Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Georg Jellinek, Axenfels, 26.8.1878, 3 S., hs. (dt. Schrift), Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/56
- Creator
- Recipient
- Participants
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationBundesarchiv Koblenz
- URN
- Social MediaShare
- Archive
- ▼
Windelband an Georg Jellinek, Axenfels, 26.8.1878, 3 S., hs. (dt. Schrift), Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/56
Axenfels, 26 Aug[ust] 1878
Liebster Freund,
Dein lieber Brief, der Deine Reise in Aussicht stellt, kommt soeben in meine Hände. Der Umstand, daß die Voraussetzung meines Vorschlag’s, Du seiest in Paris, dahinfällt, legt mir eine große Verantwortung Dir gegenüber auf, und ich muß mich ernstlich fragen, ob ich es verantworten kann, Dich zu einer Reise hieher[a] zu veranlassen, welche Du sonst nicht gemacht hättest. Wäre es nur der Rückweg von Paris gewesen, so stand die Sache eben anders. Eigens deshalb zu reisen, so weit etc.; darf ich Dir viel schwerer zumuthen. Zweierlei kommt hinzu: erstens, daß es hier ganz abscheuliches Wetter ist, sodaß man Nichts anfangen kann, sondern im Hotel sitzen muß, um nur hin und wieder den neidischen Wettergöttern einen Spaziergang abzulisten; zweitens, daß ich auch aus anderen Gründen nicht mehr sehr lange in der Schweiz bleiben werde. Ich bin, da ich[b] nervös total abgewirthschaftet war, schon Donnerstag abgereist und noch am gleichen Tage hier zur Ruhe gegangen. Dabei habe ich mir höchstens 14 Tage als Reisezeit angesetzt. Denn ich habe viel zu thun, und wenig auszugeben; vor Allem aber ruft mich mein Druck[1] nach Hause; denn | die Correctur zu lesen ist hier, wie ich gestern practisch erfuhr, nicht nur ein unbequemes und langweiliges, sondern bei dem Mangel an Büchern ein fast unmögliches Ding.
Donnerstag den 5ten[2] will ich also gern wieder nach Haus. Nun schreibst Du, Du würdest vor acht Tagen nicht fortkönnen: d. h. da Du am 23. schreibst, Du würdest etwa am 30 oder 31 reisen. Wenn es nun von Dir nicht zu viel gefordert ist, lediglich um meinetwillen diese Reise zu machen, so würde ich Dir Folgendes vorschlagen:
Ich werde mich, sofern nichts dazwischen kommt, – auf welchem Weg entscheidet das Wetter – so einrichten, daß ich zu dem Tage, den Du mir als Ankunftstag bestimmst, auch in Interlaken bin. Dort treffen wir um den ersten Sept[ember] herum auch noch Ehrenberg und[c] Rümelin: und dann schlage ich Dir vor, mit mir nach Freiburg zu gehen und dort in den Schwarzwäldern die Geheimnisse des Weltalls und des Menschenlebens zu durchwühlen. Es ist Vieles – Sachliches und Persönliches! – was ich mit Dir besprechen[3] möchte, und wenn Du es möglich machen kannst, die Reise anzutreten, so machst Du mir eine sehr, sehr große Freude! Vielleicht, wenn Du Erholung mit der Reise verbinden willst, bleibst Du noch etwas hier, um aber dann hieher nach Freiburg mir nachzukommen, – obwol ich Dich | dann am liebsten festhielte. Denn unser Schwarzwald ist auch schön, und ich habe nur aus meiner Arbeit heraus gewollt. Doch das findet sich Alles, wenn ich Dich nur erst hier habe!
Bis Ende dieser Woche bleibe ich also am Vierwaldstätter See, wahrscheinlich hier: Hôtel Axenfels über Brunnen. Sobald Du entschieden hast, ob und wann Du reisest, schreibe mir. Vielleicht treffen wir uns in Luzern, wo ich dann im „Rößli“ wohne oder Adresse hinterlasse. Bin ich Dir schon nach Interlaken voraus, so muß ich schon bitten, dort auf der Post die Adresse zu erkunden.
