Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Victor Ehrenberg, Leipzig, 18.11.1873, 4 S., hs. (dt. Schrift), links oben auf erster S. in rot aufgedrucktes Monogramm WW, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL Ehrenberg acc. Darmst. 1924.138
- Creator
- Recipient
- ParticipantsAgnes Taubert ; Alfred Dove ; Anton Springer ; Arthur Schopenhauer ; Carl Stumpf ; Christoph Sigwart ; Eduard von Hartmann ; Emil Tüngel ; Ernst Ziel ; Ernst Zitelmann ; Franz Brentano ; Franz Windelband ; Friedrich Theodor Althoff ; Georg Jellinek ; Gottfried Wilhelm Leibniz ; Gustav Theodor Fechner ; Hans Georg Meyer ; Hans Vaihinger ; Heinrich Jordan ; Henriette Goldschmidt ; Karl Dilthey ; Karl Rosenkranz ; Karl von Bardeleben ; Kuno Fischer ; Leon Pinsker ; Max Jordan ; Michael Bernays ; Moritz Lazarus ; Moritz Venetianer ; Otto Wallach ; Paul Hensel ; Pauline Windelband, geb. Berg ; Rudolf Schöll ; Rudolf Windelband ; Skalweit, Eisenbahnbaumeister ; Theodor Mommsen ; Victor Ehrenberg ; Wilhelm Wundt
- Place and Date of Creation
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- Physical LocationStaatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
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Windelband an Victor Ehrenberg, Leipzig, 18.11.1873, 4 S., hs. (dt. Schrift), links oben auf erster S. in rot aufgedrucktes Monogramm WW, Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, NL Ehrenberg acc. Darmst. 1924.138
Leipzig. 18 Nov[ember] 73
Lieber Ehrenberg!
Außerordentlich dankbar bin ich Ihnen, daß Sie durch Ihr freundliches Schreiben von neulich den abgerissenen Faden unserer Verbindung[1] wieder angeknüpft haben. Denn Ihr lieber Brief aus St. Blasien traf mich zwar – aber er traf mich in Misdroy[2], d. h. auf dem für seine Beantwortung ungünstigsten Boden. Des Meeres und der Liebe Wellen umrauschten mich, unter alten Buchen wandelte ich nicht allein spazieren, und das Haupt geschmückt mit blühendem Kranze, ließ ich in dieser seligen Einsamkeit die übrige Welt ihren Gang weiter gehen, den sie ja auch inzwischen ohne mich gewandelt ist. Sechs Wochen hab’ ich diesen schönen Traum geträumt, diese ereignißvolle Thatenlosigkeit genossen. Als ich dann in Potsdam die Beziehungen zu der übrigen Welt wieder aufnahm, mußte ich die in Ihrem Brief angegebene Adresse für veraltet halten. Um so lieber war es mir, meine neulich schon an Jellinek gerichtete Frage nach Ihrem Ergehen selbst beantwortet zu sehen.
