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- TitleWindelband an Friedrich Theodor Althoff, Straßburg, 20.11.1882, 4 S., hs. (dt. Schrift), Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, VI. HA Nl Althoff, F. T. Nr. 1020
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- Physical LocationGeheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin
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Windelband an Friedrich Theodor Althoff, Straßburg, 20.11.1882, 4 S., hs. (dt. Schrift), Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, VI. HA Nl Althoff, F. T. Nr. 1020
Strassburg i/Els. 20 Nov[ember] 1882.
Verehrtester Herr Geheimerath![a]
Verzeihen Sie, wenn ich mir erlaube, in Erwiderung des liebenswürdigen Vertrauens, welches Sie mir bei unsrer leider nur so kurzen[1] hiesigen Bekanntschaft erwiesen haben, Ihnen eine Angelegenheit zu unterbreiten, die in Ihr Ressort fällt. Es geht mir die Nachricht zu, daß in Halle an Stelle des Herrn[b] Prof. Thiele[2] in erster Herr Glogau in Zürich[3] vorgeschlagen ist. Nun würde ich meinerseits die Halle’sche Fakultät zu diesem Vorschlage nur beglückwünschen können. Denn Glogau hat durch sein letztes Werk[4] bewiesen, daß er ein durchaus selbständiger, tief wühlender und | in mancher Hinsicht geradezu origineller Denker ist, und aus persönlichen Erkundigungen weiß ich, daß seine sehr anregende Lehrthätigkeit durchaus nicht von dem abstracten Charakter ist, den sein Buch vermöge der Vertiefung in den Steinthal’schen Formalismus[5] in sich trägt. Er gehört daher unter den jüngeren Kräften zu denen, welche bei etwaigen Vacanzen zuerst genannt zu werden würdig sind, und ich habe ihn in Freiburg primo loco[c][6] genannt[d] für den Fall, daß man genöthigt sein sollte, dort von Ordinarien abzusehen. Dazu aber kommt – und das ist der Grund meines Schreibens – des Mannes äußere Lage[7]. Gl[ogau] hat – ich bitte, unter voller Discretion sprechen zu dürfen –, nachdem er Gymnasiallehrer erst im Posen’schen und dann in Winterthur gewesen ist, die letztere Stellung aufgegeben, um sich, in reiner Begeisterung für die Sache, – leider in Zürich! – zu habilitiren. Er ist fast ohne Mittel, hat Weib und Kind, man hat ihm jetzt, damit | er leben könne, eine Professur am Polytechnicum gegeben, die etwa 3000 fr., trägt; er hilft sich mit Gymnasialstunden, Pension etc. knapp durch und ist gewärtig, falls er nicht bald zu fester Stellung gelangt, ganz in die Gymnasiallaufbahn zurückkehren[8] zu müssen.[9]
Das wäre schade, und weil ich nicht weiß, ob Ihnen, verehrtester Herr Geheimerath, diese Sachlage bekannt ist, darum allein nehme ich mir heraus, Ihnen dies mit der Bitte um discreteste Aufnahme mitzutheilen. Man könnte ja leicht denken: Professor in Zürich, da hat’s keine Noth! Und der Mann könnte übergangen werden, weil man dächte, er sei in einer relativ guten Position. Je mehr ich – nach allem, was ich höre – zur Zeit einem ähnlichen Schicksal[10] unterliege, um so mehr glaube ich, im Interesse eines Anderen (den ich zudem persönlich nur zwei oder dreimal kurz gesehen[11] habe und zu dem ich keine näheren | persönlichen Beziehungen habe) Ihnen diese Sachlage vertrauensvoll unterbreiten zu dürfen, – nicht in dem mir fernliegenden Wunsche, Ihre Entscheidung zu beeinflussen, sondern mit der Absicht, Ihnen für diese Entscheidung das persönliche Material nach einer Richtung zu vervollständigen, welche möglicherweise Ihnen bisher nicht mitgetheilt sein könnte.
