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- TitleWindelband an Georg Jellinek, Straßburg, 8.12.1895, 4 S., hs. (dt. Schrift), Textverluste durch Aktenheftung, Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/32
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- Physical LocationBundesarchiv Koblenz
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Windelband an Georg Jellinek, Straßburg, 8.12.1895, 4 S., hs. (dt. Schrift), Textverluste durch Aktenheftung, Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/32
Strassburg iE 8.12.95
Lieber Freund,
Herzlichen Dank für Deine „Erklärung der Menschenrechte“[1]! Das kleine flotte Schriftchen, anziehend und anregend wie immer, hat mir große Freude gemacht: es hat ja auch mir einen Staar gestochen oder wenigstens das kleine Staarmätzchen, das wir aus der französischen Litteratur übernommen hatten. Rousseau galt da selbstverständlich als der Vater von 1793. Dein Gegenbeweis überzeugt mich vollkommen, positiv durch die bis zur wörtlichen Uebereinstimmung gehende Abhängigkeit, negativ, durch den Gegensatz, der zwischen dem Individualismus der Menschenrechte und der Staatsomnipotenz, bzw. dem Majoritätsdespotismus des Contrat social besteht. Aber freilich besteht dieser Gegensatz doch bis zu gewissem Grade | auch in Rousseau selbst, bei dem die Herrschaft der Masse durch das Innenleb[en] des naturalistischen Individuums balancirt wird; und dieser Gegensatz dürfte dem unklaren Demokratismus der abstracten Theorie notwendig anhaften. Denn bei seiner Leugnung des historischen Rechts muß er den Quell allen Rechtes in den Individuen suchen, um sie von diesen sofor[t] auf die Masse zu übertragen und damit dem Fluch der Majorität zu unterliegen. Besonders sympathisch aber ist mir Deine Anregung, den Ursprung der Bestrebungen, wonach die selbstherrliche Lebenssphäre des Individuums gegen den Staat sich abgrenzen will, in den religiösen Bedürfnissen, speciell des Protestantismus zu suchen. Au[ch] hierin ist e contrario Rousseau ebenso lehrreich wie Hobbes; aber gerade dadurch sieht ma[n,] | daß es sich nicht um logische Consequenzen von abstracten Principien (denn wer wäre atomistisch-individualistischer als Hobbes!), sondern um sehr reale Lebensinteressen handelt. Das war die Religion für Hobbes nicht, wohl aber für Cromwell und die Seinen.
Hoffentlich ist es Dir gut gegangen; ich habe lange nichts von Dir gehört. Mich hat einiges Pech verfolgt. Aus der Kniegelenkschädigung, die ich mir in den Vogesen geholt hatte und die mich am Besuch der Badener Versammlung[2] hinderte, entwickelte sich eine Venen-Entzündung, die wochenlang im Bett abgewartet werden mußte. Erst im Schwarzwald (Freudenstadt und[a] Wolfach) lernte ich ordentlich wieder gehen, und muß nun froh sein, daß ich von der thörichten Geschichte mit einem blauen Auge und einigen rheumatischen Resten davongekommen bin. Augenblicklich habe ich Sorge um meine Frau, | die eine tüchtige Grippe durchmacht, nachdem mein ältester Junge eben von der Gelbsucht sich zu erholen angefangen hat. Hoffentlich hört man einmal, daß es Euch gut geht!
Inzwischen mit herzlichstem Gruß von Haus zu Haus Dein getreuer
Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑„Erklärung der Menschenrechte“ ] vgl. Jellinek: Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Ein Beitrag zur modernen Verfassungsgeschichte. Leipzig: Duncker & Humblot 1895.▲