Freilich, diese Freude ist nicht ungetrübt, Ihre Nachrichten, lieber Freund, hätten besser sein können, und die Hoffnung, daß Sie nun ganz genesen, in freudiger Thätigkeit begriffen sein würden, ist leider unerfüllt. Was machen Sie uns nur | für Geschichten! Nun hoffentlich ist es das letzte Mal gewesen, daß Sie solche traurige Rückfälle[3] gehabt haben, Sie haben ja die Jahre überwunden, in denen derartige Affectionen gefährlich zu sein pflegen, und Sie sollten Sich das Maaß dessen, was Ihnen die Parze[4] noch vorbehalten, nicht so gering vorstellen! Glauben Sie an die Kraft der Jugend, die in Ihrem Geiste lebt und Ihren Körper durchströmt, und freuen Sie Sich der neuen Kraft, die Sie jetzt einsaugen! Sollte es Ihnen aber irgend nicht so schnell besser gehen, als Sie wünschen und erwarten können, – thun Sie mir den einzigen Gefallen, liebster Ehrenberg, und gehen Sie nach dem Süden. Hat er doch an mir Wunder gethan! Denken Sie nicht mehr an den schwächlichen, bleichen, nervösen Gelehrtenaspiranten, mit dem Sie im Staube des Rosenthals[5] wandelten: mit behäbiger Körperfülle, frisch an Farbe und Empfindung, mit sproßendem Vollbart, gesund und kräftig wie ein junger Gott (so daß nicht einmal ein Kaiserl[icher] deutscher Oberstabsarzt, der mich von militairischen Unbequemlichkeiten dispensiren sollte, ein Fehl an mir fand!) – so bin ich wiedergekommen, und das Alles hat seitdem mehr zu- als abgenommen. Also wenn Sie irgend von dem heimatlichen Boden des Biers, der Wissenschaft und des Philisterthums[6] sich loszureißen vermögen, – lassen Sie den blauen Himmel Italiens über sich lächeln! Thun sie es aber, so nehmen Sie von Jemand, der zweimal da war, einen Rath: wer seiner Lunge wegen nach Italien geht, ist ein Narr, wenn er Meran, ein Thor, wenn er Nizza oder Mantova, und ein | Verblendeter, wenn er selbst Pisa wählt: sein einziges Ziel ist Palermo. Erst da ist der wirkliche Süden; erst das ist ein ganzes Mittel, alles Andre ist gefährliche Halbheit. Für mich war die Reise Präservativ – aber ich habe mir in Pisa oft gesagt, daß selbst da (und Pisa hat von allen Städten von Neapel nordwärts notorisch das wärmste Klima) ein wirklich Lungenkranker nicht am rechten Orte sein würde.
Solchen Rath, nach dem Süden zu gehen, kann ich Ihnen um so eher geben, als ich dabei Nichts verliere: denn auf die in Ihrem ersten Briefe angeregte Hoffnung, Sie im Winter hier zu sehen, muß ich nun wohl verzichten – und in Rücksicht auf unser Schauerklima thu ich es gern. ich werde nun wohl hoffentlich den Winter hier ertragen. ich habe reichlich zu thun und fühle mich in arbeitsvoller Einsamkeit wohl. Neben meinem größeren Werke, das ich gern im Laufe des Winters beendigen möchte, liegen mir eine Menge Kleinigkeiten auf dem Hals. Für das „Neue Reich“ habe ich eben einen Essay über Rosenkranz[7] und ein paar kleine Literarische Besprechungen[8] absolviert, die ich Ihnen, wenn sie gedruckt sind, zusenden werde und deren Gegenstände ich Ihnen mit vollem Herzen empfehle: namentlich die Meyer’schen Gedichte (wie kann man nur Hans Meyer[9] heißen, wenn man lyrischer Dichter sein will!) sind ganz herrlich. Meyer ist ein Freund von Hansen[10], den Sie ja wohl hier gesehen haben, und hat mir die Gedichte durch diesen geschickt. Außerdem bin ich im Begriff, ebenfalls im Neuen Reich aus Veranlassung eines schamlosen Buches von Taubert „über den Pessimismus und seine Gegner“[11] den unbewußten Hartmann und die Clique, die er um sich zur Verherrlichung