Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Karl Dilthey, Straßburg, 24.2.1897, 4 S., hs. (dt. Schrift), Niedersächsische Staats- und UB Göttingen, Dilth. 141
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- Physical LocationNiedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
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Windelband an Karl Dilthey, Straßburg, 24.2.1897, 4 S., hs. (dt. Schrift), Niedersächsische Staats- und UB Göttingen, Dilth. 141
Strassburg iE 24/2 97
Liebster Freund,
Seit Weihnachten weiß ich wieder einmal Nichts von Dir – et vice versa – und es ist höchste Zeit, daß wir vor Semesterschluß wieder in Verbindung geraten; denn ich wünsche und hoffe dringend, daß uns die Ferien irgendwie und irgendwo zusammenführen möchten!
Der Winter war, obwohl es mir mit dem Gebein und dem sonstigen Körper ganz leidlich ergangen ist, doch im Ganzen trübe: immer Nebel und schlabbriges Getreibe[a]. Und an der Universität haben wir ja – ich hatte zum Glück direct damit nichts zu tun – gar viel Wunderliches erlebt[1], eine wahre Lawine von Thorheit und Mißgeschick! Aber das Wunderlichste ist doch | zum Schluß mir[b] geschehen: sie haben mich wieder zum Rector gewählt[2], zum Rector für das Jubiläumsjahr[3], das unter diesen Wetterzeichen sich eröffnet! Ich habe mich bis zum Letzten dagegen gewehrt, und ich habe es schließlich erst geduldet, als ich nicht anders tun durfte! So ist es weit mehr verantwortungsvoll als ehrenreich! und vor Allem grenzenlos mühsam und arbeitsvoll. Schon jetzt muß ich natürlich all die Festvorbereitungen in die Hand nehmen, – eine recht wissenschaftliche Lebensweise, nicht wahr? Aber es ist nun einmal so, daß man es aus des Geschickes Händen nehmen muß, wie man seine Bestimmung erfüllen soll, und dann immer noch denken soll: καλὴν λατρεία λατρεύω[4]! |
Daß wir es nicht vermocht haben, Kaibel zu fesseln, geht mir sehr nahe: es ist leider wohl typisch für Strassburg’s Geschick[5]! Nachher haben wir vergebens unsre Hand auf Rohde ausgestreckt. Es war nicht aussichtslos, ihn zu bekommen; und wenn von unserm Kurator die Sache feiner und entschlossener geführt worden wäre, so hätten wir es wohl erreicht. Nun hoffen wir mit Schwartz[6] auch gut zu fahren; die günstige Meinung, die ich aus seinem „Roman“[7] für ihn gefaßt hatte, ist mir bei seinem persönlichen Erscheinen hier nur bestätigt worden; freilich sind es die Eigenschaften impetuöser Schneidigkeit in utramque partim[c][8]!, die ich von ihm erwarte.
Und nun, Lieber, was machst Du in den Ferien? ich will etwa vom 10. | März bis Ende des Monats irgendwo diesseits oder jenseits der Alpen Ruhe, Sonne und Kraft suchen; nachher vom 1 April an bin ich hier angebunden und sehr in Anspruch genommen. Richte Dich, wenn Du gen Süden fährst – vielleicht mit Wallach[9]? – so ein, daß Du mich (oder uns!) irgendwie siehst! Hast Du bestimmte Pläne, so teile sie mit, vielleicht kann ich mich danach richten – wenn Du hin oder rückreisend bei uns vorsprechen kannst, – nichts willkommner! Ein Zimmerchen ist stets für Dich bereit. Denke daran, wenn Du planst, – und schreibe!
Mit den herzlichsten Grüßen der Meinigen Dein getreuer
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑viel Wunderliches erlebt ] vgl. Windelband an Heinrich Rickert vom 26.12.1896 und an Karl Dilthey vom 2.1.18974↑καλὴν λατρεία λατρεύω ] Lesung unsicher, mehrfach verschrieben u. mit fehlerhafter Orthographie. Sinn unklar, als Sentenz nicht ermittelt (gr. latreia: der Dienst, latreiou: dienen).6↑Schwartz ] Eduard Schwartz (1858–1940), Altphilologe u. Kirchenhistoriker, 1887 o. Prof. in Bonn, 1893 in Gießen, 1897 in Straßburg, 1902 in Göttingen, 1909 in Freiburg, 1914 wieder in Straßburg (1915/16 Rektor), 1919 in München (NDB).7↑seinem „Roman“ ] vgl. Eduard Schwartz: Fünf Vorträge über den griechischen Roman. Berlin: Reimer 1896.▲