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- TitleWindelband an Harry Bresslau, Straßburg, 16.7.1895, 4 S., hs. (dt. Schrift), Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, Nachlass Bresslau
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- Physical LocationStaatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
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Windelband an Harry Bresslau, Straßburg, 16.7.1895, 4 S., hs. (dt. Schrift), Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, Nachlass Bresslau
Str[aßburg] 16.7.95
Verehrter Herr College,
Soweit ich mir erlauben darf, in der Frage[1] mitzureden, halte ich auch die Identification von Priora commentaria in perihermeneias II mit Cathegor. periherm. et top. cum Porphyris uno Vol[umen] für ausgeschlossen, da im letzteren garnicht[a] die ganzen damals üblichen logischen Schriften erwähnt sind, die Niemand a poteriori mit dem stets in zweiter Stelle stehenden perihermeneias allein bezeichnet haben würde. Aus dem selben Grunde ist sehr unwahrscheinlich die Identität mit (1) Glosse super Porphyr. und (2) Glosse super Porphyr.; dagegen durchaus möglich 3 und 4. Zwischen beiden erschien mir 4 als das wahrscheinlichere, indem editionis primae auf mora bezogen werden könnte, falls man, worüber | ich aber Nichts weiß, zwei Versionen des Commentars von Boetius[2] gehabt hat. Daß die Uebersetzung in dem ersten Titel Priora com. etc. nicht erwähnt ist, braucht kaum zu stören, erstens weil sie dem Raum nach sehr geringen Theil bildete, zweitens weil die Kerle mehr Commentare als Originale lasen, drittens weil der Titel einem zweiten: Posteriori com. etc., wenn ich mich recht erinnre, hat entsprechen sollen.
Herzlichen Dank für die Bücher, – auch N.[b] war schon so freundlich zu schicken.
Besten Glückwunsch zum Examenserfolge Ihres Sohnes[3]!
Mit collegialischem Gruß Ihr
Windelband |
P. S.
Bei Betrachtung der Titel, deren Identität ausgeschlossen erscheint, erwächst eine andre Frage.
Aus welcher Zeit stammen Ihre Verzeichnisse[4]? Nach Jourdain und Cousin[5] nämlich wird angenommen, daß die Topik des Aristoteles (wie die Analytik) im Abendlande nicht vor 1128 bekannt war. Nun erscheint in allen zwei Titeln die Topik. Merkwürdig ist, daß bei Porphyrius ein Commentar zwar zu de categ. und zu de interpret. (perihermeneias), aber nicht ein solcher über die Topik erwähnt wird. Ebenso giebt es bei Boetius keinen Commentar über die Topik des Aristoteles, wohl aber einen solchen über die Topik des Cicero! Zudem scheint der eine Titel Cathegoria etc. den Text der Topik anzudeuten; in dem andern Titel müßte dann nach super Porphyrium ein Komma gesetzt werden. Es hat nämlich einen Commentar „super Porphyrium“ gegeben, den | Cousin veröffentlicht hat, und den man dem Rhabanus Maurus oder einem seiner Schüler zuschreibt. Danach müssen in (1) und (2) in uno vol[umen] diese Schrift und andere logische Werke vereinigt gewesen sein. Deshalb wäre mir interessant, die Zeit der Verzeichnisse zu wissen.
W.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑in der Frage ] nicht ermittelt; vgl. zum Kontext Windelband: Geschichte der Philosophie, 1892, S. 213: In den Kloster- und Hofschulen, welche die Stätten dieser neu beginnenden Cultur bildeten, musste Schritt für Schritt neben den für die Ausbildung der Kleriker nöthigsten Künsten die Erlaubniss zur Lehre der Dialectik erobert werden. Für diesen elementar-logischen Unterricht besass man jedoch in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters nur die zwei wenigst bedeutenden Schriften des aristotelischen Organon, De categoriis und De interpretatione, in lateinischer Uebersetzung mit der Einleitung des Porphyrios und einer Anzahl von Commentaren der neuplatonischen Zeit, insbesondere denjenigen des Boethius.3↑Examenserfolge Ihres Sohnes ] vermutlich das Abitur von Ernst Ludwig Bresslau (1877–1935), der 1895 sein Studium der Medizin und Zoologie an der Universität Straßburg aufnahm (NDB).5↑Nach Jourdain und Cousin ] Victor Cousin und Charles Jourdain hatten hg.: Pertus Abaelardus opera hactenus seorsim edita, Paris 1849–59, enthaltend u. a. Kommentare zu Porphyrius, Aristoteles, Boethius.▲