Um ganz Bestimmtes vorzuschlagen: wollen wir uns am 31 Aug[ust] resp. 1 Sept[ember] in Luzern im Rößli treffen und dann zusammen über den Brünig gehen? Ich wollte eigentlich die höheren Pässe: Surenei-Engelberg-Jochpaß-Meiringen nehmen; aber das Wetter ist ja zu unsicher!
Enfin[4]; ich erwarte möglichst bald Deinen Brief. Habe ich ihn bis Freitag (30) nicht, so gehe ich doch auf irgend einem Wege (der aber längstens 4 Tage dauert) nach Interlaken.
Empfehlungen den verehrten Deinen! Auf Wiedersehen! Dein
W Windelband[d]
Kommentar zum Textbefund
d↑W Windelband ] auf der Rückseite des Bl. von anderer Hand: Mama hat den Brief aufgemacht, um die Adresse zu wissen, aber nicht gelesen. Alle wol. Darunter: Ich grüße und küsse Dich herzlich. Schreibe bald. Rosalie Jellinek (1832–1892, Mutter Georg Jellineks).Kommentar der Herausgeber
1↑mein Druck ] von: Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Cultur und den besonderen Wissenschaften 1. Bd.: Von der Renaissance bis Kant. Leipzig: Breitkopf u. Härtel 1878.2↑Donnerstag den 5ten ] vgl. Wilhelm Dilthey an Graf Paul Yorck von Wartenburg vom 29.9.1878 aus Interlaken: Weinholds kamen uns besuchen, ebenso der Philosoph Windelband etc. (Wilhelm Dilthey Briefwechsel Bd. 1 1852–1882. Hg. v. G. Kühne-Bertram u. H.-U. Lessing. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, S. 812). Dies deutet neben dem schließlichen Treffen Windelbands und Jellineks in Axenfels (vgl. die folgende Anm.) auf eine zwischenzeitliche Planänderung hin.3↑mit Dir besprechen ] vgl. Jellinek an seine Eltern vom 31.8.1878 aus Axenfels: Gestern vormittag bin ich bei dem denkbar schlechtesten Wetter hier angelangt und wurde durch das Wiedersehen meines lieben Freundes Windelband für alle Strapazen der Reise reichlich entschädigt. Ich habe ihn mir gegenüber gefunden wie ich ihn vor vier Jahren verlassen habe, als denselben reinen, guten und großen Menschen. Ohne daß ich noch ein Wort über meine Habilitationsgeschichte mit ihm gesprochen hätte, bot er mir ganz spontan eine außerordentliche Professur an der Universität Freiburg an und zwar für Moralphilosophie. Freilich wäre vorderhand mit dieser Stelle noch kein Gehalt verbunden. In wahrhaft brüderlicher Weise setzte er mir die Vorteile auseinander, die eine solche Berufung für mich haben würde, und verschwieg mir nicht die Unannehmlichkeiten, die ich eventuell durchzumachen hätte. Er glaubt, meine Berufung schon für das Wintersemester durchsetzen zu können […]. Im weiteren Verlauf des Schreibens kündet Jellinek seine Weiterreise nach Interlaken an, wo wir Ehrenberg treffen (Camilla Jellinek: Georg Jellinek. Ein Lebensbild. In: Georg Jellinek Ausgewählte Schriften und Reden. Neudruckausgabe, verm. um ein Lebensbild Bd. 1. Aalen: Scientia 1970, S. 22*–23*; Christian Keller: Victor Ehrenberg und Georg Jellinek Briefwechsel 1872–1911. Frankfurt a. M.: Klostermann 2005, S. 309). Jellineks 1. Versuch, sich an der staats- und rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien zu habilitieren, war mit dem abschlägigen Bescheid vom 1.7.1878 fehlgeschlagen. Zu einer Berufung Jellineks nach Freiburg ist es auch wegen dieses mißlungenen Habilitationsversuches nicht gekommen, vgl. Windelband an Jellinek vom 3.12.1878 sowie Klaus Kempter: Die Jellineks 1820–1955. Eine familienbiographische Studie zum deutsch-jüdischen Bildungsbürgertum. Düsseldorf: Droste 1998, S. 196–197. Der 2. Versuch zur Habilitation in Wien gelang, ab 10.7.1879 war Jellinek dort Privatdozent.▲