Bibliographic Metadata
- TitleKuno Fischer an die philosophische Fakultät der Universität Heidelberg, Heidelberg, 13./14.7.1902, 7 S., hs., UA Heidelberg, H-IV-102/132 (Philosophische Fakultät Akten 1901-02., Dekan: Bezold), Bl. 715–716
- Creator
- Participants
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationUniversitätsarchiv Heidelberg
- URN
- Social MediaShare
- Archive
- ▼
Kuno Fischer an die philosophische Fakultät der Universität Heidelberg, Heidelberg, 13./14.7.1902, 7 S., hs., UA Heidelberg, H-IV-102/132 (Philosophische Fakultät Akten 1901-02., Dekan: Bezold), Bl. 715–716
Decane maxime spectabilis,
Hochgeehrte Herrn Collegen
Da ich bei meinem hohen Alter meinem hiesigen Lehramt, welches ich ein Menschenalter hindurch ununterbrochen (von 1. Oktober 1872 bis 1. Oktober 1902) ausgeübt habe, nicht mehr, wie bisher, vorzustehen vermag, so beantrage ich[1], daß die zweite, seit sechsundzwanzig Jahren unbesetzt gebliebene ordentliche Professur der Philosophie[2] nunmehr wiederbesetzt werde, | und[a] zwar erlaube ich mir, den ordentlichen Professor der Philosophie an der Kaiser Wilhelms Universität zu Straßburg i/E. Herrn Dr. Wilhelm Windelband zur Berufung in die genannte Stelle vorzuschlagen.
Da ich voraussetzen darf, daß Herr Professor W. Windelband in Ansehung seines Namens, seiner Bedeutung und | Wirksamkeit Ihnen Allen wohlbekannt ist, so enthalte ich mich aller weiteren Charakteristik[3].
Ich nenne denselben, wie er es verdient primo und unico loco.
Ich bitte die Facultät, diesen meinen Antrag unterstützen zu wollen u[nd] auf dem vorschriftsmäßigen Wege an das Großherzogliche Ministerium des Unterrichts gelangen zu lassen.
Hochachtungsvoll
Kuno Fischer
Heidelberg. d[en] 13. Juli 1902. |
Nachschriftlich.[b]
Ich glaube, soeben in sichere Erfahrung gebracht zu haben, daß Herr Prof. Windelband nach Ablehnung seines Rufes nach Tübingen[4] in seine Stellung zu Straßburg durch unmittelbare Einwirkung des Statthalters eine höchst beträchtliche[c] Gehaltserhöhung davon getragen hat[d], so daß ich zu meinem großen Leidwesen zweifeln muß, ob er gegenwärtig für uns zu gewinnen ist.
Ich erlaube mir deshalb abgesehen von ihm, noch zwei Namen zu nennen, die ich in | Erwägung zu nehmen bitte:
1. Karl Groos[e] aus Heidelberg, der hier seine Studien gemacht auch s[einer] Z[eit] eine Preisaufgabe in der Philosophie gewonnen hat, er hat sich dann in Gießen habilitiert und ist erst nach Basel, dann nach Gießen als ordentlicher Professor der Philosophie[f] berufen worden, wo er gegenwärtig lehrt[g]. Er hat über Schelling, über Aesthetik u[nd] ein Werk über „Die Spiele der Thiere“ geschrieben, welches günstige[h] | Aufnahme[i] gefunden hat.
2. Eugen Kühnemann[j], außerordentl[icher] Professor der Philosophie in Marburg, der, wie ich zu wissen glaube, sehr anregend lehrt, gern und viel gehört wird. Abhandlungen über Themata aus der Geschichte der Philosophie, über Kant [un]d Schiller, unlängst ein Buch über Herders Leben[k][5] geschrieben hat. Über seine amtliche | Stellung in Marburg weiß ich nichts Näheres.
K. Fischer
Heidelberg d[en] 14 Juli 1902
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑beantrage ich ] vgl. in derselben Akte das Protokoll der Fakultätssitzung von Samstag, 19.7.1902, 6 Uhr nachmittags: Excellenz Fischer unterrichtet die Mitglieder von dem Empfang eines Briefes des Prof. W. Windelband in Strassburg i/E, wodurch dessen in Aussicht genommene Berufung eine wesentliche Grundlage erhält. Der betreffende Brief circuliert bei den anwesenden Mitgliedern. Der Antrag seiner Excellenz wird auf’s wärmste befürwortet von Herrn Coll[egen] Schöll, der zugleich der Hoffnung Ausdruck giebt, dass grade durch Berufung von Professor Windelband auch die bewährte Kraft unseres Seminars noch möglichst lang der Universität erhalten bleiben wird. Nach einigen weiteren Bemerkungen seitens der Herrn Collegen Weber, Osthoff und Schöll über den formellen Act der Wiederbesetzung der zweiten Professur für Philosophie wird der Antrag Exc[ellenz] Fischer einstimmig und ohne Debatte angenommen und beschlossen, den Engeren Senat zu ersuchen, er wolle diesen Antrag dem Grossherzoglichen Ministerium mit besonderem Nachdruck empfehlen; sowie die parallele Rektoratsakte, UA Heidelberg, RA 6859 (Lehrstühle für Philosophie 1836 (1830) bis 1918): Am 21.7.1902 teilt die Fakultät dem Engeren Senat ihren einstimmigen Beschluß vom 19.7. mit, Windelband als einzigen zu nennen, und bittet um Befürwortung beim zuständigen Ministerium. Das Ministerium teilt dem Senat am 20.11.1902 die Berufung Windelbands zum 1.4.1903 mit, unter Verleihung des Charakters als Geheimer Rat II Klasse.2↑zweite … Philosophie ] dieses Ordinariat existierte nach dem Tode Carl Alexander Freiherr von Reichlin-Meldeggs (1801–1877) nur auf dem Papier und war nie im Stellenplan für die Philosophische Fakultät vorgesehen. Reichlin-Meldegg, geweihter Priester und Professor für Historische Hilfswissenschaften, hatte sein Freiburger Lehramt nach seiner Konversion zum Protestantismus aufgeben müssen. 1840 wurde er in Heidelberg zum Professor für Philosophie berufen, ein Akt der Protektion durch das protestantische Großherzogtum Baden, vgl. Horst Gundlach: Wilhelm Windelband und die Psychologie. Heidelberg: University Publishing 2017, S. 178.3↑Charakteristik ] vgl. die von Alexander Moszkowski (Berlin) in: Neues Wiener Journal, Nr. 10837 vom 20.1.1924, S. 12 (ANNO) u. d. T. Von prominenten Menschen. Unverbürgte Berichte kolportierte Anekdote: Ich habe als junger Student noch bei […] Kuno Fischer gehört […] Er las auch über rein philosophische Probleme und war […] beflissen, seine eigene Stellung in der Geisteswelt immer deutlicher hervortreten zu lassen. Endlich hatte er hierfür die richtige Formulierung gefunden […]: „Genau genommen, gibt es heute in ganz Deutschland nur zwei wirkliche Philosophen, nur zwei Denker ersten Ranges, – – der andere ist Professor Windelband in Straßburg!“▲