Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Georg Jellinek, Freiburg i. Br., 3.12.1878, 4 S., hs. (dt. Schrift), Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/56
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- Physical LocationBundesarchiv Koblenz
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Windelband an Georg Jellinek, Freiburg i. Br., 3.12.1878, 4 S., hs. (dt. Schrift), Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/56
Freiburg i B 3 Dec[ember] 1878
Liebster Freund,
Spät erst, sehr spät komme ich dazu, Dir den fertigen Band[1] zu überreichen! Nimm ihn freundlich auf; Du wirst vielleicht nicht viel Neues darin finden und ihn nur aus dem Gesichtspuncte beurtheilen dürfen, ob er seinen Zweck zu erfüllen geeignet ist.
Herzlichen Dank für Deinen lieben, freundlichen Brief! Was hast Du denn aber mit den Ungarweinen gemacht? Es war gar keine weitere Nachricht dabei, so daß ich Anfangs ganz starr vor Erstaunen war: ich erinnerte mich nur dunkel, daß Du einmal von andern Weinproben gesprochen hattest, die Du mir senden lassen wolltest. Aber allem Anschein nach, da keine Rechnung mitkam, hast Du die Gelegenheit zu einer so galanten Dedikation ergriffen, wie ich sie mir eigentlich nicht gefallen lassen dürfte! So überrumpelt, bleibt mir freilich nichts übrig, als Dir herzlich zu danken und Dir zu sagen, daß die Flasche Villanger, welche ich gekostet, mein höchstes Entzücken erweckt hat!
Die Tage unserer Reise und die kurzen Stunden Deines lieben Besuchs[2] sind mir in schönster Erinnerung, der Glanzpunct geistig genießenden Austausches zwischen den Zeiten einsamer Arbeit. Die letztere begann gleich nachher wieder; der Druck nahm kräftigere Dimensionen an, und er hat sich trotzdem bis jetzt hingezogen –, und für die Wintervorlesun|gen[3] mußt’ ich wieder viel thun. Es ist schwer Ausdrücke dafür zu finden, wie mich diese Geschichte der patristischen Philosophie[4], Gnosticismus und anderer Blödsinn, langweilt! Aber es muß eben sein.
Und ich habe leider absolut keine Aussicht, einen Theil dieser Vorlesungslasten auf andere Schultern abzuwerfen. Selbst der inzwischen erfolgte Tod Sengler’s[5] ändert daran garnichts, da er pensionirt schied. Die Eingabe unserer Fakultät vom Sommer (!!)[a], daß wir das durch seine Pensionirung frei werdende Geld auf die Creation eines Extraordinariats für vergleichende Sprachwissenschaft und auf ein philos[ophisches] Extraordinariat vertheilt haben möchten, hat erst vor drei Wochen (sic!)[b] die gefällige Antwort erhalten, daß für ein Extraord[inariat] der vergl[eichenden] Sprachw[issenschaft] zur Zeit kein Geld vorhanden sei!! Von dem philso[ophischen] Extraordinariat kein Wort! Und dem Abgesandten der Fak[ultät] hat man ganz ruhig gesagt, wir möchten uns doch nicht lächerlich machen, wir wüßten recht gut selbst, daß ich der Nachfolger von S[engler] wäre und daß Nichts weiter verzapft würde! Das ist also die ganze Herrlichkeit! Und so stehe ich mit gebundenen Händen da. Ich habe nun mit mehreren Mitgliedern der Fakultät über die Möglichkeit gesprochen, Jemanden | nur unter der Titulatur herzuberufen[6]. Sie sind alle der Ueberzeugung, daß die Regierung sich darauf schwerlich einlassen werde.[c] Die Einzige Möglichkeit sei die, daß man Jemand zur Habilitation resp. zur Umhabilitation veranlasse unter dem von der Regierung zu billigenden Versprechen, ihn sehr bald zu nominiren. Hierüber werde ich nun einen Antrag stellen und der wird in der nächsten Sitzung vermuthlich zur Berathung gelangen. Es war eben absolut formell unmöglich, Etwas in der Sache zu thun, ehe die Nachricht aus Carlsruhe da war.
