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- TitleWindelband: Gutachten über den Kuno-Fischer-Preis, Heidelberg, 14.7.1909, 3 S., hs. (lat. Schrift), UA Heidelberg, H-IV-102/138 (Philosophische Fakultät 1908/09, Dekan: Friedrich Schöll), Bl. 288–289
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- Physical LocationUniversitätsarchiv Heidelberg
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Windelband: Gutachten über den Kuno-Fischer-Preis, Heidelberg, 14.7.1909, 3 S., hs. (lat. Schrift), UA Heidelberg, H-IV-102/138 (Philosophische Fakultät 1908/09, Dekan: Friedrich Schöll), Bl. 288–289
Heidelberg, den 14t Juli 1909.
Die Kuno-Fischer-Preisstiftung betr[effend]
Die Aufgabe, für die Erteilung des heuer zum ersten Male fälligen Kuno-Fischer-Preise der philosophischen Fakultät Vorschläge zu machen, setzt mich in eine einigermassen peinliche Verlegenheit. In der deutschen philosophischen Literatur des abgelaufenen Lustrums[1] habe ich trotz ihrer Ausgebreitetheit ein historisches Werk, das ich ohne Bedenken für diesen[a] Preis vorschlagen könnte, nicht ausfindig gemacht. Für die Sache der Philosophie selbst ist das an sich nicht so ungünstig: es steht offenbar mit dem Umstande im Zusammenhang, dass sich in der Philosophie der Schwerpunkt des Interesses und der Arbeit aus dem historischen in das systematische Gebiet verlegt hat, wobei freilich ein Ueberwiegen methodologischer Untersuchungen in nicht unbedenklicher Weise zu beobachten ist.
Selbstverständlich haben auch diese fünf Jahre in der Geschichte der alten, der mittelalterlichen und der neueren Philosophie eine stattliche Anzahl tüchtiger Einzelforschungen gezeitigt; aber ich wüsste keine darunter zu nennen, die, sei es sachlich, sei es methodisch, den Fortschritt der Gesamtdisciplin so gefördert hätte, dass sie eine so hervorhebende Auszeichnung verdiente. Ebenso fehlt es nicht an wohlgelungenen Darstellungen einzelner Philosophen in den für das weitere Publikum bestimmten Sammelwerken, wie den „Klassikern der Philosophie“ oder den „grossen Erziehern“, auch nicht an Sonderwerken derselben Art: allein auch unter diesen ragt keines in entschiedener Weise über das durchschnittliche Niveau hinaus. Von Gesamtdarstellungen grösserer Gebiete sind zwei „Geschichten des Skeptzismus“ zu verzeichnen, die eine von Goedeckemayer[2], ein flüssiges und gelehrtes, aber ideenloses und steriles Buch, die andre von Raoul Richter (2. Bd.), die, umgekehrt, meist in Allgemeinheiten stecken bleibt und darin nichts wahrhaft Förderliches bietet.
Zur engeren Wahl bleiben eigentlich nur zwei vortreffliche Werke übrig: das eine die „Geschichte der Autobiographie“ von G[eorg] Misch, Docent in Berlin, eine zweifellos hervorragende Leistung von originellem Entwurf, von grossen Gesichtspunkten, von umfassendem Blick, von vielseitigem, gründlichen Wisssen und voll von feinen De|tail-Analysen, die sich in ihrer Art stark von Wilhelm Dilthey beeinflusst zeigen, aber doch ein hohes Mass selbständiger Leistung darstellen. Allein dies Werk ist, dem Gegenstande entsprechend, nicht nur philosophiegeschichtlichen, sondern allgemein literargeschichtlichen Charakters; es ist zudem schon einmal gekrönt als Berliner Preisschrift, und es ist nicht abgeschlossen, es reicht bisher nur bis Augustin. Wenn der zweite Band, der in den nächsten Jahren erscheinen soll, die Erwartungen erfüllt, die der erste erweckt, so wird das ganze Werk zweifellos für die nächste Erteilung unseres Preises in erster Linie in Betracht kommen. – Das andre Werk rührt auch von einem Berliner Docenten her: es ist E[rnst] Cassirer’s „Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit“, eine ausserordentlich anregende, vielfach neue Gesichtspunkte eröffnende, tief und eigenartig in die Ursprünge des modernen Denkens eindringende Arbeit. Allein hier liegt ein Bedenken darin, dass das Buch nicht im eigensten Sinn historische, sondern mindestens ebenso historische und systematische Zwecke verfolgt, und dass der Verfasser, dessen Werk damit auch noch nicht abgeschlossen ist, sich mit seinen prinzipiellen Auffassungen, trotz seiner anerkennenswerten Selbständigkeit, wesentlich doch in den Bahnen des Neukantianismus Cohenscher Prägung bewegt.