Nur so bitte ich Sie, diese anspruchslosen Zeilen aufzunehmen, mit denen ich mich Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin unter dem Wunsche empfehlen möchte, daß Sie Sich in Ihrem neuen Wirkungskreise recht glücklich fühlen möchten, und daß Sie Ihre liebenswürdige Gesinnung erhalten möchten Ihrem aufrichtig ergebnen
Windelband
Kommentar zum Textbefund
a↑Verehrtester Herr Geheimerath! ] links oben von Althoffs Hd. mit Bleistift: Windelband: Glogau. | Bereits gedankt.Kommentar der Herausgeber
1↑nur so kurzen ] Althoff war als Universitätsreferent von der Universität Straßburg ins Preußische Kultusministerium gewechselt. 1871 als Jurist und Verwaltungsbeamter in die Verwaltung Elsaß-Lothringens eingetreten, war Althoff bei der Gründung der Universität Straßburg beteiligt. Er wurde 1872 ehrenhalber zum ao. Prof. in der juristischen Fakultät ernannt, 1880 zum Ordinarius befördert (NDB). Vgl. ADBR Strasbourg, 62 AL 3 (Dekanat Georg Gerland 1882/83) Nr. 116 die Mitteilung des Rektors über das Ausscheiden Althoffs an die philosophische Fakultät vom 24.10.1882, mit Sichtvermerk Windelbands.2↑Thiele ] Günther Thiele (1841–1910), 1869 in Halle promoviert, danach im Schuldienst, 1875 in Glückstadt habilitiert, 1881 ao. Prof., seit 1882 in Königsberg, 1885 o.Prof. (BEdPh).4↑sein letztes Werk ] vgl. Glogau: Abriss der philosophischen Grund-Wissenschaften Theil 1. Die Form und die Bewegungsgesetze des Geistes. Breslau: Koebner 1880.5↑Steinthal’schen Formalismus ] vgl. Glogau: Steinthals psychologische Formeln. Berlin: Dümmler 1876.7↑äußere Lage ] vgl. die Gratifikationslisten der Hochschule Zürich an unbesoldete Dozenten für die Jahre 1880 und 1882, in denen Gustav Glogau mit geringen Hörerzahlen und geringen Honorarbeträgen aufgeführt ist, im Staatsarchiv des Kantons Zürich, Regierungsratsbeschlüsse seit 1803 online: https://suche.staatsarchiv.djiktzh.ch/detail.aspx?ID=3453517; https://suche.staatsarchiv.djiktzh.ch/detail.aspx?ID=3478528; https://suche.staatsarchiv.djiktzh.ch/detail.aspx?ID=3633967 (29.5.2017).8↑in die Gymnasiallaufbahn zurückkehren ] Glogaus Bewerbung auf eine der beiden für alte Sprachen am kantonalen Gymnasium Zürich 1878 ausgeschriebenen Lehrstellen hatte gegen 8 Mitbewerber keinen Erfolg, vgl. die Wahl Wirz & Escher zu Lehrern am Gymnasium mit Regierungsratsbeschluß vom 28.12.1878, Staatsarchiv des Kantons Zürich, Regierungsratsbeschlüsse seit 1803 online: https://suche.staatsarchiv.djiktzh.ch/detail.aspx?ID=34349119↑Glogau … müssen ] vgl. die Biographie Glogaus in: Marie Glogau (Hg.): Gustav Glogau. Sein Leben und sein Briefwechsel mit H. Steinthal. Kiel/Leipzig: Lipsius & Tischer 1906: 1872–73 im Schuldienst in Halle, 1873–76 in Neumark (Westpreußen), 1876–1878 in Winterthur, nach eigener Kündigung der Stellung zur Habilitation in Zürich 1878–83, 1882 Dozent am Polytechnikum, 1883 nach Halle berufen, 1884 nach Kiel. Vgl. die dort abgedruckten Schreiben Glogau an Steinthal vom 6.8.1881 u. Steinthal an Glogau vom 19.5.1883, aus denen die schwierige Situation Glogaus in Zürich deutlich wird.10↑ähnlichen Schicksal ] das galt v. a. für die Folgezeit; Windelband kam z. B. nicht als Nachfolger des am 11.1.1884 verstorbenen Hermann Ulrici in Halle in Frage, weil man Windelband für nicht erreichbar hielt, vgl. das Schreiben des Kurators der Universität Halle an Althoff, nach 11.1.1884: Die Fakultät scheint selbst zu besorgen, daß sich eine Berufung des an erster Stelle vorgeschlagenen Professors Windelband in Straßburg nicht durchführen lasse und wünscht demnach mit besonderem Nachdruck den Professor Stumpf in Prag, welcher allerdings wegen seiner besonderen Lehrgabe als ein Schüler Lotze’s eine sehr erwünschte Ergänzung des hiesigen Lehrkörpers bilden würde (zitiert nach Ulrich Jahnke: Promotor des Fortschritts!? Friedrich Althoff und die deutsche Universitätspsychologie. In: Bernhard vom Brock (Hg.): Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das „System Althoff“ in historischer Perspektive. Hildesheim: Lax 1991, S. 319).▲