seiner inzwischen anonym, wie man sagt, von ihm selbst angegriffnen Philosophie und zur Verdunkelung Schopenhauers (siehe Dr. Venetianer „Schopenhauer als Scholastiker“[12]) organisirt hat, – diese Gesellschaft einmal gründlich zu fassen[13]. Meine sittliche Entrüstung, die selten, aber dann kräftig zu sein pflegt, ist in diesem Falle ganz in Feuer. Maaßvoller und genußreicher ist die kritische Beschäftigung[14] mit der Logik des Tübinger Prof. Sigwart, zweifellos des bedeutendsten Buches, das seit 20 Jahren in der deutschen Philosophie erschienen ist. Der Verfasser hat mir eine große Freude gemacht, indem er es mir – ohne jede persönliche Bekanntschaft – zur Besprechung zuschickte und wenn mein Entzücken über die tiefe und klare Auffassung, über die geistvolle Originalität und die schöne, durchaus lesbare Sprache dieses Buches mit jedem Capitel wächst, so fürchte ich nur immer, ein günstiges Vorurtheil möchte mich blenden, und freue mich jedesmal, wenn ich mich versichert habe, daß das nicht der Fall war. Vielleicht kann ich Ihnen auch davon bald die Besprechung schicken. Endlich habe ich noch Lazarus versprochen, eine Abhandlung über die Logik[15] unter dem Gesichtspuncte der Völkerpsychologie noch vor Weihnachten zu schreiben. Und zu dem Allen kommen die Collegien[16], die doch auch immer noch Zeit erfordern. Zwar streng’ ich mich nicht sehr an; ich lese privatim dreistündig kritische Entwicklungsgeschichte der Methoden der Philosophie seit Leibniz, wobei ich ein Dutzend Zuhörer habe, und publice einstündig Kritik Schopenhauers vor etwa 25. Außerdem hab’ ich Uebungen über die Kritik der Urtheilskraft mit fünf Jünglingen auf meinem Zimmer, wobei es z. B. gestern Abend recht frisch, lebendig und interessant zuging. |
Was dabei mein äußeres Leben betrifft, so lebe ich ziemlich einsam. Seitdem Bardeleben[17] zu Anfang dieses Semesters als Professor nach Jena gegangen ist, wohne ich allein und gehe wenig aus. Zu Mittag treffe ich bei Hahn den Docentenkreis[18], in dem ich auch manchmal Abends bin. Sonnabend Abends reißen sich Jordan[19] und Dove von Ihren Frauen los um mit mir zu kneipen. Ein netter Eisenbahnbaumeister Skalweit[20] ist mir eine angenehme Abwechslung des Umgangs. Zuweilen sehe ich Sonntags meinen Bruder[21], der aus Zwickau mich besucht.
Von unserer Universität ist Erfreuliches zu berichten. Die Studentenanzahl ist 3000, und heut eben ist die Nachricht da, daß in Mommsens Annahme[22] des an ihn ergangenen Rufs ein neuer Anziehungspunct gewonnen ist. Dove ist nun auch habilitirt und ließt Geschichte des Pabstthums[23]. Nur für Bernays[24] ist natürlich noch kein Ersatz gefunden. Es ist ein frisches, wissenschaftliches Leben hier, und ich bereue es keinen Augenblick, daß ich diesen Anfang gewählt. Wenn es Ihnen erst Ihr Gesundheitszustand erlaubt, Sich den Studien wieder zu widmen, hoffe ich, daß wir Sie noch einmal hier sehen. Auch Springer[25] mit seinem großartigen Vortrage, gegen den der große Kuno[26] sehr klein wird (!)[a], muß Sie anziehen.
Und nun lassen Sie mich wünschen, daß die erste Bedingung dazu, Ihre völlige Genesung sich recht, recht bald erfülle! Seien Sie der innigen Freude versichert, die mir das bereiten würde! und befriedigen Sie dies lebhafte Interesse an Ihrem Wohlsein durch recht baldige, ausführliche und hoffentlich gute Nachricht!
An Jellinek schrieb ich neulich. Er hat seine Ankunft hier für den November in Aussicht gestellt, und ich freue mich sehr, ihn bald wiederzusehen[27].
