Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Julius Bergmann, Strassburg, 2.3.1894, 3 S., hs. (dt. Schrift), mit Aktennotizen und Briefumschlag: Herrn | Geh. Rat Prof. Dr. Bergmann | Universität / Marburg, Poststempel: STRASSBURG | 2-3.94. 8–9 N. | * (ELSASS) 3b; MARBURG | 3-3.94. 10 11 V | * (BZ. Cassel) b, Stempel über Klebelasche: Prof. Windelband, UA Marburg im Hessischen Staatsarchiv Marburg, 307d Nr. 140, Anlage 5
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Windelband an Julius Bergmann, Strassburg, 2.3.1894, 3 S., hs. (dt. Schrift), mit Aktennotizen und Briefumschlag: Herrn | Geh. Rat Prof. Dr. Bergmann | Universität / Marburg, Poststempel: STRASSBURG | 2-3.94. 8–9 N. | * (ELSASS) 3b; MARBURG | 3-3.94. 10 11 V | * (BZ. Cassel) b, Stempel über Klebelasche: Prof. Windelband, UA Marburg[1] im Hessischen Staatsarchiv Marburg, 307d Nr. 140, Anlage 5
Strassburg i/E. 2.3.94
Sehr geehrter Herr College,
Herr Dr. Busse[2], der in Marburg in eigenthümliche Habilitationsschwierigkeiten zu kommen scheint, hat mich gebeten, über an ihn an Sie zu schreiben, indem er sich für berechtigt hält, in Aussicht zu stellen, daß Ihnen eine solche Zuschrift – zu der ich von mir aus keinerlei Anlaß haben würde – nicht unwillkommen sein werde. Diesem Wunsche kann ich nun freilich nur in sehr beschränktem Maße nachkommen: ich kenne Herrn[a] Busse nicht persönlich, und habe weiter keine Beziehungen zu ihm als daß ich vor mehr als Jahresfrist einmal eine An|frage von ihm[3] brieflich beantwortet habe. Litterarisch ist er mir durch Aufsätze[4] in der Zeitschrift f[ür] Ph[ilosophie] u[nd] ph[hilosophische] Kr[itik] gut bekannt: diese (Spinozana und Kantiana) haben mir einen durchaus tüchtigen und sachkundigen Eindruck gemacht. Nehme ich dazu den Umstand, daß er vor sonstigen Habilitanden eine mehrjährige Lehrpraxis voraushat und daß er durch Vertretung der Philosophie im Auslande[5], wenn er ihr irgend gewachsen war, doch schon einigermaßen ein Verdienst um die deutsche Wissenschaft aufzuweisen hat, so würde mir dies für seine Habilitation eine günstige Vormeinung erwecken. | Ob nun dieser seine Persönlichkeit und seine Habilitationsleistung entspricht, kann ich natürlich nicht wissen: darüber aber haben doch Sie das competenteste Urtheil, das zweifellos auch für die Fakultät zuerst und entscheidend in’s Gewicht fällt. Wenn also, wie er schreibt, Sie warm für ihn eintreten, so ist ja die Sache in den besten Händen: und dann wünsche ich nicht nur, sondern erhoffe auch sicher dafür den besten Erfolg.
Gern benütze ich die Gelegenheit, Sie, verehrter Herr College, der vorzüglichen Hochachtung zu versichern, mit der ich bin Ihr collegial ergebener
Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Busse ] Ludwig Busse (1862–1907; Studium an den Universitäten Leipzig, Innsbruck und Berlin, 1885 Promotion in Berlin, Professor in Tokio (1887–1892), 9.5.1894 Habilitation in Marburg, Professuren in Rostock (1896–1898), Königsberg (1898–1904), Münster (1904–1907) u. Halle (1907); seit 1902 Leiter der Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik; NDB, BEdPh), dessen Habilitation in der Philosophischen Fakultät der Universität Marburg nicht nur zwischen Hermann Cohen und Paul Natorp auf der einen sowie Julius Bergmann auf der anderen Seite umstritten war, sondern auch den Bruch in der Fakultät endgültig besiegelte. Cohen und Natorp wiesen die Habilitationsschrift Busses als ungenügend ab, während Bergmann sich lobend äußerte. Das Schreiben Windelbands trug, von Cohen und Natorp als unbefugte Einmischung empfunden, zur Verschärfung der Situation bei: Der Passus, daß Bergmanns Urteil (der zu dieser Zeit bereits emeritiert war) zuerst und entscheidend ins Gewicht falle, findet sich zitiert in der Dienstaufsichtsbeschwerde, die Cohen, Natorp u. Ludwig von Sybel am 26.4.1894 beim preußischen Kultusministerium einreichten (vgl. Helmut Holzhey: Cohen und Natorp Bd. 1. Basel/Stuttgart: Schwabe 1986, S. 16–18; dass. Bd. 2, S. 223–230 u. 500–504; Ulrich Sieg: Aufstieg und Niedergang des Marburger Neukantianismus. Die Geschichte einer philosophischen Schulgemeinschaft. Würzburg: Königshausen & Neumann 1994, S. 190–195). Der Ruf Windelbands war innerhalb der Marburger Schule damit nachhaltig beschädigt. Der Versuch Cohens, Ernst Cassirer als Habilitand bei Windelband in Straßburg unterzubringen, wurde trotz Windelbands vermeintlicher Stellung gegen die Marburger unternommen. Die Ablehnung Cassirers aus vorgeschoben erscheinenden konfessionellen Gründen – Windelband stand mitten in den Querelen um den Fall Spahn – ist der letzte nachgewiesene Kontakt zwischen Windelband und Cohen (vgl. Cohen an Cassirer vom 19.2.1902 in: Ernst Cassirer Nachlassausgabe Bd. 17, S. 170–174). Vgl. Holzhey Bd. 2, S. 329, Natorp an Albert Görland, 24.9.1904: Windelband schreibt zu Ehren Fischers eine Darstellung der Philos[ophie] d[er] Gegenwart – eine seltsame und sehr tadelnswerte Manie heutzutage, vide Riehl, Külpe – in dieser ist jeder kleine Mann erwähnt und freundlich gewürdigt – Marburg existiert überhaupt nicht. Freilich, wie darf es existieren – in einer Festschrift für Kuno! Denn entweder lebt Cohen, oder Kuno ist tot. Das ist des Pudels Kern; dass., S. 389, Natorp an Görland, 1.1.1911: Windelband ist immer ein hochmütiger Herr gewesen – woraufhin eigentlich? – dies aber bereits als späte Nachwehen der Ablehnung, die sich bereits im Urteil Cohens über Windelbands Habilitationsschrift ankündigt (gegenüber August Stadler vom 1.7.1873, vgl. Hermann Cohen: Briefe an August Stadler. Hg. v. Hartwig Wiedebach. Basel: Schwabe 2015, S. 25) Ein ähnliches Urteil über Windelband als egoistischen Streber, der Theobald Ziegler nur deswegen als Nachfolger von Ernst Laas neben sich dulde, weil Ziegler eine geeignete Marionette sei, fällte Wilhelm Dilthey (gegenüber Hermann Usener im Januar 1886: Wilhelm Dilthey Briefwechsel Bd. 2 1882–1895. Hg. v. G. Kühne-Bertram u. H.-U. Lessing. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, S. 121).4↑Aufsätze ] vgl. z. B. Ludwig Busse: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte Spinozas, 5 Teile. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 10 (1886) sowie in: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 90/91 (1887), 92 (1888), 96 (1889).▲