Unter diesen Umständen halte ich es für richtiger, diesmal auf die Erteilung des Preises (nach § 7 des Statuts) zu verzichten: er sollte, namentlich das erste Mal, nur für eine ganz zweifellos hervorragende und in hohem Masse bedeutsame Leistung zuerkannt werden.
Dieser Verzicht empfiehlt sich ausserdem noch aus einem finanziellen Grunde, der übrigens, wie ich besonders betonen möchte, für die obigen Erwägungen in keiner Weise massgebend gewesen ist.
Es handelt sich um die Herstellung der Medaille, in der der Preis bestehen soll. Bekanntlich hat dazu Herr Prof. Volz-Karlsruhe[3] in dankenswerter Weise ein vorzüglich gelungenes Medaillon von Kuno Fischer’s Kopf zur Verfügung | gestellt, wovon ein Abguss als Geschenk der Familie Fischer unser Senatszimmer schmückt. Den künstlerischen Anteil, der in solchen Fällen das teuerste zu sein pflegt, hat also in diesem Falle die Stiftung umsonst. Aber es erübrigte danach noch die Verkleinerung des (beinah lebensgrossen) Modells, wozu Herr Volz die Hofprägeanstalt B. H. Mayer empfohlen hatte, und die Herstellung eines Modells für die möglichst schlicht zu haltende Rückseite der Medaille seitens eines von Herrn Volz vorgeschlagenen Schülers der Kunstakademie. Durch ein Rescript des Engeren Senates vom 16. Juni 1906 wurde ich ermächtigt, in beiden Richtungen das Erforderliche in die Wege zu leiten[4]. Nun stellt sich aber heraus, dass diese technische Seite der Angelegenheit doch kostspieliger ist, als vielleicht erwartet wurde. Für die (doppelte) Verkleinerung des Volz’schen Modells und die Herstellung beider Matrizen, die dann für alle Folge zur Verfügung bleiben, verlangt die Firma B. H. Mayer (Pforzheim) 500 bis 550 Mk.; mit Einschluss des mir noch nicht bekannten Honorars für den Schüler des Herrn Volz, der die Rückseite der Medaille entworfen hat, muss also auf eine einmalige Ausgabe von etwa 700 Mk. oder mehr gerechnet werden.
Ob diese Summe aus dem Stiftungskapital, das doch im Allgemeinen als unangreifbar gilt, gedacht werden dürfte, ist mir sehr zweifelhaft: auf alle Fälle ist damit zu rechnen, dass sie aus den laufenden Zinsen zu bestreiten ist; und dann verbliebe von den 1600 Mark jetzt nur soviel, daß wir überhaupt höchstens einen halben Preis erteilen könnten. Das würde sich nicht gut machen; und es wäre sehr schwierig, dann zu entscheiden, ob er Herrn Misch oder Herrn Cassirer zuerkannt werden sollte. Ihn noch einmal zu teilen ginge garnicht an.
Aus allen diesen Gründen beehre ich mich zu bean|tragen:
die philosophische Fakultät wolle dem Engeren Senat empfehlen:[5]
1) Den Kuno-Fischer-Preis zu dem diesmaligen Termin nicht zu vergeben
2) Aus den verfügbaren Zinsen (1600 Mk.) die Kosten für den Entwurf der Rückseite der Medaille und für die Herstellung der Matrizen zu bestreiten und
3) Den Rest zum Kapital zu schlagen.
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Goedeckemayer ] gemeint: Albert Goedeckemeyer (1873–1945), 1897 mit einer Arbeit über Epikurs Verhältnis zu Demokrit in der Naturphilosophie bei Windelband in Straßburg promoviert, 1900 in Göttingen für Philosophie habilitiert (WBIS). – Goedeckemeyer bearbeitete 1923 die 4. Aufl. von Windelbands Geschichte der alten Philosophie. In: Geschichte der antiken Naturwissenschaft und Philosophie (1888) u. d. T. Geschichte der abendländischen Philosophie im Altertum. München: C. H. Beck (Handbuch der Altertumswissenschaft Bd. 5, 1. Abt. 1. Teil).3↑Volz-Karlsruhe ] Hermann Volz (1847–1941), seit 1879 an der Kunstgewerbeschule Karlsruhe, 1880–1919 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe (NDB, WBIS).4↑in die Wege zu leiten ] vgl. die entsprechenden Schreiben der Hofprägeanstalt B. H. Mayer in der vorliegenden Edition sowie Windelband an Ernst Troeltsch vom 10.6.19065↑wolle dem Engeren Senat empfehlen: ] dem Antrag schlossen sich die Fakultätsmitglieder im Umlauf an▲