Um so mehr freue ich mich, daß ich Dich noch zuletzt hier immer gebeten habe, in Deiner Angelegenheit[7] auszuharren und womöglich recht schnell dort zu einem Resultate zu zwingen. Denn ich könnte, wie die Sachen liegen, Dich wahrscheinlich sehr schwer zur Umhabilitation auffordern, so lange Du dort nicht fertig bist. Wenn ich Dich vorschlage, muß ich gewärtigen, daß sich Mehrere Nachrichten kommen lassen, man erfährt, daß Du mitten in der Habilitation stehst und fragt, weshalb so lange etc. Es wäre deshalb sehr wesentlich, wie ich Dir damals schon sagte, wenn Du Deine dortige Sache zum glücklichen Ende führen könntest. Wie | Du mir sagtest, sollte ja das nicht mehr allzu lange dauern, und Du thust mir, wegen der etwaigen Beschleunigung oder Retardierung der Sache, einen Gefallen, wenn Du mir darüber Nachricht giebst[d]. Ich hoffe, daß man Dir jetzt keine Schwierigkeiten macht und meine, daß sich dann Alles viel glatter abwickeln wird. Also Glück auf!
Meine Frau läßt Dir für Deine freundlichen Zeilen herzlichen Dank sagen; sie befindet sich sehr wohl, die Kinder desgleichen; Dore spielt jetzt mit Vorliebe an dem Turner, den Du ihr geschenkt, und Meta fährt das Wägelchen durch die ganze Wohnung, beide Kinder reden schon sehr viel; am liebsten aber hören sie zu, wenn der Papa ihnen eine Geschichte erzählt, worin sie stundenlang unermüdlich sind.
Deiner verehrten Familie bitte ich, mich angelegentlichst zu empfehlen! Du selbst laß mich hoffen, daß unser schöner Plan des Zusammenwirkens[8] trotz der Ungunst der Lage doch noch seine Erfüllung finde, und bleibe gut Deinem
Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑fertigen Band ] Windelband: Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Cultur und den besonderen Wissenschaften. 1. Bd.: Von der Renaissance bis Kant. Leipzig: Breitkopf u. Härtel 1878.3↑Wintervorlesungen ] im WS 1878/79 las Windelband an der Universität Freiburg: Die Hauptprobleme der Philosophie; Mittwoch von 5–7 Uhr öffentlich; Geschichte der Philosophie vom Tode des Aristoteles bis zum Ausgange des Mittelalters; Montags, Dienstags, Donnerstags, Freitags von 4–5 Uhr; Logische Uebungen (privatissime und gratis); an einem zu bestimmenden Abende.4↑Geschichte der patristischen Philosophie ] vgl. das möglicherweise mehrfach verwendete, auf 1883 datierte Vorlesungsmanuskript Windelbands, Notizbuch Nr. 9: Einleitender Theil. Die Philosophie in den ersten sechs Jahrhunderten der christl. Zeitrechnung (Universitätsbibliothek der Tohoku Universität Sendai (Japan): II, A 2–2 WW 1, 9).5↑Tod Sengler’s ] Jakob Sengler war am 5.11.1878 verstorben (seit Herbst 1842 Philosopohieprofessor an der Universität Freiburg; ADB)6↑unter der Titulatur herzuberufen ] Jellinek selbst kam nicht mehr in Frage, vgl. Windelband an Jellinek vom 26.8.1878.7↑Deiner Angelegenheit ] Jellineks Habilitation für Rechtsphilosophie in Wien, die am 1.7.1878 zurückgewiesen worden war und erst zum 10.7.1879 gelang, vgl. Camilla Jellinek: Georg Jellinek. Ein Lebensbild. In: Georg Jellinek Ausgewählte Schriften und Reden. Neudruckausgabe, verm. um ein Lebensbild Bd. 1. Aalen: Scientia 1970, S. 23*. Vgl. den Kommentar zu Windelband an Jellinek vom 26.8.1878.▲