Leben Sie wohl und vergessen Sie nicht Ihren
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑abgerissenen Faden unserer Verbindung ] vgl. Ehrenberg an Jellinek aus Freiburg i. B. vom 1.12.1873: Nur nach zwei Menschen sehne ich mich: nach Dir und Windelband. Letzterer hat mir auch kürzlich geschrieben, und zwar so herzlich und liebevoll, wie nur ein Bruder es vermag. Sonderbar, daß häufig die Trennung die Menschen näher bringt, als jahrelanger Umgang! (Christian Keller: Victor Ehrenberg und Georg Jellinek Briefwechsel 1872–1911. Frankfurt a. M.: Klostermann 2005, S. 207).7↑Rosenkranz ] vgl. Windelband: Aus den romantischen Tagen der Philosophie (Von Magdeburg bis Königsberg. Von Karl Rosenkranz. Berlin. Heymann’s Verlag 1873). In: Im neuen Reich 3 (1873), 2. Bd., S. 879–889.8↑Literarische Besprechungen ] vgl. Windelband: Wilhelm Wolffschild. Ein Roman aus dem baltischen Leben von Theodor Hermann. 2. Aufl. Mitau, Behre’s Verlag 1873. In: Im neuen Reich 3 (1873), 2. Bd., S. 861–863; Gedichte von H. G. Meyer. Berlin, J. Springer 1873. In: Im neuen Reich 3 (1873), 2. Bd., S. 863–864. Beide Rezensionen gezeichnet mit W. W.9↑Hans Meyer ] Hans Georg Meyer (1849–1913), Gymnasialprofessor u. Dichter, 1874 Promotion in Halle, seit 1877 am Gymnasium zum grauen Kloster Berlin (http://stabikat.de/DB=1/XMLPRS=N/PPN?PPN=078973953).11↑Taubert „über den Pessimismus und seine Gegner“ ] vgl. A. Taubert: Der Pessimismus und seine Gegner. Nebst einem Anhang über den „Anti-Materialismus“ v. L. Weis. Berlin: Carl Duncker (C. Heymons) 1873. Die Autorin ist Agnes Taubert (1844–1877), Eduard von Hartmanns 1. Ehefrau (NDB).12↑Dr. Venetianer „Schopenhauer als Scholastiker“ ] vgl. Moritz Venetianer: Schopenhauer als Scholastiker. Eine Kritik der Schopenhauer’schen Philosophie mit Rücksicht auf die gesammte Kant’sche Neuscholastik. Berlin: Duncker 1873.13↑gründlich zu fassen ] Windelband hat über Eduard von Hartmann (auf dessen Philosophie des Unbewußten hier angespielt wird), Agnes Taubert oder Moritz Venetianer nichts veröffentlicht. Zum Thema vgl. Windelband: Der Pessimismus und die Wissenschaft. In: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 2 (1877), S. 814–821 u. S. 951–957 (in Präludien seit der 4. Aufl. 1911, Bd. 1); sowie ein nicht geschriebenes Buch, von dem Paul Hensel berichtet, Windelband habe ca. 1896 gesagt: Nun fällt mir ein, womit ich mich in der Zeit zwischen Promotion und Habilitation beschäftigt habe, ich wollte ein Buch über Eduard von Hartmann schreiben, ja ich hatte es sogar begonnen und einige Bogen drucken lassen, als der Krieg 1870 dazwischen kam, und als ich aus dem Felde zurückkehrte, hatte ich die Lust daran verloren (Elisabeth Hensel (Hg.): Paul Hensel. Sein Leben in seinen Briefen. Frankfurt a. M.: Societäts-Vlg. 1937 (identisch mit der Titelauflage Wolfenbüttel 1947), S. 414). Der Freund Otto Wallach berichtet: Mit der deutschen schönen Literatur waren wir alle vertraut. Weniger zweckmässig war es vielleicht, dass auch die Philosophie anfing, eine Rolle zu spielen, und […] dass der frühreife Primaner die „Welt als Wille und Vorstellung“ durchzustudieren begann […]. Die dadurch stark geförderte Neigung zu einer pessimistischen Weltanschauung konnte durch die Bemühungen des starken Lebensbejahers Windelband auch in späteren Jahren nicht überwunden werden (Otto Wallach 1847–1931 Chemiker und Nobelpreisträger. Lebenserinnerungen: Potsdam, Berlin, Bonn, Göttingen. Hg. v. G. Beer u. H. Remane. Berlin: Verlag für Wissenschafts- und Regionalgeschichte Engel 2000, S. 36–37).14↑kritische Beschäftigung ] vgl. Windelband: Die Erkenntnisslehre unter dem völkerpsychologischen Gesichtspunkte. Mit Rücksicht auf Sigwart, Logik I. Tübingen. Laupp’sche Bchhdlg. 