Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Karl Dilthey, Freiburg i. Br., 20.7.1881, 3 S., hs. (dt. Schrift), Niedersächsische Staats- und UB Göttingen, Dilth. 141
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- Physical LocationNiedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
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Windelband an Karl Dilthey, Freiburg i. Br., 20.7.1881, 3 S., hs. (dt. Schrift), Niedersächsische Staats- und UB Göttingen, Dilth. 141
Freiburg i B. 20 Juli 1881
Liebster Carlo!
Den besten, innigsten Dank für Deinen Brief, den ich sofort, wenn auch deshalb in Eile beantworte! Deine liebenswürdige Aufforderung, bei Dir zu wohnen, nehme ich mit herzlichem Danke an, – schon aus dem Grunde, weil ich auf diese Weise von Dir, um dessen willen ich überhaupt in G[öttingen] Rast mache, am meisten habe. Du darfst mich also bestimmt Samstag 6 Aug[ust] Nachm[ittags] 2h 25m resp. via Bebra 2h 27m erwarten. Hast Du Examen, so benutze ich die Zeit zu meinen Besuchen: ich erbitte nur, für den Fall, daß Du am Bahnhof zu sein irgendwie verhindert wärst oder es unbequem fändest, eine Notiz auf Karte, welches Deine Wohnung ist.
Jene Besuche werden sich nach Deinen Mitteilungen vielleicht um einen verringern, – um denjenigen B.’s[1]. Was über jene wunderliche Historie hierher gedrungen ist, war gerade so widerspruchsvoll und unglaublich, wie – das Resultat! Das Wenige, was Du schriebst, enthielt für mich eine große Beruhigung. Nach Mitteilungen, die nicht exact gewesen zu sein scheinen, mußte ich meinen, daß B. sich meiner von andrer Seite her partirten Erwähnung von Anfang an widersetzt habe, und | mußte ich fürchten, daß der Mann[2], den ich in wissenschaftlicher Hinsicht am meisten und weit über allen andren verehrte und dessen Urtheil mir in dieser Hinsicht durchaus werthvoll war, aus dem Leben geschieden sei, ehe ich Gelegenheit hatte, ihm den Irrthum, als hüte ich bei den Positivisten und Sensualisten die Schweine, auszureden – ein Gefühl, das seit den letzten Wochen als der Schmerz um ein Unwiederbringliches mich tief ergriff. Du wirst danach verstehen, wie lieb es mir war, von Dir zu vernehmen, daß er, solange er nicht fremden Einflüssen nachgab, anfänglich mich in erster Linie genannt hat!
Doch von all dem mündlich! Nur dies vorher! Du darfst, liebster Freund, nicht meinen, daß ich nicht von Anfang an und in voller Ausdehnung die sonderbare Position, in der Du Deinem Bruder[3] und mir gegenüber warst, begriffen hätte! nicht meinen, daß ich sie nicht völlig wie Du beurtheilt hätte! nicht meinen also, daß dadurch sich irgend etwas zwischen uns geschoben hätte!
Daß ich Dir wegen meiner Frühjahrsreise[4] nicht geschrieben, | hing wesentlich daran, daß ich von Anfang an sehr zweifelhaft war, ob ich überhaupt nach England[5] kommen würde: in der That bin ich auch nicht dahin gekommen, sondern bin die ganze Zeit über nur in Paris gewesen. Der Londoner Plan steht noch aus und braucht vielleicht garnicht in Erfüllung zu gehen, falls ich im Herbst in Berlin genug finde!
Und nun also auf ein frohes Wiedersehen! Meine Frau grüßt Dich herzlichst! Mit treuem Gruß Dein alter
W Windelband
Kommentar der Herausgeber
1↑B.’s ] die Rede ist von Julius Baumann (1837–1916), Prof. der Philosophie in Göttingen, Schüler Lotzes wie Windelband (BEdPh). Der Kontext von Windelbands Schreiben ist die schwebende Nachfolgefrage Lotzes, der am 1.7.1881 verstorben war, und für die auch Windelband noch zu Lebzeiten Lotzes im Gespräch war (vgl. Windelband an Wilhelm Nokk vom 4.12.1880).4↑Frühjahrsreise ] u. a. nach Paris, vgl. darüber Windelband an Wilhelm Nokk; an Georg Jellinek vom 9.10.1880, an Paul Siebeck vom 7.3.1881, an Victor Ehrenberg vom 16.3.1883 und an Jellinek vom 22.3.1883.5↑nach England ] erst im Frühjahr 1884 unternahm Windelband eine Reise nach Oxford, deren Daten nicht genau bekannt sind (Abreise ca. 8.3.1884), vgl. Windelband an Gustav Glogau vom 6.3.1884.▲