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- TitleWindelband an Georg Jellinek, Rom, 3.4.1873, 2 S., hs. (dt. Schrift), Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/56
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- Physical LocationBundesarchiv Koblenz
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Windelband an Georg Jellinek, Rom, 3.4.1873, 2 S., hs. (dt. Schrift), Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/56
Rom. 3. April 1873
Lieber Freund!
Da ich Sie jetzt wieder in Wien[1] zu vermuten habe, so richte ich dahin zunächst den besten Dank für die freundlichen Zeilen, mit denen Sie mich erfreut haben. Ihre Chronik der philosophischen Ereignisse des Winters ist mir sehr interessant gewesen. Inzwischen lebe ich hier in durchaus philosophischer Gesellschaft. Graf[a] Mamiani[2], der Nestor der italienischen Philosophie, und Prof. Ferri[3] von der hiesigen Universität geben mir die Gedanken des Südens, ein sehr geistvoller Däne, Knudson[4], führt mich in die Ideenkreise des Nordens ein, und im Mittelpunct des deutschen Idealismus finde ich mich mit zwei interessanten Deutschen zusammen, dem markig geistvollen Sohn des Aesthetikers Vischer[5] und Hartmanns Freund und Kritiker, Dr. Duprel[6], der wie Hartmann selbst, den Säbel mit der Feder vertauscht hat. Sie sehen, daß auch ich meiner ernsten Muse nicht untreu geworden bin, und wenn ich auch nicht das Geringste während dieser Zeit producirt habe, so wird diese Muße doch nicht erfolglos gewesen sein.
Inzwischen blüht und duftet die Welt um mich her. Ein Frühling in Rom! Das bedeutet eine Woltat und ich genieße ihn gründlich; in den Albanerbergen bin ich schon tüchtig umhergestreift, Veji hab’ ich besucht und morgen gehe ich für einige Tage in’s Sabinergebirge – es sei denn, daß die gestrigen Abendnachrichten von einer nicht unbedenklichen Erkrankung Sr. Heiligkeit[7] heut eins der wichtigsten politischen Ereignisse in nahe Aussicht stellen sollten. Für den Fall gehe ich natürlich nicht fort. – Was nun die Rückkehr und Ihre freundliche Aufforderung anbetrifft, so würde es mir sehr schwer werden, diesem Reiz zu widerstehen, und wenn sich auch die Zeit so drängt, daß ich nur drei Tage dableiben könnte, so möchte ich | doch diesen unsern, gemeinschaftlichen Plan nicht ins Wasser fallen lassen. Wenn Sie daher in Wien[8] sind und nichts Besseres vorhaben, so bleibe ich drei Tage dort. Und zwar kann ich allerdings nicht mit Sicherheit den Tag ansetzen, da meine Reise noch von allerlei Umständen abhängt: wenn jedoch Nichts in den Weg kommt, so denke ich am 17. Abends in Wien einzutreffen. Wenn Sie mir schreiben wollten, ob ich Sie dann sicher treffe, würden Sie mich sehr verbinden, weil ich ohne einen Freund, den ich dort finde, mich kaum jetzt dahin wagen, auch dann durchaus keine Lust dazu haben würde. Wenn Sie diese Nachricht vor dem 10tn April abschicken, so bitte ich sie einfach Sgr. Windelband, ferma in posta[9] Roma zu addressiren, später Firenze. Natürlich, je eher, desto lieber. Vielleicht könnten Sie mir dann auch gleich mittheilen, in welchem Hotel Sie mir für die drei Tage ein einfaches Zimmerchen zu bestellen beabsichtigen, damit ich weiß, wohin ich am Ankunftsabend gleich mich zu begeben habe. ich denke Ihnen dann den Tag meiner Ankunft zwei Tage vorher telegraphisch anzuzeigen. Wenn Sie aber irgend etwas Anderes vorhaben, so möchte ich Ihnen in keiner Weise lästig sein: ich bitte Sie dringend, mir darüber ganz offen zu schreiben, und es wird ja wohl nicht das letzte Mal sein, wo uns die Gelegenheit zu einem frohen Beisammensein gegeben wird.
Wenn Sie an Ehrenberg schreiben, bitte grüßen Sie ihn bestens. Wie steht es denn mit dessen, wie mit Ihren Sommerplänen? Kommt Ehrenberg wieder nach Leipzig und wird er noch Lust haben, mir einen Theil der academischen Formalitäten abzunehmen? – Also noch einmal, – ich möchte Sie auf keinen Fall stören und bitte, daß Sie mir die volle Wahrheit über Ihre Zeit schreiben: im Uebrigen freue ich mich außerordentlich auf das Wiedersehen und sende Ihnen für heut meine herzlichen Grüße! Ihr
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Graf Mamiani ] Terenzio Mamiani (1799–1885), mehrmals Minister, Prof. in Turin (Rudolf Eisler: Philosophen-Lexikon 1912, S. 448–449).3↑Prof. Ferri ] Luigi Ferri (1826–1895), Prof. in Florenz u. Rom, stand Mamiani nahe (Rudolf Eisler: Philosophen-Lexikon 1912, S. 169).5↑Sohn des Aesthetikers Vischer ] Robert Vischer (1847–1933), Sohn von Friedrich Theodor Vischer (1807–1877), vgl. auch Windelband an Robert Vischer vom 26.11.19106↑Dr. Duprel ] gemeint ist Carl Du Prel (1839–1899), nach einer Militärkarriere Philosophiestudium, 1868 in Tübingen promoviert, 1871 aus dem Militärdienst ausgeschieden, seitdem als freier Schriftsteller in München (BEdPh). Befreundet mit Eduard von Hartmann.7↑Sr. Heiligkeit ] Pius IX (Giovanni Maria Mastai Ferretti), seit 1846 Papst, Pontifikatsende 7.2.1878 (http://w2.vatican.va/content/pius-ix/de.html).8↑in Wien ] vgl. Jellinek an Ehrenberg aus Wien vom 16.4.1873: Wahrscheinlich kommt morgen Windelband nach Wien. Er schrieb mir aus Rom, daß er mich auf drei Tage zu besuchen gedenkt. Du kannst Dir denken, wie ich mich darauf freue! Er grüßt Dich herzlich und fragt, ob er Dich in Betreff des Famulus-Amtes beim Worte nehmen kann. Wenn es auch diese Semester nicht geht, so wirst Du hoffentlich im nächsten Semester im Stande sein, Dein Versprechen zu erfüllen. Ich schreibe Dir ausführlich über unser Zusammensein (Christian Keller: Victor Ehrenberg und Georg Jellinek Briefwechsel 1872–1911. Frankfurt a. M.: Klostermann 2005, S. 178–179). Es ist kein Bericht Jellineks an Ehrenberg über einen Besuch Windelbands in Wien überliefert.▲