1873. In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 8 (1875), 2. Heft 1874 (!), S. 166–178; Zur Logik. Logik von Prof. Dr. Chr. Sigwart. Erster Band. Tübingen 1873. Laupp’sche Buchhandlung. In: Philosophische Monatshefte 10 (1874), S. 33–42, 85–91, 103–110.15↑Abhandlung über die Logik ] vgl. Windelband an Moritz Lazarus vom 23.2. u. 22.7.1874 sowie Windelband: Die Erkenntnisslehre unter dem völkerpsychologischen Gesichtspunkte. Mit Rücksicht auf Sigwart, Logik I. Tübingen. Laupp’sche Bchhdlg. 1873. In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 8 (1875), 2. Heft 1874 (!), S. 166–178. Vgl. dazu: Heymann Steinthal: Zusatz zum vorstehenden Artikel. In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 8 (1875), S. 178–189.16↑Collegien ] vgl. zum Folgenden das Vorlesungsverzeichnis der Universität Leipzig (http://histvv.uni-leipzig.de/vv/1873w.html)18↑bei Hahn den Docentenkreis ] vgl. Georg Friedrich Knapp: Aus der Jugend eines deutschen Gelehrten. Mit einem Vorw. v. Elly Heuß-Knapp. Berlin u. Leipzig: Deutsche Verlagsanstalt 1927 (Niederschrift 1904), S. 177–178: Sehr bald sammelte sich eine Tischgesellschaft bei einem Wirt namens Hahn, die sich um 1869 eng zusammenschloß; sie bestand aus dem Professor Zirkel, einem jungen Ordinarius; der Mathematiker von der Mühll aus Basel, Privatdozent, gehörte dazu; ferner der Assistent am Zoologischen Institut, Nitsche; ein Mediziner Thierfelder, ein Gynäkologe Dumas, der Geologe Hermann Credner, der Philologe Franz Rühl; der Mathematiker Adolf Mayer kam wenigstens als Hospitant; nebst vielen anderen. Wir haben die Freuden einer solchen Geselligkeit in vollen Zügen genossen. Auch der Philosoph Walter war dabei, aus den baltischen Provinzen Rußlands stammend, und der Assistent des Professors Wunderlich, Heubner. Auch abends pflegten wir uns bei Hahn zu treffen und es sind die dauerndsten Freundschaften daraus entstanden – so z. B. zu Windelband, wie noch Paul Hensel aus der Straßburger Zeit berichtet, vgl. Elisabeth Hensel (Hg.): Paul Hensel. Sein Leben in seinen Briefen. Frankfurt a. M.: Societäts-Vlg. 1937 (identisch mit der Titelauflage Wolfenbüttel 1947), S. 435. Knapp blieb bis 1874 in Leipzig. Jellinek erwähnt gegenüber Ehrenberg am 9.11.1872 als Mitglieder der Leipziger Tischgesellschaft außerdem den Schriftsteller Ernst Ziel (1841–1921, 1878–83 Chefredakteur der Gartenlaube), den Anatom Karl von Bardeleben (1849–1912, 1878 Prof. in Jena) sowie den Literaturhistoriker Michael Bernays (1834–1897, 1873 Prof. für neuere Sprachen und Literatur in München) (Christian Keller: Victor Ehrenberg und Georg Jellinek Briefwechsel 1872–1911. Frankfurt a. M.: Klostermann 2005, S. 161). An Leipziger Bekannten sind noch zu ergänzen: der Journalist und Historiker Alfred Dove (1844-1916, 1870 Redakteur der Grenzboten, 1871 der Zeitschrift Im neuen Reich, 1873 