Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Wilhelm Wetz, Strassburg, 2.8.1891, 4 S., hs. (dt. Schrift), UB Freiburg, Wetz NL 41 221, Kasten 6 (Digitalisat: http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/NL41_221)
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek Freiburg i.B.
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Windelband an Wilhelm Wetz, Strassburg, 2.8.1891, 4 S., hs. (dt. Schrift), UB Freiburg, Wetz NL 41 221, Kasten 6 (Digitalisat: http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/NL41_221)
Strassburg, den 2. Aug[ust] 91
Sehr geehrter Herr College,
Wenn ich Ihnen für die Uebersendung Ihrer neusten Schrift[1] danke, so geschieht es nicht ohne tiefe und aufrichtige Betrübniß. Denn ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß ich diese Veröffentlichung als eine in jeder Hinsicht unglückliche Schrift lebhaft beklage.
War es Ihnen ein unwiderstehliches Bedürfniß, die Argumente zu wiederholen, mit denen Sie unter dem Namen der Litteraturgeschichte nur einen Theil desjenigen anerkennen was wir andern bisher Litteraturgeschichte nennen, so hätte sich dafür wohl in dem Fortgang Ihrer Publikation eine schickliche Stelle gefunden. Eine eigne Schrift eines Mitglieds derselben Facultät gegen ein anderes[a] – decorirt auf dem Titel mit dem Namen des letzteren – ist eines der pein|lichsten Ereignisse, das eine Facultät betreffen kann. Unwillkürlich muß ich daran denken, daß ich selbst einmal einen ähnlichen Angriff[2] aus dem Schooße derselben Facultät erfahren habe; aber ich dächte, gerade von diesem Beispiel hieße es – vestigia terrent[3] –. Und dabei steht die Sache in diesem Falle sehr viel peinlicher: einerseits weil der Angegriffene[b] in Ihrem Fall überhaupt nicht wohl in der Lage sein wird, in eine Polemik einzutreten, andrerseits weil das Angegriffene[c] ein officieller Act der Universität ist, der Sie angehören, und dabei einer der Redeacte, von denen jeder weiß, daß der Redner darin nicht in vollem Panzer seiner wissenschaftlichen Rüstung auftreten kann.
Es thut mir herzlich leid, daß Ihnen diese Ueberlegungen fern geblieben sind, von denen sicherlich jede einzelne genügt haben würde, | Sie von Ihrer Veröffentlichung zurückzuhalten, und ich bedaure lebhaft, daß Ihre Zusendung mir die Pflicht auferlegt, Ihnen diesen meinen Eindruck offen auszuprechen. Es wird mir um so schwerer dies zu thun, als ich überzeugt bin und, wo ich Gelegenheit habe, auch der Ueberzeugung Ausdruck gebe, daß Sie lediglich der von Ihnen vertretenen Sache zu dienen gemeint haben, und daß die persönlichen Angriffe, welche Ihre Schrift für den ferner Stehenden zu enthalten scheint, von Ihnen gewiß nicht in diesem Sinne gemeint sind. Zweifellos haben Sie nicht daran gedacht, daß eine litterarische Polemik zwischen Mitgliedern derselben Facultät nach außen hin nur als Zeichen für ein äußerst geschärftes persönliches Verhältniß gedeutet werden kann, und daß unter diesen Umständen die einzelnen | Observationen Ihrer Kritik eine Bedeutung gewinnen, von der ich annehme, daß Sie solche nicht gewollt haben.
Lassen Sie mich, verehrter Herr College, die Hoffnung hegen, daß Sie in diesen Bemerkungen nichts Anderes sehen möchten, als den Ausdruck des lebhaften Interesses, das ich, wie Sie wissen, stets für Sie selbst und für Ihre Arbeiten gehabt habe, und des Schmerzes darüber, daß Sie in dem Eifer für Ihre Ansicht so sehr die Verhältnisse aus den Augen verloren haben, unter denen Sie dieselben vertreten.
Wie viel lieber hätte ich statt dessen den zweiten Band Ihres Shakespere[4][d] gesehen!
Mit ergebenstem Gruße Ihr
Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑neusten Schrift ] vgl. Wilhelm Wetz (Privatdozent an der Universität Straßburg): Ueber Litteraturgeschichte. Eine Kritik von ten Brink’s Rede „Ueber die Aufgabe der Litteraturgeschichte“. Worms: Reiß 1891; gerichtet gegen Bernhard ten Brinks Straßburger Rektoratsrede vom 1.5.1890.2↑ähnlichen Angriff ] gemeint ist der literarische Schlagabtausch mit Ernst Laas, vgl. Laas: Ueber teleologischen Kriticismus [=Rezension von: Windelband: Präludien 1884]. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 8 (1884), 1. Heft, S. 1–17; Windelband: Ueber den teleologischen Kriticismus. Zur Abwehr. In: Philosophische Monatshefte 20 (1884), 2. u. 3. Heft, S. 161–169.3↑vestigia terrent ] die Spuren schrecken ab, geflügeltes Wort nach Horaz (vgl. Büchmann, 22. Aufl. Berlin 1905, S. 411).4↑Shakespere ] vgl. Wetz: Shakespeare vom Standpunkte der vergleichenden Litteraturgeschichte Bd. 1. Die Menschen in Shakespeares Dramen. Worms: Reiß 1890. Mehr nicht erschienen. Ein Exemplar in Windelbands Besitz.▲