach Johannesburg brach der Krieg mit England aus. Anfang Mai (1906/07?): An dem Tage brach zum erstenmal die Dysenterie [Ruhr] bei mir aus, die mich hart am Rande des Grabes vorbeiführte und nach einem halben Jahre als Rekonvaleszent die heimatlichen gesünderen Zonen wieder aufsuchen liess. 1907 wieder in Berlin.▲