in Leipzig habilitiert), die Mediziner Emil Tüngel u. Leon Pinsker, der Jurist Ernst Zitelmann (Klaus Kempter: Die Jellineks 1820–1955. Eine familienbiographische Studie zum deutsch-jüdischen Bildungsbürgertum. Düsseldorf: Droste 1998) sowie möglicherweise Franz Brentano (vgl. Brentano an Carl Stumpf von Anfang November 1873 aus Leipzig: Sonst sah ich keinen der Professoren. Doch morgen werde ich damit beginnen, indem ich […] zwei Dozenten der Philosophie, [Paul Robert] Schuster […] und Windelband, der, etwas jünger, in Ihrem Alter stehen mag, kennen lernen werde (Franz Brentano–Carl Stumpf Briefwechsel 1876–1917. Hg. v. M. Kaiser-el-Safti. Frankfurt a. M.: Peter Lang 2014, S. 107). Ein weiterer Leipziger Kreis, zu dem Windelband gehörte, war der Akademisch-philosophische Verein (gegründet am 1.12.1866 v. Richard Avenarius), vgl. Protokollbücher Akademisch-philosophischer Verein (1873/1875-1900), UB Leipzig, 01 ZF-2015-3: 1–2; Ms 01304 I–II (z. T. aus dem Nachlass Theodor Fechners). Windelband war Ehrenmitglied seit 2.8.1873 u. hielt eine Reihe von Vorträge: Ueber die Erkenntnistheorie Spinozaʼs (11.6.1873) u. Ueber Denken und Nachdenken (15.11.1875, unter dem Vorsitz von Hans Vaihinger); sowie über die Philosophie Jacobi’s, Sigwart’s Logik, Logik unter dem Gesichtspunkt der Völkerpsychologie (vgl. die Tätigkeitsberichte Vaihingers in: Philosophische Monatshefte 11 (1875), S. 190–192 u. Philosophische Monatshefte 12 (1876), S. 192). Dazu traten zahlreiche Diskussionbeiträge, v. a. zu Fragen der Psychologie (14./15.2. u. 21.2.1876). Am 26.6.1876 wurde Wilhelm Wundt nach seinem Vortrag Ueber den Unendlichkeitsbegriff der Kosmologie zum Ehrenmitglied gewählt.19↑Jordan ] nicht ermittelt. In Frage käme vielleicht Max Jordan (1837–1906), Kunsthistoriker u. späterer Direktor des Leipziger Museums. Denkbar (vgl. Windelband an Jellinek vom 17.7.1875, im Kommentar) ist auch Heinrich Jordan (1833–1886), 1861 in Berlin habilitiert, seit 1867 o. Prof. der Klassischen Philologie in Königsberg (http://www.teuchos.uni-hamburg.de/resolver?Jordan.Heinrich), vgl. Windelband an Friedrich Theodor Althoff vom 30.11.1882.21↑Bruder ] gestorben im April 1883 in Magdeburg, näheres nicht ermittelt, vgl. Windelband an Rudolf Schöll vom 22.4.1883 u. an Karl Dilthey vom 23./29.7.1883. Kein Eintrag in den überlieferten Zwickauer Adressbüchern, vgl. adressbuecher.sachsendigital.de (26.8.1016). Der aus Frankfurt an der Oder stammende Berliner Arzt und Homöopath Rudolf Windelband (1839–1909) ist kein Bruder Wilhelm Windelbands, Rudolf Windelbands Eltern hießen Franz Windelband u. Pauline Windelband, geb. Berg (vgl. die Vita zur Dissertation Berlin 1864).22↑Mommsens Annahme ] nicht ermittelt. Theodor Mommsen (entlassen 1851) kehrte nicht an die Universität Leipzig zurück (Leipziger Professorenkatalog).23↑ließt Geschichte des Pabstthums ] nicht im gedruckten Vorlesungsverzeichnis angekündigt (vgl. http://histvv.uni-leipzig.de/vv/index.html)25↑Springer ] Anton Springer (1825–1891), 1872–91 o. Prof. für mittelalterliche und neue Kunst an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig (Professorenkatalog Leipzig).27↑wiederzusehen ] Jellinek, der am 24.3.1874 an der Universität Wien für Rechts- und Staatswissenschaften promoviert worden war, hielt sich vom 12.5.–7.8.1874 in seiner Geburtsstadt Leipzig auf, wo er u. a. Windelbands Vorlesung besuchte, vgl. Jellinek an seinen Vater vom 13.6.1874: Bei Windelband höre ich Colleg, aus dem ich mehr Nutzen ziehe als aus irgendeiner Vorlesung, die ich bisher gehört habe. Die Notwendigkeit eingehend psychologisch-logischer Studien tritt mir immer klarer entgegen; sowie an Ehrenberg v. 26.6.1874: Windelbands Colleg ist wohl das bedeutendste, was gegenwärtig in Deutschland gelesen wird. Solche Selbständigkeit und Tiefe des Denkens, solche Klarheit und Schärfe der Ausführung hab ich noch in keinem Hörsale vernommen. Seine Erkenntnistheorie spürt den geheimsten Anfängen unserer psychischen Thätigkeit nach und verfolgt sie bis zu den höchsten Problemen den Wissens. Bereits vom WS 1871/72–WS 1872/73 hatte Jellinek in Leipzig studiert. Am 15.5.1874 schreibt Jellinek an seine Eltern: Seit vorgestern bin ich in meine Wohnung Königsstraße 12 III. Etage, eingezogen. […] Zu meinem Leidwesen ist mein Freund Windelband bis zum 1. Juni [!] von hier abwesend, weil er zu den Waffenübungen einberufen ist. Gestern kam er einen Tag aus der Garnison herüber, und ich hatte die unbeschreibliche Freude, ihn nach anderthalb Jahren wiederzusehen. Er hat unterdessen erstaunlich viel gearbeitet. Einen solchen Menschen findet man in ganz Wien nicht. Durch den Umgang mit ihm hoffe ich am meisten gefördert zu werden. Er ist in Leipzig schon sehr bekannt geworden, und man beginnt hier, seine große Bedeutung zu ahnen (Camilla Jellinek: Georg Jellinek. Ein Lebensbild. In: Georg Jellinek Ausgewählte Schriften und Reden. Neudruckausgabe, verm. um ein Lebensbild Bd. 1. Aalen: Scientia 1970, S. 14* u. 20*; Christian Keller: Victor Ehrenberg und Georg Jellinek Briefwechsel 1872–1911. Frankfurt a. M.: Klostermann 2005, S. 451). Vgl. Jellinek an Ehrenberg aus Leipzig vom 16.4.1874: Am 12. Mai kam ich hier an. Ich wohne Königsstrasse 12 III. […] Meine erste Frage nach der Ankunft war natürlich nach Windelband. Zu meiner unangenehmen Ueberraschung mußte ich hören, daß er in Wittenberg in Garnison liegt. Schon wollte ich zu ihm hinreisen. Da frage ich noch einmal in seiner Wohnung nach und höre, daß er auf einen Tag herübergekommen, aber nicht zu Hause sei. Ich suchte ihn überall, fand ihn nicht und brachte den Abend in der schrecklichsten Aufregung zu. Den nächsten Morgen wurde endlich mein sehnlichster Wunsch erfüllt. Er sieht ausgezeichnet aus, ist viel kräftiger geworden, die Krankheit scheint keine Spuren hinterlassen zu haben. Er hat unterdessen unbegreiflich viel gearbeitet. Drei Werke sind unterwegs. Brockhaus hat ihn für das Conversationslexicon engagirt und verlegt seine Schriften. Durch populäre philosophische Vorträge vor einem Damenpublicum, die großen Erfolg hatten, ist er in Leipzig sehr bekannt geworden. […] Am 1. Juli […] kommt er wieder nach Leipzig und wird seine Vorlesungen beginnen. Morgen reise ich zu ihm. […] Goldschmidts sah ich noch nicht. Windelband und die Doctorin [Henriette Goldschmidt] sind gute Freunde geworden (Christian Keller: Victor Ehrenberg und Georg Jellinek Briefwechsel 1872–1911. Frankfurt a. M.: Klostermann 2005, S. 219). In Nr. 18 der Königsstraße (heute Goldschmidtstraße) unterhielt Henriette Goldschmidt ab 1911 die Hochschule für Frauen zu Leipzig.▲